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Unternehmens- und Arbeitskultur gestalten: Was kann HR tun?

Frage an die HR-Werkstatt: Was kann die Personalabteilung tun, um die Arbeits- und Unternehmenskultur mitzugestalten?

Es antworten: Bernhard Schelenz, Geschäftsführer einer gleichnamigen Agentur für Arbeitgeberkommunikation, und Eric Schuck, Geschäftsführer der Managementberatung HR-Advisors

Was passiert gerade? Offenbar haben Personaler fleißig bei der Dichterin Ingeborg Bachmann nachgelesen: „Keine neue Welt ohne neue Sprache.“ Scharenweise benennen sich die HR-Abteilungen um, ganz vorne liegt das schicke Etikett „People & Culture“. Falls das nicht nur Ausdruck woken Mitläufertums ist, dürfte das bedeuten, dass das Personalressort nun das Thema „Kultur“ federführend vertreten will.

Doch der Weg von der Erkenntnis zur Umsetzung ist ein außerordentlich mühsamer. Denn Kultur entsteht nicht in einem demokratischen Prozess, sondern wird durch Vor- und Nachleben konstituiert. Mit der Zeit werden selbst orkansicher verankerte Leitplanken brüchig und straflos verrückbar. Ein einziges schlechtes Vorbild kann einen Grenzzaun zunichtemachen. Und eine Kultur, die nur als Postulat formuliert, aber nicht von allen Beteiligten gelebt wird, ist ein Feigenblatt, ein kollektives So-tun-als-ob.

HR wird freilich erst dann zu „People & Culture“ und zum mitbestimmenden und ernstzunehmenden Faktor bei der Ausprägung von Kultur, wenn es die relevanten HR-Touchpoints konsequent nach der Kultur ausrichtet, die im Unternehmen gewollt wird. Denn Mitarbeitenden und Bewerbende erleben die Kultur der Arbeitswelt konkret da, wo es konkrete Berührungspunkte mit dem Arbeitgeber gibt. Hier wird Kulturarbeit – die HR leisten muss – sichtbar und operationalisierbar als gut bestückter Instrumentenkoffer.

Bei der Operationalisierung des Kulturhandelns hilft das HR Touchpoint Modell.

Anhand von Beispielen für gestaltbare Kulturmerkmale aus jedem Quadranten der Touchpoint-Grafik wollen wir zeigen, wie HR konkret zur authentischen Konstituierung von Kultur im Unternehmen beitragen kann.

Handlungsfeld: Einstieg – Touchpoint: Bewerbungsgespräch

Für das Bewerbungsgespräch greifen Personaler gern auf den klassischen Leitfaden zurück: angenehme Atmosphäre schaffen, mit Smalltalk ins Gespräch einsteigen, gezielt Fragen stellen. Lautet die Kulturaufgabe indes: Mehr Transparenz schaffen, dann sind ausgedehnte Frage-Antwort-Runden, in denen Bewerberinnen und Bewerber als einzige Transparenz beweisen müssen, ausgesprochen kontraproduktiv. Denn was lernen die potenziell neuen Kollegen daraus anderes, als dass nur sie es sind, von denen Informationen erwartet werden?

Transparenz schaffen zu wollen bedeutet, den Wert vorzuleben. Das kann sehr einfach gehen, in dem man der Bewerberin oder dem Bewerber im Bewerbungsgespräch von den aktuellen Herausforderungen der Personalarbeit erzählt. Oder davon, wie es dem Personaler selbst bei seinem Bewerbungsgespräch ging, wie er den Geist des Unternehmens erspürt und wahrgenommen hatte. Über unschwer zu gewinnende Sympathiepunkte hinaus wird HR beim Bewerber den sicheren Eindruck vom Offenheit und Vertrauen hinterlassen. Und das mit einem einzigen Gespräch, von dem mit Sicherheit noch einige andere Menschen erfahren werden.

Das Kulturmerkmal Verbindlichkeit kann beim Bewerbungsgespräch ganz konkret sichtbar werden: In dem nämlich die – leider übliche –  Abschiedsfloskel „Vielen Dank, Sie hören von uns“ ersetzt wird: „Herzlichen Dank für Ihren Besuch bei uns. Wir melden uns innerhalb von zwei Tagen bei Ihnen.“

In Unternehmen, die Wert legen auf Verbindlichkeit, muss das dann auch so geschehen.

Handlungsfeld: Werbung – Touchpoint: Karrierewebsite

Die Karrierewebsite ist der erste Touchpoint, an dem Bewerber mit einem Arbeitgeber in Berührung kommen. Und was erfahren sie da? Meist nur das, was das Unternehmen stolz von sich behauptet: „Wir sind …, wir wollen …, wir streben an …, wir werden …“ „Aha“, denken die Bewerber, „das klingt toll. Und wo ist der Beweis?“ Transparenz sieht anders aus. Warum dort nicht ein konkretes Projekt, einen herausfordernden Case darstellen oder, besser noch, von Mitarbeitenden im O-Ton beschreiben lassen? Bewerber schätzen es, wenn sie Einblicke in das Unternehmen bekommen, Momente aus der Arbeitswelt erfahren.

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Das Kulturmerkmal Wertschätzung konstituiert sich auf der Karriereseite schon allein dadurch, dass Mitarbeitende, die als Testimonials engagieren, professioniell inszeniert werden. Wer zum Beispiel . glaubt, auf professionelle Fotografen oder Visagisten bei Shootings verzichten zu können, der verzichtet oft auch auf eine werblich wirksame und wertschätzende „Bühneninszenierung“, die Mitarbeitende als Markenbotschafter des Unternehmens und des Arbeitgebers einfach gut aussehen lässt.

Handlungsfeld: Beziehung –Touchpoint: Diversity

Einige Unternehmen scheinen sich nicht zu trauen, beim Kulturmerkmal Diversity Transparenz an den Tag zu legen. Oft bleibt es unkonkret – die am häufigsten ergriffene Diversity-Maßnahme ist die Plakatierung des Satzes: „Vielfalt wird bei uns groß geschrieben.“ Wie anders klingt da die konkrete Information: „Bei uns arbeiten 180 Mitarbeiter aus elf Nationen.“ Oder: „26 Prozent unserer Mitarbeitenden sind in unternehmensinternen Netzwerken organisiert, die wir als Arbeitgeber fördern.“

Diversity soll nicht ideologisch, sondern praktisch gesehen werden. Das Begriffskonzept bedeutet nichts weiter, als die Akzeptanz und Wertschätzung von Individualität. Kulturell wirksam wird es, wenn sichtbar wird, dass jede/r Einzelne gesehen wird – auch die, die nicht zum Mainstream zählen.

Das Kulturmerkmal Verbindlichkeit im Kontext Diversity wird dann spürbar, wenn Projekte und Maßnahmen mit einem Budget ausgestattet werden, die Personalern wirksame Handlungsoptionen lassen.

Handlungsfeld: Bindung – Touchpoint: Work-Life-Balance

Statt des wohlfeilen Versprechens: „Wir legen Wert auf eine ausgewogene Verteilung von Berufs-
und Privatleben“ könnten Arbeitgeber auch sehr viel deutlicher sagen, welche Freiräume das Unter-nehmen seinen Mitarbeitenden gewährt. Gewiss muss man nicht alle 285 theoretisch denkbaren Work-Life- und Arbeitszeit-Modelle als praktische Option sehen. Allein das proaktive Nachfragen bei den Mitarbeitenden, zu welchem Modell sie zuneigen – in einem bestimmten Abschnitt ihres Lebens
– bringt die Wertschätzung zum Ausdruck und unterstreicht, dass dem Arbeitgeber das Wohlergehen der Mitarbeitenden wichtig ist und das Individuum gesehen wird.

Der Kultur-Wert Verbindlichkeit ist im betrieblichen Alltag leicht zu konstituieren: Anliegen von Mitarbeitenden im Kontext Work-Life sollen zeitnah von Führungskräften und/oder HR beantwortet werden und nicht auf der langen Bank verkümmern. Schnelligkeit im Handeln ist sichtbarer Ausdruck von Verbindlichkeit.

Ein merkmalsstarkes und positiv erlebtes Bild der Arbeits- und Unternehmenskultur wirkt nach innen identifikationsstiftend und wirkt extern als zentrales Attraktivitätsmerkmal gegenüber Bewerberzielgruppen. Kultur kann nicht verwaltet werden, sie muss gestaltet werden. HR ist aufgerufen, sich als Kulturarbeiter zu verstehen. Warum? Weil es sich lohnt.

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