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Schritt für Schritt zurück in den Beruf

Susanne Riedel (Name von der Redaktion geändert) arbeitete jahrelang als Produktionsassistentin für ein mittelständisches Unternehmen. Sie war engagiert, arbeitete unter Hochdruck für verschiedene Abteilungsleiter. Irgendwann wurden ihr die beruflichen und privaten Belastungen zu viel, denn neben ihrem Job kümmerte sie sich noch um den pflegebedürftigen Vater. Von heute auf morgen fiel sie erst einige Tage, dann Wochen und schließlich fast ein Jahr aus. Ein Arzt stellte die Diagnose: Burnout. Wegen der langen Fehlzeit und der dadurch entstandenen Kosten kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Dabei nahm er an, dass die Mitarbeiterin aufgrund der schweren Erkrankung nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werde. Die Mitarbeiterin ging vor Gericht. Mit Erfolg: Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam. 

Der Arbeitgeber hätte diesen Rechtsstreit vermeiden können, wenn er nach der längeren Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiterin geklärt hätte, in welcher Weise sie weiter beschäftigt werden kann. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur dann wirksam, wenn der
Arbeitgeber im Detail geprüft hat, welche Tätigkeit der Arbeitnehmer
nach längerem Ausfall ausüben könnte. (> Mehr dazu im zweiten Artikel.)

Leitfaden zum strukturierten BEM-Verfahren

Wie ein Unternehmen den Wiedereingliederungsprozess gestaltet, wird vom Gesetzgeber weitgehend freigestellt. Die Gestaltungsfreiheit birgt allerdings die Gefahr, (vermeidbare) Fehler zu machen. So war es auch im Fall von Susanne Riedel. Nachdem sie zum ersten Mal mehrere Wochen ausgefallen war, erhielt sie ein Schreiben des Arbeitgebers: „Sie fehlen nun bereits über sechs Wochen. An einem BEM-Verfahren sollten Sie teilnehmen, worüber wir sprechen sollten.“ Riedel erschrak, denn sie befürchtete schon zu diesem Zeitpunkt die Kündigung.

Wichtig ist daher, bereits zu Beginn des BEM-Prozesses eine Vertrauensbasis zwischen den Beteiligten herzustellen. Folgende Schritte sollten unter anderem eingeleitet werden:

1)    Nehmen Sie zunächst telefonisch mit dem Mitarbeiter Kontakt auf und informieren Sie ihn über die Versendung des Einladungsschreibens zum BEM, was auf jeden Fall auch schriftlich erfolgen muss.

2)    Die Teilnahme des Mitarbeiters am BEM ist freiwillig. Bitten Sie den Mitarbeiter um eine schriftliche Zustimmung oder Ablehnung des BEM, und äußern Sie dabei auch, dass Sie ein BEM begrüßen würden. So schaffen Sie Vertrauen.

3)    Vereinbaren Sie ein erstes Informationsgespräch, das unter anderem die BEM-Ziele, die Interessensvertretungen und den Datenschutz zum Inhalt hat.

4)    Führen Sie ein BEM-Maßnahmengespräch mit dem Kernteam. Zu diesem gehören der Mitarbeiter, ein Mitglied des Betriebsrats und ein Arbeitgebervertreter (zum Beispiel ein Personalverantwortlicher). Hier geht es darum, mit dem Mitarbeiter Optionen zur Anpassung beziehungsweise zu einem Wechsel des bisherigen Arbeitsplatzes zu entwickeln. Bei dem Maßnahmengespräch sollte gemeinsam analysiert werden, ob die Bedingungen am Arbeitsplatz dazu geführt haben, dass der Mitarbeiter erkrankt ist. Für den Betroffenen bietet sich die große Chance, Belastungen zu thematisieren; für den Arbeitgeber wiederum Ursachen zu identifizieren.

Maßnahmenplan erstellen

Entwickeln sich die Gespräche in die Richtung, dass eine Wiedereingliederung des Mitarbeiters erstrebenswert ist, sollte vor der Wiederaufnahme der Arbeit ein konkreter Maßnahmenplan erstellt werden, der dokumentiert und auch mit dem direkten Vorgesetzten besprochen werden sollte. Folgende Maßnahmen könnten den Mitarbeiter bei der Wiederaufnahme seiner Arbeit unterstützen:

•    Arbeitsentlastung, Reduzierung der Arbeitszeiten, flexible Arbeitsplatzregelung (beispielsweise Homeoffice),

•    Umbau des Arbeitsplatzes nach ergonomischen Kriterien oder technische Arbeitshilfen (insbesondere bei körperlichen Einschränkungen),

•    Reduzierung der Arbeitszeit auf mindestens 15 Wochenstunden für den Fall, dass Angehörige gepflegt werden müssen (Recht des Arbeitnehmers auf Familienpflegezeit)

•    Auf das Angebot externer Experten zurückgreifen (Psychotherapeuten, Suchtberater, externe BEM-Berater).

Wie führt man ein BEM-Gespräch?

Die Führungskraft sollte zwar möglichst frühzeitig eingeschaltet und an der Maßnahmenentwicklung beteiligt werden, doch maßgeblich steuert das BEM-Kernteam das Verfahren. Hat der direkte Vorgesetzte zum Beispiel zur Überlastung seines Mitarbeiters beigetragen, kommt er als neutraler Prozessleiter nicht infrage. Selbstverständlich kann sich die Führungskraft vom betroffenen Mitarbeiter oder dem BEM-Team über den Prozessverlauf informieren lassen.

Konstruktive Gespräche mit den Beteiligten zu führen, stellt für die Verantwortlichen oftmals eine große Herausforderung dar. Um den Betroffenen kompetent beraten zu können, müssen sie unter anderem rechtliche und finanzielle Fragen beantworten können: Zum Beispiel sollten sie wissen, welche Unterstützungsleistungen der Arbeitnehmer während der stufenweisen Wiedereingliederung beantragen kann.

Vertrauen und Fingerspitzengefühl sind gefragt

Wichtig ist, dass man im Gespräch Vertrauen zu den Betroffenen aufbaut. Gerade psychisch Erkrankte werden nicht so freimütig über ihre Situation sprechen wie jemand, der etwa einen Bandscheibenvorfall hatte. Ist der Betroffene beispielsweise durch eine Suchterkrankung ausgefallen, ist im Gespräch Fingerspitzengefühl geboten: Der Mitarbeiter darf nicht nach Krankheitsursachen, Diagnosen oder Medikamente gefragt werden. Vielmehr ist es wichtig, über Lösungsmöglichkeiten zu sprechen, wie psychische Belastungen im Arbeitsumfeld reduziert werden könnten (etwa durch Arbeitsentlastung).

Für viele Führungskräfte sind solche Gespräche schwierig, weil sie oftmals gehemmt sind oder schlichtweg nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Eine Schulung zum Thema „Gesund führen“, die von externen Beratungsunternehmen für Betriebliches Gesundheitsmanagement angeboten wird, kann sinnvoll sein: Hier thematisieren die Führungskräfte ihre Ängste oder Sorgen und üben in Rollenspielen, die richtigen Fragen zu stellen. Oftmals sind ein klärendes Gespräch mit dem beteiligten Arzt und die Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht vonnöten. Dies darf natürlich immer nur mit der Einwilligung des Betroffenen stattfinden.

Anspruch auf eine leidensgerechte Tätigkeit

Das BEM-Verfahren ist beendet, wenn die Maßnahmen durchgeführt wurden. Meistens geht die Wiedereingliederung in die Wiederaufnahme der regulären Arbeit über. Im Einzelfall müssen weitere Maßnahmen festgelegt werden, um einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Kann der Mitarbeiter seine frühere Tätigkeit nicht mehr ausüben, sollte man prüfen, ob man ihm eine Umschulung anbieten kann. Verpflichtet ist der Arbeitgeber allerdings dazu nicht.

Beispiel für eine gelungene Umschulung: Die Mitarbeiterin hatte einen Bandscheibenvorfall erlitten und war in ihrer Erwerbsfähigkeit im Beruf Altenpflegerin gefährdet. Nachdem die Mitarbeiterin zunächst eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erhielt, um das Leistungsvermögen zu verbessern, folgte im Anschluss eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Weiterbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft. Hierdurch konnten der Arbeitsplatz und die Kompetenz der Mitarbeiterin im Pflegeunternehmen erhalten werden. Gleichzeitig konnten durch das rechtzeitige Handeln weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten abgewendet werden.

Kündigung trotz BEM

Trotz aller wünschenswerter Hilfestellungen für den Betroffenen beim Wiedereinstieg ist ein BEM ein ergebnisoffener Prozess, an dessen Ende auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehen kann. Selbst wenn der Arbeitgeber im Rahmen des organisierten Suchprozesses (> mehr dazu im zweiten Artikel) alles versucht hat, um den Betroffenen weiter zu beschäftigen, ist in manchen Fällen eine krankheitsbedingte Kündigung unvermeidbar und unter Umständen die beste Lösung für beide Seiten.

Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall die Möglichkeit, beim zuständigen Kostenträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erhalten. Diese beinhalten unter anderem auch eine Unterstützung bei der Suche nach einer neuen, leistungsgerechten Tätigkeit. Unter bestimmten Voraussetzungen können vorher noch die Kosten für eine Umschulung oder Weiterbildung übernommen werden.

Sollte der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sein, länger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten, hat er Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente. „Da Erwerbsminderungsrenten häufig befristet gewährt werden, bieten in diesen Fällen einige Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Aufhebungsvertrag mit Rückkehrrecht an“, weiß Robert Krause, BEM-Berater der Pebb GmbH. „Der Arbeitnehmer hat so die Möglichkeit, ins Unternehmen zurückzukehren, sollte sich sein gesundheitlicher Zustand verbessern und eine Weiterbeschäftigung zulassen“. (an)

Nützliche Links:

www.neue-wege-im-bem.de: Der Leitfaden des DGB Bildungswerk Bund gibt einen guten Überblick zur Einführung und Optimierung der Strukturen für ein BEM, der Entwicklung eines Arbeitsfähigkeitscoachings und der Unterstützung durch externe Akteure.

www.bmas.de: Nützliche Vordrucke zur Gestaltung einer BEM-spezifischen Betriebs-und Dienstvereinbarung finden Arbeitgeber in der Broschüre „Schritt für Schritt zurück in den Jobf“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

www.bghw.de: Im Handlungsleitfaden zum BEM finden Arbeitgeber auf der Homepage der Berufsgenossenschaft Erläuterungen rund um den § 84. Abs.2 SGB IX und den Datenschutz. Außerdem findet man Praxishilfen, zum Beispiel einen Leitfaden zum Erst-, Folge- und Abschlussgespräch sowie die Dokumentation eines Maßnahmenplans.

Die > Deutsche Rentenversicherung bietet mit ihrem Firmenservice eine Vielzahl von Informationen rund um die Themen gesunde Beschäftigte, Rente und Altersvorsorge sowie Sozialabgaben an.

> Jetzt weiterlesen: Rechte und Pflichten beim BEM

Noch mehr Wissenswertes finden Sie in unserem > Themenspecial „BEM“.