Die jährlich erscheinende globale Human Capital Trendstudie von Deloitte basiert in der aktuellen Ausgabe auf der Befragung von fast 10.000 Teilnehmern aus 119 Ländern, darunter auch von 600 deutschen Teilnehmern. Die Ergebnisse beleuchten die aktuellen Herausforderungen von Unternehmen und insbesondere von HR in einer Zeit tiefgreifender und anhaltender ökonomischer, sozialer und politischer Veränderungen. Im Folgenden präsentieren wir aus der Studie zwei Trends mit besonderer Relevanz für Vergütungsverantwortliche in Deutschland.
Die Digitalisierung befindet sich in vielen Organisationen auf dem Vormarsch. In den nächsten drei Jahren rechnen drei Viertel aller Befragten mit einer weiteren Zunahme. Im weltweiten Vergleich ist die Automatisierung der Unternehmen in Deutschland bereits weiter vorangeschritten. Fast jeder dritte Teilnehmer hierzulande gibt an, dass künstliche Intelligenz oder Robotics für einzelne Bereiche und Funktionen bereits heute eingesetzt werden. Mitarbeiter sind allerdings oftmals verunsichert, was diese Veränderung für den eigenen Job bedeutet. 38 Prozent aller Studienteilnehmer weltweit rechnen mit erforderlichen Stellenstreichungen als Auswirkung der verstärkten Automatisierung. Diese Ängste sind jedoch nur teilweise begründet, da sich Jobs primär verändern, aber nicht ersetzt werden.
Jobs werden neu gestaltet statt ersetzt
Über die Hälfte der Studienteilnehmer in Deutschland berichtet, dass Automatisierung als unterstützende Maßnahme eingesetzt wird, um die Produktivität zu steigern bzw. um repetitive oder transaktionale Tätigkeiten zu reduzieren (siehe Abbildung 1 auf der folgenden Seite). Wenn bestimmte Aufgabenfelder wie Routinetätigkeiten automatisiert werden, werden Jobs quasi menschlicher, das heißt, sie werden vielfältiger und erfordern mehr Kreativität und individuelle Fähigkeiten. Bereits heute sind sogenannte Hybridjobs wie beispielsweise Designer oder Architekten stark auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt. Sie bündeln vermehrt Aufgaben und Verantwortlichkeiten aus unterschiedlichen traditionellen Jobs und vereinen technische Fähigkeiten wie die Analyse und Auswertung von Daten mit sozialen Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation, Service und Zusammenarbeit.
Jobarchitektur neu gedacht
Die Kombination aus einer sich verändernden Arbeitswelt sowie neuen Geschäftsstrategien und Organisationsstrukturen führt auch dazu, dass bisher etablierte Job- und Stellenarchitekturen nicht mehr zweck- und zeitgemäß sind und darüber hinaus beträchtliche Anstrengungen und Kosten verursachen. Einige Unternehmen haben daher begonnen, vereinfachte und dennoch umfassende globale Stellenarchitekturen zu erarbeiten, die einen verzahnenden Ordnungsrahmen bieten und die speziellen Anforderungen, zum Beispiel die einer agilen Organisation, berücksichtigen.
Neue Ansätze umfassen insbesondere rollenbasierte Strukturen, in welchen die Gesamtanzahl der Stellenbeschreibungen reduziert wird und der Fokus weniger auf die einzelnen Stelleninhalte als vielmehr auf die in Jobfamilien erforderlichen Anforderungen, Fähigkeiten und Kompetenzen („Competencies“) gelegt wird. Der Einsatz eines pragmatischen und flexiblen Stellenbewertungssystems ermöglicht es, auf Veränderungen in Organisationseinheiten schnell zu reagieren und den derzeitigen Wandel in der Arbeitswelt bei der Bewertung zukünftiger Rollen zu berücksichtigen. Das umfasst etwa das Arbeiten in virtuellen Netzwerken, die Relevanz von Projekt- und Expertenkarrieren sowie Crowdwork. Die Entwicklung einer Stellenarchitektur in enger Abstimmung mit den Anforderungen von IT-Systemanbietern wie beispielsweise Workday oder SuccessFactors erleichtert zudem die Technologieimplementierung sowie die effiziente Nutzung digitaler und vereinfachter HR-Prozesse. Nur so können Organisationen die kombinierten Vorteile von Automatisierung, alternativen Arbeitsformen und menschlichen Kompetenzen wie Kreativität, Neugierde, Selbstentwicklung und Empathie in neuen Jobs abbilden und maximieren.
Vergütung: Die Lücke zwischen Annahme und Wirklichkeit schließen
Der Wettbewerb um die besten Talente wird zunehmend größer, und Organisationen versuchen, an allen Fronten auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter einzugehen. Die Anpassung der Vergütungs- und Nebenleistungslandschaften wird hierbei allerdings oftmals außen vorgelassen.
Mangelnde strategische Ausrichtung von Total Rewards
In unserer Umfrage gibt nur rund jeder zweite Teilnehmer an, dass die Vergütungsstrategie der Organisation ausreichend mit den Organisationszielen übereinstimmt (siehe Abbildung 2 rechts). Auch wenn in Deutschland die Zustimmungsrate etwas höher ist, besteht dennoch eine deutliche Lücke zwischen den Vergütungspraktiken und den Unternehmensstrategien. Bezeichnend ist, dass die Befragten nicht nur die Finanzierung als bedeutsames Hindernis für eine Neuausrichtung ihrer Vergütungssysteme wahrnehmen, sondern die größte Hürde in mangelndem Verständnis dafür sehen, was Mitarbeiter wirklich wollen (siehe Abbildung 3 auf der nächsten Seite). Der Spagat zwischen unternehmerischer Steuerung durch Vergütungsanreize und der Befriedigung der Mitarbeiterbedürfnisse muss gemeistert werden. Besonders Letzteres rückt aufgrund immer spezifischerer Anforderungen der Mitarbeiter sowie infolge steigender Transparenz – auch durch Arbeitgeberbewertungsportale – zunehmend in den Mittelpunkt.
Fokus auf die Beziehung zum Mitarbeiter legen
Sofern Organisationen das Vergütungs- und Nebenleistungsangebot individuell auf ihre Belegschaft maßschneidern, anstatt sich rein an externer Marktpraxis zu orientieren, kann dies helfen, sich als Arbeitgeber zu positionieren und die richtigen Mitarbeiter zu gewinnen, zu motivieren und zu binden. Dies gilt vor allem für alternative Arbeitsformen wie beispielsweise Contractor, Freelancer oder Gig-Worker. Von den Befragten in Deutschland glauben 79 Prozent, dass Flexibilität zu den wichtigsten Elementen zählt, um Menschen in alternativen Arbeitsformen zu motivieren. Damit liegt Flexibilität an erster Stelle und sogar deutlich vor monetärer Vergütung und Bonuszahlungen (68 Prozent). Auch bei Mitarbeitern in konventionellen Beschäftigungsverhältnissen stehen Flexibilität schaffende Maßnahmen wie etwa das Homeoffice außergewöhnlich hoch im Kurs. In Deutschland wird es – anders als im globalen Durchschnitt – bereits flächendeckend angeboten.
Veraltete Denkstrukturen
Insgesamt stecken aber heute noch zu viele Organisationen in veralteten Denkstrukturen fest und betrachten ihre Arbeitnehmer eher als Kosten und weniger als Investition und echtes Asset. Organisationen fokussieren sich zu sehr auf externe Benchmarks und Kostenoptimierung und versäumen es, ihre Vergütungsstrategie auch auf die organisationseigene Kultur auszurichten. Was beispielsweise für Organisationen mit agilem Geschäftsmodell geeignet sein kann, wie etwa unterjährige Gehalts- und Bonusrunden, kann für solche mit klarem jahreszyklischen Geschäftsverlauf weniger passen. Um Vergütung flexibler zu gestalten, kann es zudem sinnvoll sein, die gesamte Organisation besser einzubinden. HR spielt dabei eine beratende Rolle. Um Wettbewerbsvorteile zu erzielen, müssen Organisationen letztlich verstehen, wie das gesamte Vergütungspaket zur Steuerung ihrer spezifischen Organisationsziele angepasst werden kann und wie dies mit den Bedürfnissen innerhalb des Arbeitnehmerökosystems zusammenpasst.
Total-Rewards-Optimization
Doch wie lässt sich ein wirksames und zielgruppenspezifisches Gesamtvergütungspaket gestalten? Klassische Mitarbeiterbefragungen zu Vergütung und Nebenleistungen allein liefern oft nur unzureichende Erkenntnisse. Mitarbeiter geben meist an, dass alles wichtig oder sehr wichtig ist, was zu undifferenzierten Aussagen führt, die die Entwicklung einer spezifischen Lösung wenig förden.
Anders der Total-Rewards-Optimization-Ansatz, der auf einem Conjoint-Verfahren basiert. Ausgewählte Mitarbeitergruppen werden dabei gebeten, eine Reihe von Trade-off-Fragen zu beantworten, die Elemente des aktuellen Pakets, aber auch Neuerungen enthalten. Die anschließende Analyse ermöglicht es, mittels Effizienzkurven die optimale Kombination von Vergütungselementen je nach Präferenz der Mitarbeiter und den verbundenen Kosten zu berechnen, um somit fundierte Entscheidungen zu den anzubietenden Vergütungs- und Nebenleistungsangeboten zu treffen.