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Qualität und Nachhaltigkeit von digitalem betrieblichem Gesundheitsmanagement

Auch wenn man die BGF-Produkte ansieht, fehlte in den letzten Jahrzehnten die Innovationskraft. Wenig nachhaltige Gesundheitstage sowie ein regelmäßiger Obstkorb dominieren den Gesundheitsalltag in vielen Firmen. Dabei ist die digitale BGM sexy und sollte mehr Mitarbeiter ansprechen. Sie sollte für Unternehmen leicht zu handhaben sein und das BGM revolutionieren. Man kann das digitale BGM in verschiedene Facetten differenzieren. Welcher Ansatz für ein Unternehmen richtig ist, gilt es individuell herauszufinden.

Die primitivste Form sind Gesundheitsapps mit einschlägigen Angeboten, meist zu den in § 20 SGB V definierten Handlungsfeldern Bewegung, Ernährung, Stress und Sucht. Wearables, die Schritte oder Vitalparameter zählen, sind eine weitere digitale Facette, die meisten Online-BGM-Anbieter haben Schnittstellen zu Wearables. Klassische EAPs, die früher überwiegend telefonisch durchgeführt wurden, können nun auch digital zum Einsatz kommen. Auch bieten Plattformen und BGM-Komplettsysteme ein umfassenderes BGM-Angebot in der Verhältnis- und Verhaltensprävention.

Die Vorteile eines digitalen BGM sind:

  1. Es holt die Menschen dort ab, wo sie sind, denn über 90 Prozent der berufstätigen Deutschen sind täglich im Internet.
  2. Es ist kostengünstig, und trotzdem kann man, zum Beispiel in filialisierten Unternehmen, viele und andere Mitarbeiter erreichen als mit klassischem BGM, etwa Männer.
  3. Es ist niedrigschwellig, anonym, leicht mehrsprachig zu gestalten, und meist lässt es sich auch in das Unternehmensdesign einbetten.

Trotzdem sollten Firmen bei der Auswahl eines digitalen Angebots kritisch sein und sich beraten lassen: Im App-Store beispielsweise sind mehrere Millionen Health-Apps verfügbar, aber weniger als 1 Prozent davon hat einen nachgewiesenen Nutzen, ist also evidenzbasiert.

Für ein gutes digitales BGM-Tool gibt es objektive, nachvollziehbare Qualitätskriterien: Wichtig ist zunächst, dass es sich um eine individualisierbare Plattform handelt, das heißt, es sollte aufgrund der höheren Akzeptanz im Unternehmensdesign erscheinen und zum Beispiel bereits vorhandene Angebote integrieren. Da es schon vielfältige Gesundheitsangebote am Markt gibt, sollte es keine Stand-alone-Lösung sein, sondern Schnittstellen zu anderen Angeboten haben. Wearables als Fitnesstracker, mit denen etwa Vitalparameter, Schritte oder Nahrungszufuhr gemessen werden, sind stark im Kommen. Die Daten sollten auf freiwilliger Basis ins BGM-Tool eingespeist werden.

Datenschutz und Sicherheit

Das sind die wichtigsten Themen beim digitalen BGM. Eine externe Plattform hat den Vorteil, dass Mitarbeiter bestimmte Maßnahmen, zum Beispiel im Bereich Sucht, wahrnehmen können, ohne dass der Arbeitgeber davon Kenntnis erlangt. Um das Ganze steuerlich zu dokumentieren und mit dem Arbeitgeber abzurechnen, bedarf es eines ausgeklügelten Systems. Mit Hilfe eines Experten sollten Unternehmen kritisch prüfen, was mit ihren Daten geschieht, also wie und wofür man sie auswertet und ob sie Dritten zugänglich gemacht werden.

Ein besonderes Augenmerk sollte darauf liegen, zu prüfen, wo die Daten aufbewahrt werden, also zum Beispiel in einer Cloud oder auf Servern in Ländern mit deutlich niedrigeren Datenschutzanforderungen als in Deutschland. Dabei sollte die Umsetzung der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung selbstverständlich sein. Letztlich müssen auch die Anbieter von Gesundheitsapps angemessen auf Angriffe von Hackern vorbereitet sein. Im April dieses Jahres wurde bekannt, dass in den USA die Daten von 150 Millionen Usern der Fitnessapp „Under Amour“ gehackt wurden. Wie jüngst bei Facebook bekannt geworden, werten amerikanische Anbieter die Daten der User systematisch aus und nutzen sie kommerziell.

Wie eingangs beschrieben, haben viele Gesundheitsportale keinen gesundheitlichen oder medizinischen Nutzen. Diesen sollte man als Unternehmen aber einfordern und sich belegen lassen. Indikatoren hierfür sind Evaluationen des Tools, die die Sensibilisierung, Verhaltensänderung und Teilnahmequoten über einen längeren Zeitraum unabhängig untersuchen. Darüber hinaus sollten weitere Qualitätskriterien beachtet werden. Die § 20-SGB-V-Zertifizierung einzelner Angebote durch die Krankenkassen ist ein Indikator und ggf. auch steuerlich bedeutsam. Die ISO-Zertifizierung hat sich bei (digitalen) Gesundheitsanbietern als zu starr erwiesen und macht höchstens für die IT Sinn. Weitere Zertifikate und Awards können Indikatoren sein, um das Bild von einem Dienstleister abzurunden. Referenzkunden, die selbst ein Projekt mit einer Plattform umgesetzt und wissenschaftlich begleitet haben, sind ebenfalls wichtig.

Ausblick

Der Return on Invest von BGM steht bei Arbeitgebern oft im Vordergrund. Was kostet mich ein BGM-Projekt? Welchen Vorteil ziehe ich aus niedrigeren Krankenständen? Viele Studien belegen den Nutzen von BGM, und ein investierter Euro kann sich mindestens doppelt auszahlen. Dass dies nur gilt, wenn man das BGM richtig angeht – das heißt individuelle Maßnahmen mit dem richtigen Dienstleister in einem ganzheitlichen Setting –, wird meist verschwiegen. Bereits der Krankenstand ist schwer zu messen, unterliegt er doch auch Faktoren, die das Unternehmen kaum beeinflussen kann, etwa Bundestrends oder Grippewellen. Außerdem spielt der Präsentismus – das heißt die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, die bei der Arbeit anwesend sind, aber nicht die höchste Produktivität erreichen – eine größere Rolle als der Absentismus. Deshalb sollte man heute den Value of Invest (VoI) als Kennzahl im Fokus haben. Er umfasst auch weiche Faktoren, die schwer zu messen sind. Denn BGM ist ein gutes Instrument, um Mitarbeiter zu binden. Es kann proaktiv bei der Rekrutierung von Mitarbeitern eingesetzt werden und steigert das Employer-Branding eines Unternehmens.

Der Markt der Onlineanbieter ist heterogen, und es gibt keinen Marktführer. Manche jungen Anbieter wie Zeeno oder Humanoo sind mit sehr viel Kapital ausgestattet. Das Gesundheitsmanagement braucht einen Paradigmenwechsel und darf nicht mehr die Kranken fokussieren, aber nur die Gesunden erreichen, etwa mit Krankenstandanalysen oder Betrieblichem Eingliederungsmanagement. Es muss vielmehr die Masse der Mitarbeiter ansprechen, die meist einen oder mehrere Risikofaktoren wie Übergewicht, Stress oder Rauchen haben.

Die zentrale Herausforderung von webbasiertem BGM ist, die evidenzbasierte Verhaltensänderung und Nachhaltigkeit langfristig herzustellen. Elemente hierzu sind Gamification, Wettbewerb, Provokation und Zielgruppenspezifisches. Die Tools müssen sich deshalb ständig weiterentwickeln und schon heute die Ansprüche der Generation Y und Z im Auge haben. Arbeit 4.0 heißt, dass sich Menschen immer kürzer an einen Arbeitgeber binden, Ort und Zeit der Leistungserbringung kaum noch relevant sind und disruptive Biografien zunehmen.

info(*)faz-personaljournal(.)de