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Was ist und bringt Positive Leadership? Fünf Dinge, die Führungskräfte und HR wissen sollten

Schwächen ausmerzen, Defizite angehen, Macken verbessern: Das ist die Antwort, die viele Personaler, Personalerinnen und Führungskräfte auf diese Frage geben, genauer gesagt: die große Mehrzahl jener 80.000 Manager und Managerinnen, denen das Umfrageinstitut Gallup vor einigen Jahren diese Frage gestellt hatte. Und so weit verbreitet dieses Denken sein mag – es ist falsch und gefährlich. Für die Führenden selbst, für die Geführten, für die Organisation. Positive Leadership geht einen anderen Weg. Positives Führen setzt den Fokus mehr auf die Stärken, die Kompetenzen, die Erfolge – und ist damit nachweislich erfolgreicher als ein klassisches, an Mängeln ausgerichtetes Führungsverhalten. Was aber genau mit Positive Leadership gemeint ist – und was nicht; was positives Führen bringt; wie es gehen kann: Dazu im Folgenden einige Anregungen.

Was positives Führen ist – und was nicht

Darf man dann überhaupt noch kritisieren? Ist das nicht dieses positive Denken? So was eher esoterisches? Wenn ich für Trainings, Coachings oder Vorträge zu positive Leadership angefragt werde, dann werde ich immer wieder mit ähnlichen Missverständnissen und Mythen konfrontiert. Nein, positive Leadership ist keine Kuschelveranstaltung. Positives Führen ist ein Ansatz, der auf wissenschaftlichem Fundament Lust an und Leistung in der Arbeit zusammenbringen will. Eine empirisch messbare und nachweisbare Ergänzung klassischer Führungsansätze, die trotz ihrer wissenschaftlichen Fundierung alltagsnahe und praktische Empfehlungen bietet – für Einzelne, Teams und Organisationen. Positive Leadership basiert vor allem auf der Haltung, den Erkenntnissen und den Methoden der Positiven Psychologie, nutzt aber auch Wissen aus der Verhaltensökonomie, den Neurowissenschaften, der Change- und Innovationsforschung. Fehler vermeiden, Ziele erreichen, dass nichts schief geht – das ist die klassische Logik des Führens. Positive Leadership will verstehen, wann und wie Zielvorgaben überschritten werden, was Exzellenz ermöglicht, wo wer wieso die Extrameile geht.

Was Positive Leadership nützt

Menschen kommen meist zu einer Marke, zum Image eines Unternehmens. Sie bleiben wegen der Aufgaben – und gehen zumeist auf Grund des Führungsverhaltens. Prof. Dr. Nico Rose und Michael Steger haben in einer Untersuchung mit 600 deutschen Arbeitnehmern gezeigt, wie stark der Wechselwunsch bei Menschen ist, die sich schlecht geführt fühlen. Und wie massiv erhöht die tatsächliche Jobwechslerquote unter diesen Arbeitnehmern im Vergleich zu jenen ist, die angeben, dass ihre Führungskraft ihre Stärken sehe und anerkenne, ihnen Freiraum in der Arbeitsgestaltung lasse, den Mehrwert der eigenen Tätigkeit bewusst mache und so weiter. Werkzeug gegen die Fluktuation – das ist ein Argument für Positives Führen. Dr. Markus Ebner von der Uni Wien, der Positive Leadership im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht und vielfach untersucht hat, konnte unter anderem in seinen Studien nachweisen:

  • höhere Kundenumsätze in Filialen unterschiedlicher Handelsunternehmen,
  • niedrigere Krankenstände,
  • geringeres Burnout-Risiko,
  • bessere Schlafqualität und
  • niedrigere Stressbelastung

bei Mitarbeitenden, die von Positive Leaders geführt werden. Kim Cameron, der ursprünglich aus der Erforschung von Krisenunternehmen in Downsizing-Momenten die Merkmale positiven Führens identifiziert hat, zitiert in seinem aktuellen Buch eigene Untersuchungen, wonach Positive Leadership unter anderem zu

  • höherer Job-Zufriedenheit,
  • höherem Engagement,
  • besseren Leistungen,
  • aber auch höherem familiären Wohlbefinden der Mitarbeiter führt, die von positiven Führungskräften angeleitet werden

Eine Langzeituntersuchung Camerons an 40 erfolgreichen Wallstreet-Unternehmen ergab: rund 50 Prozent ihrer Performance-Verbesserung ließ sich durch Positive Leadership erklären.

Positives Führen ist messbar

Aber nicht nur die Effekte positiver Führung, auch positive Leadership an sich ist messbar. MBTI, Disc, Reiss-Profile: Es gibt viele Tests, die munter in Organisationen eingesetzt werden. Häufig geben diese Tests vor, Eigenschaften oder Motivationen zu messen – also recht stabile, kaum veränderbare Persönlichkeitsattribute. Das hat meist zur Folge, dass sich Menschen auch noch Jahre später als „blauer Typ“ oder „grüner Typ“ identifizieren und es sich sich damit in Schubladen bequem machen, die häufig auch noch ziemlich windig gezimmert sind. Denn keines der oben genannten Verfahren erfüllt in unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen die gängigen Güte-Anforderungen an sozialwissenschaftliche Forschung. Andere Führungsansätze machen erst gar nicht den Versuch, sich auf wissenschaftliche Erkenntnis zu stützen: Leadership-Formeln wie „Führen wie Jobs“, „Führen wie Ford“ oder „Führen wie die Tiger“ sind quasi rein Eminenz-basiert.

Positive Leadership hingegen setzt auf evidenzbasierte Untersuchung und Messung von Verhaltensweisen: Zur Wirksamkeit des PERMA-Modells Positiver Führung gibt es aktuell rund 150 Studien, die in wissenschaftlichen Journals veröffentlicht wurden. Noch deutlich mehr Nachweise gibt es bereits zur Förderung von Stärken, einem der Hauptpfeiler von Positive Leadership. Der PERMA-Lead-Profiler, ausschließlich über zertifizierte BeraterInnen erhältlich, misst positives Führungsverhalten in drei Versionen:

  • als Selbsteinschätzung,
  • als 360°-Feedback, also mit einem Abgleich der eigenen Wahrnehmung mit der Einschätzung durch Vorgesetzte, Peers und Mitarbeiter und
  • als Kulturanalyse, die mehrere 360°-Feedbacks von Führenden in einer Organisation, an einem Standort, auf einer Hierarchieebene oder ähnliches zusammenschaltet.

Und dieses Führungsverhalten lässt sich eben konkret verändern und verbessern.

Wie Positive Leadership konkret geht

Martin Seligman, der Gründervater der Positiven Psychologie, legte vor einigen Jahren mit seinem PERMA-Modell einen Denk- und Handlungsrahmen vor, der die Stärkenentfaltung und das Aufblühen von Menschen ermöglicht. Das Modell ist inzwischen das wohl am meisten beforschte Konzept menschlichen Wohlbefindens. Mit dem PERMA-Lead-Profiler ist es zu einem messbaren und verbesserbaren Führungskonzept geworden, das auf fünf Verhaltensweisen und Führungsstrategien beruht. Vieles davon wissen, können und machen Sie sowieso schon! Vielleicht gibt es im Folgenden aber auch noch ein paar Anregungen zu den fünf Dimensionen Positiver Führung des PERMA-Akronyms:

  • Positive Emotionen wecken: Was ist letzte Woche gut gelaufen? Wofür sind Sie dankbar? Worauf freuen Sie sich? Diese Fragen können Sie sich selbst oder Ihrer Abteilung stellen. Sie helfen dabei, Zuversicht, Heiterkeit, Gelassenheit und andere positive Emotionen zu stärken. Die machen uns nämlich leistungsfähiger, während Frust, Ärger, Zweifel unser Denken eher verengen.
  • Stärken und Engagement stärken: Welche Ihrer Talente, Kompetenzen, Qualitäten haben Sie heute/letzte Woche benützt? Was genau haben diese möglich oder leichter gemacht? Das wäre eine Möglichkeit, mit Stärken stärker in Kontakt zu kommen, den eigenen und denen anderer. Darüber schreibe ich ausführlich in meinem Buch „Positiv führen. Stärken erkennen und nützen“, falls Sie da tiefer einsteigen wollen.
  • Miteinander mehren, tragfähige Beziehungen („relationships“) fördern: Informelle Kaffeepausen, vor Ort oder remote; gemeinsame Challenges oder andere Aktivitäten; oder schlicht und einfach nur effiziente, gut geplante und geführte Meetings: All das sind Maßnahmen, die das Team-Gefühl verbessern können. Was davon machen Sie schon? Was könnten Sie noch mehr machen?
  • Sinn sehen und säen („meaning“): Wer hat was von Ihrer Arbeit und der Ihrer Belegschaft, wessen Leben machen Ihre Angebote oder Produkte oder Leistungen besser? Wer das Wofür seiner Arbeit klar hat, kommt mit dem Wie besser zurecht – gerade in turbulenten Zeiten. Klären und erklären Sie möglichst häufig das Wofür, für sich selbst, im Dialog mit den Mitarbeitern.
  • Ziele aufstellen, erreichen, feiern („accomplishment“): Besonders ehrgeizige Menschen sehen leicht die Defizite, Mängel, Fehler – Erfolge hingegen rutschen uns in der Arbeit häufig so durch. Eine positive Führungskraft macht Erreichtes sicht- und erlebbar, fragt genauer nach, wie und mit wem (Etappen-)Siege geschafft worden sind – damit sie keine Eintagsfliegen bleiben!

Was konkrete Beispiele für Positive Leadership wären, fragen Sie jetzt vielleicht? Na etwa durch Stärkentests oder in Stärken-Workshops die Kompetenzen der Mitarbeitenden stärker zu erkennen, anzuerkennen – und die Tätigkeiten stärker auf die jeweiligen Stärkenprofile zuzuschneiden. Oder in Projektmeetings bewusst den Blick auf Fortschritte und (Zwischen-)Erfolge zu lenken, um diese auch replizierbar zu machen – statt immer nur über Mängel und Fehler zu lamentieren. Firmen wie DM, IKEA, Lidl oder SOS-Kinderdorf setzen Positive Leadership bereits bewusst ein, auch in Krankenhäusern, an Hochschulen und in Polizeibehörden befasst man sich immer häufiger mit Positiver Führung.

Wie Positives Führen einführen?

„Was genau muss ich machen, um Positive Leadership einzuführen? Welche Tools brauche ich?“, werde ich, werden Vertreter von Positive Leadership oft gefragt. Und die Frage ist ja einerseits berechtigt – andererseits geht es gar nicht nur um das konkrete Tool X oder die Führungstechnik Y. Sondern Positive Leadership ist erstmal und vor allem eine Frage der Haltung: Schauen wir als Führungskräfte nur auf die Mängel und Macken – oder schauen wir ähnlich gründlich auch auf Erfolge und Exzellenz? In vielen Organisationen, die sehr Datengetrieben sind, helfen natürlich Wirksamkeitsbelege und PERMA-Lead-Messungen, um Positives Führen mit konkreten Zahlen zu hinterlegen. Auch hilft es, wie bei vielen anderen Veränderungsprozessen, wenn die Unternehmensführung das Konzept mitträgt und vorlebt – reine Bottom-Up-Ansätze haben es da schwerer und dauern häufig leichter. Einige Organisationen, von denen ich weiß, haben Positive Leadership mit einer Key Note und dann freiwilligen Pilot-Workshops eingeführt. Das schafft in der Regel mehr Sog als ein kollektives Führungskräfteprogramm, zu dem durch die Bank alle verdonnert werden. Ein bisschen Geduld und Experimentierfreude helfen natürlich auch – denn Positive Leadership wird häufig schon in kleine Veränderungen wirksam und braucht nicht immer den großen On-Schalter. Viel Gelingen und Gaudi dabei!

Alles zum Thema

Kolumne „Konstruktiv positiv“

Alle bisher erschienenen Beiträge der Kolumne finden Sie auf dieser Übersichtsseite.

Christian Thiele ist Autor und Coach für positive Leadership. Sein Buch „Positiv führen für Dummies“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen, sein Podcast „Positiv Führen“ lässt sich auf allen großen Podcast-Plattformen abrufen.
https://positiv-fuehren.com/