Macht die Digitalisierung krank? Gibt es ein richtiges und falsches betriebliches Gesundheitsmanagement? Der Weg zu einem gesunden Unternehmen ist mit Irrtümern und Missverständnissen gepflastert. Erfahrene BGM-Spezialisten klärten beim Round Table auf.
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Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass BGM kein Goodie ist. Zwar arbeiteten nur wenige systematisch mit Kennzahlen wie mit einem Corporate-Health-Index. Doch solange ein strukturiertes betriebliches Gesundheitsmanagement installiert ist, von dem Mitarbeiter, Führungskräfte und die Organisation profitieren, müssen Kennzahlen im ersten Schritt nicht oberste Priorität haben.
Richtiges oder falsches BGM?
Was ist ein Alibi-BGM und wie sieht ein wirkungsvolles aus? Einzelmaßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wie ein Gesundheitstag im Jahr sind zwar eine Hilfe zur Selbsthilfe, aber als Einzelmaßnahme weit davon entfernt, das Leistungsvermögen des Unternehmens zu erhalten oder zu steigern. Die Teilnehmer sind sich einig: Ein Obst- oder Gesundheitstag ist eine nette Aufmerksamkeit den Mitarbeitern gegenüber, aber ein zielführendes betriebliches Gesundheitsmanagement will und muss neben der Verhaltens- auch die Verhältnisebene erfassen.
Der Papiertiger bekommt Zähne
Die Prüfer vom Gewerbeaufsichtsamt und der Berufsgenossenschaften sind unterwegs und verhängen erste Strafen, wenn Arbeitgeber der Pflicht zur Psychischen Gefährdungsbeurteilung nicht nachgekommen sind. Manche Betriebe, so berichten die BGM- Experten, nehmen lieber in Kauf, die angesetzten 5000 Euro Strafe zahlen, als ihre Aufgabe zu erfüllen. Viele wissen jedoch nicht, dass auf die Geschäftsführung im schlimmsten Fall die persönliche Haftung zukommen kann.
Was die Aufgabe für Unternehmen erschwert, sind die zahlreichen Instrumente, die für eine Erhebung zur Verfügung stehen. Patentrezepte gibt es nicht. Je nach Unternehmensgröße und Anzahl der Arbeitsplatztypen bieten sich viele Möglichkeiten – von der einfachen Checkliste für Kleinstbetriebe über moderierte Verfahren bis hin zu Fragebogenverfahren mit detaillierten statistischen Auswertungen.
Die Verbesserungsmaßnahmen, die das Gesetz im Zuge der psychischen Gefährdungsbeurteilung fordert, müssen weder teuer noch aufwändig ein. Die Mehrheit der von Mitarbeitern genannten Belastungen beziehen sich auf die Verhältnisse rund um den Arbeitsplatz. Beispielsweise die Art der Schichtplanung, veraltete Sozialräume oder unzureichende Schulungen bei neuen technischen Herausforderungen. Hier können Betriebe oft mit verhältnismäßig kleinen Maßnahmen eine große Wirkung erzielen.
Macht die Digitalisierung krank?
Die Experten warnen vor einem Schwarz-Weiß-Denken. Digitalisierung wird heute als Synonym für besondere Arbeitsverdichtung und alle Arten von Stress benutzt. Die Experten sind sich einig: Der Druck, den Führungskräfte verspüren, war 1990 genauso groß wie heute. Mitarbeiter standen ebenso immer schon unter Druck, auch die Angst vor Arbeitsplatzverlust war in vielen Dekaden sehr präsent. Die Belastungen heute sind jedoch andere als früher. Mitarbeitende müssen unterstützt werden, mit den veränderten Herausforderungen zurecht zu kommen; Unternehmen müssen befähigt werden, Risiken, die sich aus der Arbeitswelt 4.0 ergeben, zu managen.
Tempo, Hektik, Unübersichtlichkeit: So erleben Führungskräfte und Mitarbeiter die heutige Arbeitswelt. Eine hohe Selbststeuerung und gute psychische Widerstandsfähigkeit sind Eigenschaften, die in der digitalen Arbeitswelt einen hohen Stellenwert bekommen. Verhaltensorientierte Trainings, die das Ziel haben, die individuellen gesundheitlichen Ressourcen des Menschen zu stärken, werden häufiger nachgefragt. Wer sich den Möglichkeiten und Grenzen seiner eigenen Ressourcen bewusst ist und alltagstaugliche Techniken erlernt hat, diese zu stärken, kann besser mit Belastungen umgehen.
Prävention in KMU lernt laufen
Werden die kleinen Betriebe, so das Ziel des Präventionsgesetzes, vom betrieblichen Gesundheitsdenken infiziert? Bundesweite Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor. Aktivitäten zur Steigerung des Bekanntheitsgrades der Koordinierungsstellen sind vielerorts geplant. Die BGM-Anbieter haben eine positive Sicht auf das Präventionsgesetz. Einige von ihnen beraten in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen KMU in BGM-Projekten. Gute Beispiele für die Umsetzung des Gesetzes sind also sichtbar.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.