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Regeln statt Proklamieren

Kreidezeichnung von einer Fussballspielfeld
Bild: thomas-bethge/istock

Unternehmenskultur ist ein komplexes Thema und ein herausfordernder Untersuchungsgegenstand für die empirische Forschung. Ausgehend von der Frage, wie die Kultur eines Unternehmens Entscheidungsprozesse und Firmenwert bestimmt, hat eine aktuelle Studie das Zusammenwirken von Werten, Normen und Regeln untersucht. Die Wissenschaftler John Graham, Campbell Harvey und Jillian Popadak von der amerikanischen Duke University sowie Shivaram Rajgopal von der Columbia University befragten 1898 Topmanager aus 1348 amerikanischen Unternehmen. 

Die Ergebnisse unterstreichen den grundsätzlich hohen Stellenwert der Unternehmenskultur: 91 Prozent der befragten CEOs und CFOs halten sie für wichtig beziehungsweise sehr wichtig; 92 Prozent sehen einen Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Firmenwert. Dabei stehen für die Führungskräfte ethisches Handeln, Innovation und die unternehmerische Wertschöpfung im Fokus. 

Allerdings konstatieren lediglich 16 Prozent, dass die Kultur ihres Unternehmens bereits so ausgeprägt ist, wie sie sein sollte; 52 Prozent halten sie für „annähernd in Ordnung“. Für ein Fünftel der Befragten steht das eigene Management einer wirksamen Unternehmenskultur im Wege. Und 85 Prozent sehen in einer unzulänglichen Unternehmenskultur die Ursache dafür, dass Mitarbeiter unethisch oder illegal handeln. Dies korrespondiert mit dem Untersuchungsergebnis: Die negativen Auswirkungen einer Unternehmenskultur fallen damit deutlicher aus als die positiven. Das heißt, die potenziellen Risiken, die mit einer Kultur einhergehen, siehe das Beispiel Volkswagen, sind wesentlich größer als die Chancen.

Besonders deutlich wird der Stellenwert der Unternehmenskultur bei Firmenzusammenschlüssen. Hier würden 54 Prozent der Topmanager auf eine Übernahme verzichten, wenn die Kultur nicht stimmt. Ein gutes Drittel hält Abstriche beim Kaufpreis zwischen zehn und 30 Prozent für geboten. 

Mit Blick auf die Ausprägung von Unternehmenskultur stellen die Forscher eine sogenannte u-förmige Verteilung fest: Marktführer und Herausforderer (im Sinne junger Wachstumsunternehmen) sind kulturstark, während die Unternehmen in der Mitte tendenziell eine schwache Ausprägung der Unternehmenskultur aufweisen.

Worte allein zählen nicht

Die Studie zeigt ebenfalls, dass die Wirksamkeit der Unternehmenskultur nicht durch proklamierte Werte bestimmt wird, die erstrebenswerte Zustände und Ziele formulieren. Diese sind notwendig, aber allein nicht hinreichend. Wesentlich ist vielmehr, dass zum einen die gesellschaftlich und kulturell bedingten sozialen Normen, die das Handeln der Mitarbeiter bestimmen, konsistent mit den Werten sind. Zum anderen bedarf es unterstützender formaler Regelungen, zum Beispiel von Kontroll- und Vergütungsstrukturen.

Wichtigste kulturelle Werte sind Integrität, Zusammenarbeit und Anpassungsfähigkeit. Sie stellen den Schlüssel für ethisches Handeln, Produktivität und Innovation dar. Auf diese Weise wird Kultur, so die Autoren, zur „unsichtbaren Hand“, die Einschätzungen und Entscheidungen beeinflusst und in stärkerem Maße zum Wert eines Unternehmens beiträgt als dessen Strategie.

Auch wenn nicht alle Erkenntnisse neu sind, vermittelt das Paper vielfältige Impulse und vor allem quantitative Erkenntnisse. Zwar beschränken sich die Autoren – um nationale Kulturunterschiede zu eliminieren – auf US-Unternehmen. Sie präsentieren jedoch in allen Details die theoretischen Grundlagen, das methodische Vorgehen und die Einzelergebnisse der Datenauswertung ebenso wie den der Erhebung zugrunde liegenden Fragebogen. Dies erleichtert die Übertragung auf einen anderen kulturellen Kontext erheblich. Fazit: Ein sehr umfassendes Working Paper, das jenseits populärwissenschaftlicher und anekdotischer Beobachtungen eine fundierte quantitative Analyse des Phänomens Unternehmenskultur liefert.

Den Prozess des integrativen Denkens verstehen

Nicht nur in den USA wird impulsgebende HR-Forschung betrieben. Auch Kanada hat einige spannende Köpfe vorzuweisen: Seit November 2017 ist der Design-Thinking-Pionier Roger Martin, langjähriger Dekan der Rotman School of Management der Universität Toronto und derzeitiger Direktor des dortigen Martin Prosperity Institute, die Nummer eins im globalen Ranking der Management-Vordenker Thinkers 50. Seine Arbeiten erstrecken sich von Themen wie Businessdesign und Corporate Social Responsibility über Wettbewerbsfähigkeit von Ländern bis hin zur Zukunft des demokratischen Kapitalismus.

Martin geht es stets um die Lösung komplexer Probleme durch integrative Denkprozesse. Er wendet sich gegen die Überbetonung des analytischen Denkens und propagiert ein neues Managementverständnis. Dieses erörtert er in dem 2007 erschienenen Buch „The Opposable Mind: How Successful Leaders Win Through Integrative Thinking“. Das aktuelle, gemeinsam mit seiner Kollegin Jennifer Riel verfasste Werk „Creating Great Choices: A Leader’s Guide to Integrative Thinking“ vertieft die Thematik und präsentiert eine Methodik für die Lösung komplexer Sachverhalte, ohne dass dabei eine Entscheidung für die eine oder die andere Lösung gefällt werden muss. Nicht „entweder … oder“, sondern „sowohl … als auch“ lautet das Credo der Autoren. Zu diesem Zweck verknüpfen sie Aspekte der Verhaltensökonomie und des Design Thinking.

Alternativen werden nicht einfach als solche akzeptiert. Es werden vielmehr die besten Aspekte aller betrachteten Alternativen her aus gefiltert, um so zu einer Synthese zu kommen, die den Einzellösungen überlegen ist. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen und gegensätzlichen Ansichten eröffnet, so die Autoren, neue Perspektiven. Dabei ist es erforderlich, die eigenen Annahmen zu hinterfragen sowie etablierte und bewährte, aber einengende implizite Denk- und Handlungsmuster über Bord zu werfen.

Das Buch beschreibt einen methodisch fundierten Prozess integrativen Denkens, der über vier Stufen zu einem besseren Lösungsweg führt: In der ersten Phase gilt es, die Problemsituation und die relevanten Alternativen zu verstehen. Dann werden das Spannungsverhältnis, mögliche Wirkungszusammenhänge sowie die grundlegenden Annahmen untersucht. Im dritten Schritt werden die sich bietenden Möglichkeiten der Integration erforscht, die dann im Weiteren anhand von Prototypen getestet und verbessert werden. 

Integratives Denken wird, wie Riel und Martin einräumen, nicht jedes Problem lösen können. Dennoch kann es helfen, auch vermeintlich verzwickte Probleme einer neuen Lösung zuzuführen, wie viele Beispiele im Buch belegen. Zu diesem Zweck enthält das Werk zahlreiche Handlungshilfen und Vorlagen. Sie ermöglichen es dem Leser, den Weg integrativen Denkens selbst zu gehen.

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