Fachkräftemangel, Arbeiten aus dem Homeoffice und schnelles Unternehmenswachstum – Mitarbeitende in einem solchen Umfeld zu binden, ist eine Herausforderung. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei R/GA werden auf einen Weg geschickt: Vor zwei Jahren hat die Beratung mit Sitz in Berlin eine Integration Journey implementiert, die drei bis sechs Monate dauert und individuell auf den Neuen oder die Neue abgestimmt ist. Inzwischen haben nicht nur R/GA-Mitarbeitende das Onboarding der anderen Art erprobt, sondern auch Beschäftigte in anderen großen Unternehmen.
R/GAs persönlicher Grund für den neuen Ansatz: „Wir sind am deutschen Standort seit Anfang 2021 um 138 Prozent gewachsen, und zählen auch weltweit mittlerweile mehr als 1.500 Beschäftigte“, sagt David Toma, Managing Director Germany. Damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht, reiche es nicht aus, neue Mitarbeitende im Unternehmen willkommen zu heißen, sie müssten auch bewusst integriert werden.
Sobald ein neues Talent für einen Job bei R/GA zusagt, setzt sich daher ein sieben- bis achtköpfiges Team zusammen, um das stark erweiterte Onboarding zu konzipieren. Die Gruppe ist gemischt und besteht aus einer Person aus dem Team, das sich nur mit dem Erstellen der Integration Journey beschäftigt, einem Standortleiter, Abteilungsleiterinnen, Führungskräften und Teamleadern. Sie planen gemeinsam verschiedenste Aktionen, um das neue Talent bestmöglich ins Unternehmen zu integrieren. Hier wird bereits klar: Die Integration Journey ist zeitintensiv und spannt nicht wenig Personal ein.
Unternehmen von den verschiedensten Seiten kennenlernen
Doch anders könne der oder die Neue nicht tief in vier Unternehmensbereiche eintauchen, die er oder sie entdecken soll, erklärt Toma. Die besagten Bereiche sind folgende:
- Unternehmen
- Team
- Business
- Kultur
Im Unternehmensbereich soll die neue Person die Organisation als Ganzes kennenlernen, mehr über deren Geschichte, Positionierung, Purpose und bestehende Benefits erfahren. „Eben alles, was beim klassischen Onboarding stattfindet“, sagt Toma.
Gleichzeitig soll sie in ihr Teams, aber auch in den Rest der Kollegenschaft integriert werden; sprich für sie wichtige Kolleginnen und Kollegen abteilungsübergreifend kennenlernen. Auch das ist nicht unbedingt neu. Doch die Teambuilding-Aktivitäten, die ebenfalls Teil der Integration Journey sind, sind es. So organisiert das Integration-Journey-Team bei R/GA Get-together für Neuankömmlinge – beispielsweise in Form eines Frühstücks –, schickt sie an andere Standorte, kreiert Trainings nur für sie „Wir fragen uns: Wer muss wen kennenlernen und braucht welches Wissen, um mit der Arbeit bei uns zu beginnen“, sagt Toma. Teil der Integration auf der Teamebene ist es auch, dass die neuen Mitarbeitenden gemeinsam mit ihrer Führungskraft von Anfang an einen Entwicklungsplan erstellen. „Das zeigt den neuen Talenten, dass sie bei uns die Möglichkeit haben, sich persönlich zu entfalten und weiterzuentwickeln“, sagt der Managing Director.
Neben dem Unternehmen und dem Team sollen die Neuankömmlinge auch die Businesspartner und deren Welt kennenlernen. Die Journey beinhaltet deshalb auch Meetings mit relevanten Kundenvertreterinnen und -vertretern.
Die letzte Ebene, in die neue Mitarbeitende integriert werden sollen, ist die der Unternehmenskultur. Dort stehen laut Toma die Gesundheitsförderung der Mitarbeitenden sowie deren Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen im Vordergrund. Die Neuankömmlinge haben die Möglichkeit, an Mental-Health-Days teilzunehmen sowie an pro Bono Unterstützungsprogrammen für Minderheiten oder benachteiligte Menschengruppen. Das Zugehörigkeitsgefühl soll bei R/GA auch durch Vernetzung mit Gleichgesinnten entstehen. Deshalb werden die Neuankömmlinge mit sogenannten Culture Collectives bekannt gemacht. Das sind bei R/GA Netzwerke – beispielsweise für People of Color, Frauen oder bestimmte Religionen. Das Integration-Journey-Team ermutigt die Neuen, einem Collective ihrer Wahl beizutreten. Parallel wird jeder neuen Mitarbeiterin und jedem neuen Mitarbeiter ein Buddy an die Seite gestellt, der oder die ebenfalls frisch im Unternehmen ist. „Wir möchten von Anfang an Silos aufbrechen und einen abteilungsübergreifenden Austausch ermöglichen“, sagt Toma.
Journey soll Weiterbildungsoptionen von Anfang an sichtbar machen
Denn neben den vier Ebenen, in die neue Mitarbeitende parallel integriert werden sollen, orientieren sich die Verantwortlichen für die individuelle Journey an fünf Prinzipien: durchgängig, verbunden, wertschätzend, inklusiv und die Weiterentwicklung in den Vordergrund stellend soll sie in jedem Fall sein.
Was mit den einzelnen Prinzipien gemeint ist, erklärt Managing Director Toma: Die Durchgängigkeit bezieht sich nicht nur auf die längere Dauer des Onboardings, sondern zudem auf die Tatsache, dass auch Mitarbeitende, die aus der Elternzeit kommen, die Abteilung wechseln oder an einem Standort im Ausland weiterarbeiten, wieder einen Touchpoint mit der Integration Journey haben. „Verbunden“ drückt aus, dass der Prozess Silos von Anfang an vermeiden soll, „wertschätzend“ beschreibt ein hohes Level an Empathie für die Neuankömmlinge.
Die beiden letzten Prinzipien heben zum einen die Wichtigkeit von Diversity und Akzeptanz in der Anfangsphase bei R/GA als neuen Arbeitgeber hervor und zum anderen die Möglichkeit zur Weiterbildung. Jeder neue Mitarbeiter und jede neue Mitarbeiterin soll von Beginn an wissen: Hier kann ich mich weiterentwickeln und mich gleichzeitig so einbringen, wie ich bin. Damit die Weiterentwicklungsmöglichkeiten direkt sichtbar sind, erstellt die Führungskraft zusammen mit dem neuen Talent bereits während der Journey einen Entwicklungsplan.
Gefahr: Die Journey könnte entarten
Spätestens hier wird klar: Die Integration Journey ist arbeitsaufwendig. Besonders, als das Konzept während der Coronapandemie geboren wurde, bestand die Gefahr, dass die Erstellerinnen und Ersteller, aber auch die Teilnehmenden überfordert würden. „Wir mussten ein gesundes Maß finden und lernen, welche Bestandteile wirklich nötig sind“, sagt Toma. „Nun fragen wir uns, wenn wir die Journey erstellen, immer: Was ist machbar und was ist erlebbar?“ Denn natürlich sollen die neuen Beschäftigten in den ersten sechs Monaten auch schon mit der Arbeit beginnen und nicht ausschließlich mit Onboarding-Aktivitäten zu tun haben.
Wenn hier das richtige Maß gefunden wird, sei die Integration Journey ein echter Gamechanger fürs Unternehmen und ermögliche eine gute Mitarbeiterbindung trotz flexiblen Arbeitens. „Bei R/GA arbeiten wir von überall aus und gleichzeitig möchten wir menschenzentriert tätig sein“, sagt Toma. „Dafür müssen wir von Anfang an Erlebnisse schaffen, durch die sich Mitarbeitende mit dem Unternehmen verbunden fühlen.“
Die Basis für alles: Ein Active Purpose
Verbunden könnten sich die Neuankömmlinge allerdings nur mit etwas fühlen, das in sich auch klar definiert und erlebbar ist, weil es bereits als Unternehmenskultur nicht nur auf dem Papier steht, sondern stattfindet. „Man braucht als Arbeitgeber ein Active Purpose, also eine Kultur und ein Ziel, die auch gelebt werden“, sagt der Managing Director. „Sonst funktioniert die Integration Journey nicht.“
Für HR-Teams, die ihr Onboarding ebenfalls ausweiten möchten, empfiehlt Toma, die Journey anhand von Touchpoints anstatt von Prozessen zu konzipieren und mit KPIs wie Höhe des Identifikationslevels und Zugehörigkeitsgefühls sowie vielen Feedback-Loops zu arbeiten. Bei R/GA finden während der Integration Journey drei quantitative Mitarbeiterbefragungen statt, mit denen diese KPIs gemessen werden sollen. Alle ein bis zwei Wochen führt die entsprechende Führungskraft Check-In-Gespräche mit dem neuen Mitarbeiter oder der neuen Mitarbeiterin. Die Ergebnisse werden vom Integration-Journey-Team festgehalten und bei der Konzeption von künftigen Journeys bedacht. Ein Prozess, der sich für R/GA gelohnt hat. Die Engagement-Rate, die in der jährlichen Mitarbeiterbefragung ermittelt wird, wächst seit der Einführung der Integration Journey von Jahr zu Jahr. Wie genau sich die Integration Journey auf die Retention Rate auswirkt, wollte das Unternehmen nicht verraten.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.