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Sensibel durch die Corona-Krise

Jedes Unternehmen ist verpflichtet, die psychischen Belastungsfaktoren
am Arbeitsplatz zu erfassen – und zu beheben. Gerade jetzt in der
Corona-Krise ist dies wichtiger denn je. Eine schwere Aufgabe? Nicht
unbedingt. Gehen Sie systematisch vor und holen Sie sich, wo notwendig,
Hilfe von außen.

Psychische Gefährdungsbeurteilung
Foto: © prachid / stock.adobe.com

Arbeit darf nicht krank machen – dafür sorgt auch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Früher kümmerte es sich nur um die körperlichen Belastungen im Job. Aber weil die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit Jahren rasant steigen und die Frühverrentung wegen dieser Diagnosen inzwischen bei rund 43 Prozent liegen, müssen Unternehmen auch die psychischen „Krankmacher“ identifizieren und abstellen. Die regelmäßige psychische Gefährdungsbeurteilung (GB-Psych) ist daher seit 2014 für alle Arbeitgeber Pflicht – auch für Kleinbetriebe bis maximal zehn Beschäftigten. Nach einer Übergangszeit kontrollieren seit 2018 Gewerbeaufsichtsamt, Berufsgenossenschaft sowie Unfall- und Rentenversicherung, ob Betriebe die GB-Psych erheben. Passiert das nicht, kann dies als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 25 000 Euro bestraft werden. Im schlimmsten Einzelfall kommt es zur strafrechtlichen persönlichen Haftung des Geschäftsführers, weil er die Gesundheit eines Mitarbeiters aufs Spiel setzt.

Welche Einflüsse im Job der Psyche schaden

Unternehmen müssen nicht überprüfen, ob ein einzelner Mitarbeiter aufgrund seiner persönlichen Konstitution die Arbeit als stressend empfindet. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, die Rahmenbedingungen der Arbeitsplätze und der einzelnen Tätigkeiten unter die Lupe nehmen. Zu den Gegebenheiten, die Einfluss auf die psychische Belastung des Arbeitnehmers haben, zählt das Gesetz beispielweise eine quantitative oder qualitative Überforderung von Mitarbeitern oder Abläufe in der Arbeitsorganisation (wie unklare Zuständigkeiten oder häufige Störungen). Auch Dauer und Verteilung der Arbeitszeit (wie Schichtwechsel, Nachtdienst, Pausenregelungen), sowie Umgebungsfaktoren (Lärm, Beleuchtung und Klima müssen berücksichtigt werden). Da soziale Bedingungen sich ebenfalls auf die Psyche auswirken, gilt es auch, das Miteinander der Beschäftigten (Streit oder Mobbing) und das Führungsverhalten der Vorgesetzten zu betrachten.  

Schrittweises Vorgehen

Die GB-Psych kann im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung erfolgen. In der Praxis des Arbeitsschutzes hat sich dafür ein schrittweises Vorgehen bewährt. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), eine auf Dauer angelegte Plattform von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern, hat dafür Leitlinien festgelegt, die von allen an der GB-Psych Beteiligten beachtet werden müssen.

Zu ihnen zählen meist mehrere Akteure im Betrieb wie die Geschäftsleitung, HR, Arbeitsmediziner, Sicherheitsverantwortliche, BGM-Experten und der Betriebsrat. In der Regel berät ein Arbeitskreis aus diesen Personen darüber, wie die GB-Psych ablaufen soll. Er kann sich darauf einigen, das Verfahren mit Inhouse-Ressourcen zu stemmen oder einen fachkundigen externen Gesundheitsberater einzubinden. Was sehen die Leitlinien der Erhebung vor? 

1. Schritt: Einheiten bilden
Da nicht der einzelne Beschäftigte im Vordergrund steht, werden zunächst die unterschiedlichen Arbeitsbereiche und Tätigkeiten identifiziert und zusammengefasst. Zum Beispiel nach gleichartigen Arbeitsbedingungen eines Bereichs wie Verwaltung, Produktion, Lager oder Außendienst. Möglich ist auch eine Unterteilung nach Berufsgruppen wie Sachbearbeiter, Führungskraft, Kundenbetreuer, Verkäufer oder Call-Center-Mitarbeiter.
2. Schritt: Belastungen erfassen
Zu Beginn können Betriebe alle Informationen zusammentragen, die schon vorliegen und im weitesten Sinne über die psychische Belastung bei der Arbeit Auskunft geben. Damit sind Daten gemeint aus Mitarbeiterbefragungen, der Fehlzeitenanalyse pro Abteilung, Krankenstand insgesamt, Mitarbeiterfluktuation oder geäußerte Gesundheitsbeschwerden.
Im Weiteren stehen dann drei Methoden zur Auswahl: Workshops durch fachkundige Experten, die Arbeitsplatzbeobachtung vor Ort oder schriftliche Mitarbeiterbefragungen. Wie die Betriebe im Einzelnen vorgehen, ist dem Gesetzgeber egal. Das macht es schwierig für Arbeitgeber, denn es gibt keinen Königsweg.

Standardfragebögen im Internet sind mit Vorsicht zu betrachten, da sie nicht auf die Tätigkeiten der jeweiligen Branche zugeschnitten sind. Auskunft über die passenden Instrumente geben Unfallversicherungsträger, Berufsgenossenschaft und die zuständige Arbeitsschutzbehörde. 

3. Schritt: Beurteilen der psychischen Belastungen
Ab wann ist ein Aspekt der Arbeit als psychisch belastend anzusehen? Dazu gibt es keine allgemeingültigen Grenzwerte. Es kann daher sinnvoll und notwendig sein, zur Analyse der Ergebnisse Fachleute hinzuzuziehen. Hilfreich ist es, Vergleiche innerhalb des Unternehmens anzustellen. Ein Beispiel: Die Mitarbeiter im Controlling eines Betriebs sind deutlich häufiger krank, als Produktentwickler oder Kundendienstberater. Wenn gleichzeitig die Controller überdurchschnittlich oft angeben, dass sie häufig bei der Arbeit unterbrochen werden, liegt es nahe, diesen Faktor als Belastung zu interpretieren.

Bewährt hat sich ebenfalls, auf die Top-drei-Belastungen zu schauen, die von einer Tätigkeitsgruppe als störend angegeben wurden. Wenn beispielweise 65 Prozent von ihnen „Lärm am Arbeitsplatz“ als stressend empfinden, handelt es sich nicht um die Befindlichkeit einzelner Personen, sondern die Mehrheit fühlt sich in der Konzentration gestört.

4. Schritt: Belastungsfaktoren ausschalten
Sinnvoll ist es, zunächst zu analysieren, von welchen Belastungsfaktoren der größte Stress ausgeht. Wenn eine Mehrheit zu lange Besprechungen oder fehlende Pausen in der Abteilung X als belastend empfindet, sollte zuerst immer der angesprochene Störfaktor aufgegriffen werden – sei es über organisatorische oder technische Veränderungen.

Empfohlen wird auch, zwischen leicht und zeitnah zu realisierende Maßnahmen und längerfristigen Prozessen zu unterscheiden. Der Umgebungslärm, der das Arbeiten stört, lässt sich mit Headsets und Raumteiler schnell reduzieren. Mit dem Zusatznutzen, dass die Mitarbeitenden erleben: Ihre Antworten werden ernst genommen und ihre Arbeitssituation ändert sich.

Als längerfristige Maßnahmen gelten jene, die das soziale Miteinander verändern sollen. Erleben die Beschäftigten das Arbeitsklima als belastend, weil sie sich von ihrem Vorgesetzten missachtet fühlen, sollten diese im gesundheitsgerechten Führen geschult werden. Ist die Stimmung im Team schlecht, können geschulte Führungskräfte oder externe Konfliktmanager helfen.

5. Schritt: Wirkung kontrollieren und dokumentieren
Laut Gesetz müssen Betriebe nach einer gewissen Zeit prüfen, ob sich die psychische Belastungssituation durch ihre Maßnahmen verändert hat oder nicht. Dazu können sie bei den betroffenen Beschäftigten mündlich nachfragen oder eine schriftliche Kurzbefragung der gesamten Abteilung durchführen.

Wichtig ist: Alle Betriebe sind zu einer Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung verpflichtet. Diese muss deutlich machen, dass die GB-Psych angemessen durchgeführt wurde, welche Maßnahmen aufgesetzt und ob die Schutzziele des  Arbeitnehmers erreicht wurden. Die Dokumentation kann in Papierform erfolgen oder als elektronische Datei gespeichert werden.

Gesetz mit Gewinn

Die GB-Psych ist tatsächlich kein Kinderspiel. Manche Unternehmen sehen sie aber nicht als eine lästige Pflicht, sondern nutzen sie, um die Ausfallrisiken von Mitarbeitern zu reduzieren und Prozesse zu verbessern, sowie als Startschuss für ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Denn letztlich – nicht nur vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – profitieren Arbeitgeber davon, die körperliche und psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern und ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Mehr zum Thema

› GDA Psyche
› www.gefaehrdungsbeurteilung.de
› BAuA


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„Betriebliches Gesundheitsmanagement“, das › hier für Sie zum kostenlosen
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bereit steht.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.