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So arbeitet Neue Narrative mit chronisch kranken Beschäftigten

Emma Marx hat Endometriose – eine Unterleibserkrankung, die bei ihr starke Schmerzen mit sich zieht. Ihr gesundheitlicher Zustand beeinflusst immer wieder mal ihre Tätigkeit als Redakteurin bei Neue Narrative, einem Magazin für New Work. Im Unternehmen ist das bekannt. Entwickelte Marx selbst doch zu Beginn ihrer Karriere bei dem Magazin in der Ausgabe mit dem Themenschwerpunkt Gesundheit ein Canvas für den Umgang mit chronisch kranken Mitarbeitenden. Dieses Canvas, ein strukturierter Fragebogen, hat Neue Narrative seitdem dabei geholfen, mit den rund 30 Prozent des Teams, die von chronischen Krankheiten betroffen sind, bestmöglich umzugehen.

Das Canvas helfe Menschen wie einem Kollegen von ihr dabei, über seine depressiven Schübe zu sprechen und dem Rest des Teams mitzuteilen, was er in welcher Situation braucht. Arbeitgeber sollten allen Mitarbeitenden so ein Canvas geben – mit dem Angebot, es auszufüllen – ist Marx überzeugt. „Den ersten Schritt sollten Arbeitgeber machen“, sagt die Redakteurin. „Es ist nervig und schambehaftet für Betroffene, das Thema selbst einzubringen.“

Beim Onboarding erstmals darüber sprechen

Das Canvas solle den Einstieg ins Thema chronische Erkrankungen ermöglichen und im besten Fall bereits beim Onboarding vom Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin gemeinsam mit einer HR-Fachkraft oder dem Teamverantwortlichen ausgefüllt werden. Es besteht aus mehreren thematisch gebündelten Fragen wie etwa: Was für eine Krankheit habe ich und welche Einschränkungen ergeben sich für mich daraus? Wie möchte ich, dass über meine Krankheit kommuniziert wird? Wenn es mir nicht gut geht, was hilft mir? Wer übernimmt meine Aufgaben, wenn ich nicht arbeiten kann? Und was passiert, wenn ich einen Schub habe?

Emma Marx ist Redakteurin bei Neue Narrative und hat ein Canva für den Umgang mit chronisch kranken Beschäftigten erstellt. (Foto: privat)

Bei Neue Narrative wird das ausgefüllte Canvas für alle Mitarbeitenden sichtbar im internen Online-Bereich publiziert. Das macht die betroffene Person selbst, so Marx. So hat sie die Kontrolle darüber, was ihre Kolleginnen und Kollegen erfahren. Eine interne Veröffentlichung der Antworten funktioniere aber nur, wenn im Unternehmen bereits eine offene Kultur herrscht, die von einem Sicherheitsgefühl und gegenseitigem Respekt geprägt ist. Das sei bei Neue Narrative der Fall.

Für Unternehmen, die noch auf dem Weg zu dieser Unternehmenskultur sind, empfiehlt Marx: „Die Mächtigsten im Unternehmen müssen sich selbst vulnerabel zeigen.“ Gemeint sind die Teamleads. Wenn sie selbst nicht chronisch krank sind, könnten sie das Canvas auch nutzen, um zu erklären, was ihnen im Falle von schlechter Laune oder Stimmungsschwankungen hilft. Denn niemand ist immer 100 Prozent fit.      

Emojis geben den Gesundheitsstatus an

Damit auch Jeder und Jede im Team weiß, wie der gesundheitliche Zustand aller Teammitglieder ist, arbeiten die Mitarbeitenden bei der Neuen Narrative mit entsprechenden Emojis in ihrem Slack-Status. Ist neben dem Profilbild des Mitarbeiters eine halbvolle Batterie zu sehen, bedeutet das, dass die Person wegen emotionalen oder körperlichen Zuständen nicht ganz da ist und nur eingeschränkt arbeiten kann. Setzt die Mitarbeiterin ein Gesicht mit einem Fieberthermometer in den Status, macht sie klar, dass sie krank ist. Das ersetzt aber nicht, sich offiziell krankzumelden. Beide Emojis würden den Kolleginnen und Kollegen dabei helfen, abzuschätzen, ob und mit welchen Themen sie gerade an die Person herantreten.

Im Slack-Profil der Redakteurin steht, dass sie chronisch Krank ist und was das für die Kolleginnen und Kollegen bedeutet. (Foto: Screenshot Emma Marx)
























Reine Kommunikation alleine löse die Herausforderung nicht, welche die Arbeit mit chronisch kranken Talenten mit sich ziehen kann. Vielmehr müssten auch Prozesse angepasst und flexibilisiert werden – etwas, wovon im Übrigen jedes Teammitglied etwas hätte. „Wir arbeiten viel mit Puffern“, sagt Marx. Ihr Kollege, der ebenfalls chronisch krank ist, beispielsweise ist für Social Media verantwortlich und habe immer ein paar mehr Posts in der Hinterhand, auf die seine vorab festgelegte Vertretung zugreifen könne, wenn es ihm nicht gut geht.

Auch gebe es kaum harte Deadlines. „Bei uns gibt es wenige Fristen und ich würde jedes Unternehmen dazu ermutigen, zu überlegen, wie wichtig Deadlines für das eigene tägliche Arbeiten wirklich sind“, sagt Marx. Denn Fristen erzeugten Druck und den gelte es in der Zusammenarbeit mit chronisch Kranken, aber auch mit Mitarbeitenden, die nicht eingeschränkt sind, zu vermeiden. „Für uns ist es wichtig, dass allen Teammitgliedern bewusst ist: Es ist in den allermeisten Fällen egal, ob der Arbeitsschritt heute oder nächste Woche passiert, solange alle Beteiligten Bescheid wissen, wenn etwas noch dauert und wir uns sicher sind, dass die Arbeit nicht komplett ausfällt“, sagt die Redakteurin.

Solidarität fördern

Irgendwann muss die Arbeit aber natürlich dennoch erledigt werden. Deshalb sei ein gutes Vertretungssystem essenziell. Gerade, wenn wie bei der Neuen Narrative diejenigen mit chronischen Erkrankungen etwa 33 Prozent der Arbeitskraft ausmachen. Durch die selbstorganisierte Arbeitsweise im Unternehmen komme es jedoch eher selten zu dem Fall, dass etwas nicht weiterlaufen kann, weil ein Kollege oder eine Kollegin krank ist. Jede und Jeder könne die eigenen Projekte gut auch ohne die Anderen erledigen. Trotzdem gibt es für jede wiederkehrende Aufgabe einer chronisch kranken Person, die nicht ein paar Tage aufgeschoben werden kann, eine Vertretung.

In Unternehmen, in denen es strukturell nicht vermieden werden kann, dass Kollegen und Kolleginnen spontan einspringen, kann das aber natürlich auch zu Frustration führen. Damit das nicht geschieht, sei die Solidarität der nicht kranken Mitarbeitenden wichtig. „Chronisch kranke Teammitglieder müssen wissen, dass intern alle hinter ihnen stehen“, sagt Marx. „Es geht darum, sich in der jeweiligen Vulnerabilität zu schützen. Und das bezieht sich dann auch auf Momente, in denen diejenigen ausfallen, die nicht chronisch krank sind.“

Das Canvas der Neuen Narrative für den Umgang mit chronisch kranken Mitarbeitenden kann hier heruntergeladen werden.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.