Worüber andernorts seit Jahren diskutiert wird, ist im bayerischen Wiesthal seit Anfang des Jahres Realität: Die etwa 500 Beschäftigten des Messmaschinenherstellers Wenzel haben seit Beginn des Jahres die Möglichkeit, nur vier Tage in der Woche zu arbeiten. Wie das Unternehmen Anfang Februar mitteilte, wurde die Vier-Tage-Woche in der Produktion als Standard und in der Verwaltung als Option eingeführt – und das in den meisten Fällen ohne Lohnverzicht.
Konkret sieht das Arbeitszeitmodell eine Reduzierung der Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion von 37,5 auf 36 Stunden ohne Lohnverzicht vor. In der Produktion ist somit der Freitag zum zusätzlichen freien Tag geworden. Dadurch haben sich auch die Schichtzeiten von Montag bis Donnerstag leicht verschoben sowie auch verlängert. „Es gibt jedoch eine deutliche Präferenz der Mitarbeiter und der Geschäftsleitung, zunächst die Maschinen pro Tag länger laufen zu lassen, ehe der freie Freitag „geopfert“ wird“, erzählt Heike Wenzel. Mit dem Betriebsrat sei zwar vereinbart worden, dass bei Verzögerungen in der Produktion der Freitag als Arbeitstag genutzt werden könne, „wir gehen aber davon aus, dass dies nur in wenigen Ausnahmefällen genutzt werden muss“, fügt sie hinzu.
Wenzel will Vorreiter sein
„Die Reduzierung der Arbeitstage von fünf auf vier Tage pro Woche greift in allen Abteilungen, wo die Umsetzung möglich ist“, erklärt Personalleiter Daniel Eisler. Das Unternehmen sieht sich damit als „Vorreiter in seiner Branche und der Region“, wie es auf der Firmenwebseite verrät. Und in der Tat: Ein Blick in die Branche verrät, dass nicht viele Maschinenbauer sind diesen Schritt bisher gegangen sind oder auch nur angekündigt haben.
Also warum hat sich der Mittelständler für das Arbeitszeitmodell der Vier-Tage-Woche entschieden und welche Erfahrungen hat das Unternehmen bereits gemacht? Wir haben bei der Geschäftsführung in Wiesthal nachgefragt.
Wenzel sieht im Arbeitszeitmodell klaren Wettbewerbsvorteil
„Für uns ist das neue Arbeitszeitmodell auch eine tolle Möglichkeit, als attraktiver Arbeitgeber zu punkten, ein klarer Vorteil im Wettbewerb um die besten Talente am Arbeitsmarkt“, erklärt Geschäftsführerin Heike Wenzel. Als Mitte vergangenen Jahres die Arbeit an einem neuen Arbeitszeitmodell begann, habe man sich auch gefragt, was man aus der Corona-Krise beibehalten könne. „Viele Mitarbeiter hatten signalisiert, dass die durch Corona vorübergehend erforderliche Kurzarbeit eigentlich sehr gut zu den eigenen Ansprüchen passt“, schreibt das Unternehmen in einer Pressemitteilung.
Weiter heißt es dort sogar, dem Unternehmen sei die Motivation und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden wichtiger sei als die Auslastung der Maschinen. Auf Nachfrage heißt es aber auch, dass die Reduzierung der Maschinenlaufzeiten einen energetischen und Kostenvorteil habe. Denn durch den zusätzlichen freien Tag können die energieintensiven Maschinen und Klimatechnik in der Produktion bereits am Donnerstag abgestellt werden und 10 bis 15 Prozent an Energiekosten eingespart werden.
Und auch die Beschäftigten selbst scheinen zufrieden. „Das Modell wurde sehr gut angenommen und wird als absoluter Mehrwert angesehen,“ sagt die Geschäftsführerin. Allerdings sei das neue Modell noch nicht überall vollständig ausgerollt.
Aufgrund der aktuellen weltweiten Versorgungsengpässe sind zurzeit in der Fertigung und Montage sowie an der Zentrale, dem Wareneingang und dem Versand einige wenige Mitarbeiter präsent, um Terminverschiebungen zu vermeiden. „Das sind aber derzeit nur drei bis fünf Prozent der Mitarbeiter und es sollte gegen null Prozent sein, wenn die aktuellen Probleme bewältigt sind“, sagt Geschäftsführerin Wenzel.
40-Stunden-Verträge werden mit „Selbstbeteiligung“ reduziert
Einen Sonderfall stellen zudem die Beschäftigten dar, die laut Arbeitsvertrag 40 Stunden in der Woche arbeiten. Sie konnten sich aussuchen, entweder ebenfalls auf das Arbeitszeitmodell der Vier-Tage-Woche zu wechseln oder bei den alten Vertragskonditionen zu bleiben. Falls sich die Beschäftigten für einen Wechsel entscheiden, ändern sich zunächst die im Arbeitsvertrag festgelegten Wochenarbeitsstunden zu 37,5 – allerdings mit entsprechender Gehaltsreduktion. Zeitgleich greift dann aber auch das Modell der 4-Tage-Woche, das heißt eine erneute Reduzierung der Wochenstunden auf 36 – dieses Mal allerdings bei vollem Gehaltsaugleich.
Wenzel will an der Vier-Tage-Woche festhalten
„Wir sind überzeugt – und zumindest die ersten Wochen belegen das, dass die Produktivität nicht gesunken ist“, resümiert Geschäftsführerin Heike Wenzel die Einführung des neuen Arbeitszeitmodells in ihrem Unternehmen. Durch die geplante Einführung der Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender Anzahl der Wochenarbeitsstunden steht das belgischen Modell doch im deutlichen Kontrast zum neuen Arbeitszeitmodell des Maschinenbauers Wenzel, der die Reduzierung der Arbeitszeit bei nahezu vollem Lohnausgleich unternehmensintern etablieren möchte.
Geschäftsführerin Wenzel erklärt: „Das geplante Modell in Belgien mit großen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitszeit ist sicher für Mitarbeiter im Büro auch eine gute Lösung, in der Fertigung wäre das nur sehr schwierig umsetzbar. Ein Produktionsunternehmen wie Wenzel braucht zumindest klare zeitliche Abläufe, da viele Fertigungs- und Montageprozesse aufeinander aufbauen“.
Jan Schuermann war bis Sommer 2022 Volontär bei der Personalwirtschaft-Schwesterpublikation FINANCE und beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Gehalt in der Corporate-Finance-Welt. Im Frühjahr 2022 war die Personalwirtschaft eine seiner Ausbildungsstationen.