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„Aus dem Dornröschenschlaf erwachen“

Markus Schindler, Head of HR bei Wer-liefert-was; Bild: Wer-liefert-was
Markus Schindler, Head of HR, Wer-liefert-was; Foto: Wer-liefert-was

Personalwirtschaft: Unsere aktuelle Studie „Recruiting-Strategien 2018“ zeigt unter anderem, dass nach wie vor Stellenanzeigen auf Jobbörsen und auf der eigenen Karriere-Website die größten Chancen bieten, neue Mitarbeiter zu finden. Welche Recruiting-Kanäle nutzen Sie bei › Wer-liefert-was, Herr Schindler?
Markus Schindler: Wir versuchen mit einem möglichst großen Mix an Recruiting-Maßnahmen an die Leute zu kommen. Dazu verwenden wir zum einen die klassische Stellenanzeige auf generalistischen Jobportalen, aber auch auf speziellen Jobportalen wie Stack Overflow, da wir viele Mitarbeiter für den Technology-Bereich suchen. Zum anderen nutzen wir soziale Netzwerke wie Facebook, Linkedin und Xing. Und wir gehen in verschiedene Fachforen, denn gerade dort trifft man potenzielle neue Mitarbeiter aus dem Tech-Bereich wie Webentwickler oder Product Owner. Das sind oftmals diejenigen, die nicht durch eine klassische Anzeige auf uns aufmerksam werden, sondern über diese Foren rekrutiert werden können.

Funktioniert das?
Ja, es funktioniert immer besser, ist aber weder auf Online noch auf Deutschland beschränkt. So fokussieren sich unsere externen Tech- Recruiter nicht nur auf den Markt in und um Hamburg oder Berlin, sondern gehen auch verstärkt in die osteuropäischen Märkte nach Polen, Tschechien und in die Ukraine. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Wer-liefert-was, unsere Firmensprache ist in Teilen mittlerweile Englisch.

Welche Wege nutzen Sie noch?
Ein Thema, das wir bisher nicht so auf dem Schirm hatten, sind Fachmessen wie die Code-Talks in Berlin oder die Cebit in Hannover, die wir in diesem Jahr verstärkt besuchen. Aber auch auf allgemeinen Jobmessen wie dem Online-Karrieretag werden wir einige Tage vertreten sein. Die Messen dienen allerdings hauptsächlich dem Employer Branding. Insbesondere Wer-liefert-was muss die Transformation vom Verlagshaus zum Tech-Unternehmen auch nach außen kommunizieren.

Da hat bei uns in den vergangenen fünf Jahren ein extremer Wandel stattgefunden, was durch Employer-Branding-Maßnahmen zunächst erstmal bekannt gemacht werden muss.

Am eigenen Messestand zu warten, dass potenzielle Kandidaten vorbeikommen, wird aber sicher nicht reichen.
Nein, bei Messen kommt auch hinzu, dass wir mit einer fachlichen Expertise vertreten sind und Vorträge zu diversen Themen halten. Ich bin in diesem Zuge verstärkt mit HR-Themen auf der Bühne. Aber wir wollen auch mehr eigene Fachkräfte einbinden, um Fachvorträge halten zu können. Nur ist das insbesondere bei den Tech-Leuten nicht so leicht, sie dazu zu bewegen, sich auf die Bühne zu stellen.

Wie sieht die technische Seite Ihres Recruitings aus?
Wir setzen momentan noch ganz klassisch auf eine Bewerbermanagementlösung, werden aber in diesem Jahr eine ganzheitliche HR-Softwarelösung einführen. Dadurch, dass wir aktuell den Wandel zu einem Technology-Unternehmen durchführen, ist für das kommende Jahr zudem das Thema Recruiting-Bots vorgesehen.

Das sieht dann wie aus?
Ein erster Schritt wird hierfür das automatisierte Versenden von Status-E-Mails an Bewerber sein. Was ich nicht sehe, ist die Abwicklung von ganzen Interviews über sogenannte humanoide Bewerbungsroboter. Das ist mittelfristig kein Thema für uns, da wir keine Massen an Bewerbungen auf eine offene Stelle bekommen. Da sind fünf Bewerbungen auf eine Position schon ganz ordentlich. Und die Gespräche können wir dann auch selbst führen, da subjektive Schwingungen wie das gute alte Bauchgefühl nicht simuliert werden können. Was ich mir außerdem vorstellen kann, sind Virtual-Reality- und 360-Grad-Präsentationen der Räumlichkeiten oder Interviews von Kollegen über das Unternehmen.

Eine Volldigitalisierung des Recruitings erwarte ich aber in den nächsten zehn Jahren bei uns nicht.

Sie haben einmal gesagt, dass die Persönlichkeit des Bewerbers immer stärker in den Vordergrund rückt und daher auch weiterhin das menschliche Element im Bewerbungsprozess gefragt ist. Doch inzwischen gibt es etliche Diagnostik-Tools, die die Persönlichkeit und den Cultural Fit analysieren, mitunter sogar objektiver als ein Mensch. Tools bergen einen großen Mehrwert für das Recruiting.
Sicher, sie haben einen großen Mehrwert und wir verzichten auch nicht darauf. Ich möchte, dass ein Bot Termine macht, ich möchte allerdings nicht, dass er mir sagt, wie ich mit Bewerbern oder Mitarbeitern umzugehen habe. Wir verwenden schließlich auch Tools zur Eignungsdiagnostik wie bei potenziellen Führungskräften das Bochumer Inventar. Außerdem führen wir aktuell den sogenannten Predictive-Index ein, den wir zwischen dem ersten Telefoninterview und dem ersten persönlichen Kennenlernen einsetzen. Der ist schnell durchzuführen und basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen insbesondere hinsichtlich des Cultural Fits sehr valide in seinen Aussagen.

Aber noch einmal: Zurzeit ist das Thema künstliche Intelligenz in aller Munde. Übernehmen Algorithmen bald große Teile der Recruiting-Arbeit?
Ich bin mir sicher, dass künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren immer mehr eingesetzt werden wird, wohl aber zunächst eher flankierend.

Man wird das persönliche Gespräch nie ersetzen können, denn es geht ja auch um den Bewerber, der seinerseits bewerten will, ob er überhaupt zum Unternehmen passen könnte.

Könnten Tools und künstliche Intelligenz denn ein Faktor im Employer Branding für ITler sein?
Für die Masse nicht, nein. Der gemeine Bewerber ist an den fachlichen Aspekten interessiert, beispielsweise in welcher Programmiersprache wir arbeiten oder welche aktuellen Projekte wir gerade umsetzen. Tech-Profis fragen in einem Jobinterview auch nicht direkt nach dem zu erwartenden Gehalt. Sie gehen oftmals stillschweigend davon aus, dass das Unternehmen das gewünschte Gehalt schon bezahlen wird. Dies ist aber natürlich nicht per se der Fall.

Welche Trends sehen Sie zurzeit generell im Recruiting, in welche Richtung geht es?
Wir haben ja bereits über die Recruiting-Bots gesprochen. Die werden garantiert kommen. Aber auch das Thema Datenmanagement wird zu einem mechanischeren Ablauf führen und den für mich so wichtigen persönlichen Austausch im Rekrutierungsprozess wesentlich nach hinten verschieben. Technische Lösungen werden stärker aussieben, sodass am Ende auch weniger persönliche Gespräche stattfinden werden. Für uns ist natürlich das Thema Virtual Reality mit Hoffnung auf Erfolg verknüpft, da es die von uns so begehrten ITler reizt und durchaus auch gefordert wird.

Wie digital ist Ihr Personalmanagement insgesamt? Was für Lösungen setzen Sie ein?
Das digitale Bewerbermanagementsystem haben wir erst im vergangenen Jahr eingeführt. Seit ich im Juli bei Wer-liefert-was angefangen habe, fragen wir uns, was wir in HR unternehmensseitig ändern müssen, um aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen und den Wandel zum digitalen Unternehmen zu schaffen. Ein Thema ist die bereits erwähnte ganzheitliche HR-Softwarelösung, die wir mithilfe einer umfangreichen Budgeterhöhung so jetzt auch durchsetzen können. Wir sprechen hier nicht nur von Bewerbermanagement, sondern eben auch von einer Lösung mit Manager- und Mitarbeiter-Selfservices.

Ein Beispiel, bitte.
Krankenstände werden aktuell noch manuell eingepflegt, das brauchen wir in einem Jahr nicht mehr. Da werden dann die Mitarbeiter die Daten selbst eintragen. Manager werden die Möglichkeit bekommen, KPIs ziehen zu können, beispielsweise das Durchschnittsalter der eigenen Abteilung. Auch Performance- und Seminarmanagement können wir dann komplett elektronisch abwickeln. Evaluation von Seminaren und Inhouse-E-Learning sind ebenfalls Ziele, die wir mit der ganzheitlichen Softwarelösung erreichen wollen.

Wo liegen die Herausforderungen bei der Umstellung auf mehr Digitalität?
Wir haben in unserer HR-Abteilung ein Durchschnittsalter von Anfang dreißig. Diese jungen Kollegen sind mit PCs und Tablets aufwachsen und abseits von abgedroschenen Bezeichnungen wie Gen Y und Gen Z einfach digital unterwegs. Bei vielen älteren Mitarbeitern, die schon zwanzig, dreißig Jahre im Unternehmen sind, ist allerdings noch einige Überzeugungsarbeit notwendig, um die Vorteile zu erläutern. Wichtig ist da, die Leute mitzunehmen und einzubinden und denen, die von der Digitalisierung vermeintlich abgeschlagen sind, den Nutzen zu verdeutlichen und Geduld bei der Einarbeitung in neue Arbeitsweisen mitzubringen. Das war etwas, das ich selbst anfangs durchaus unterschätzt habe.

Wie digital sind Sie selbst? Gehören Sie zu den begeisterten IT-Nerds oder eher ins Lager der Technik-Skeptiker?

Wenn ich mir anschaue, wie digital ich tatsächlich arbeite, geht das definitiv in Richtung Nerd.

Bin ich nicht gerade in Bewerber- oder Mitarbeitergesprächen, sitze ich den ganzen Tag vor dem Rechner, bin mit Smartphone und Tablet unterwegs. Ich lese beispielsweise keine Zeitung mehr in Papierform und mit Landkarten kann ich vermutlich auch schon nichts mehr anfangen. Ich probiere auch gerne mal eine App aus, die ich auf einer der Messen finde, und überlege, inwieweit sich die Anwendung in unserem Unternehmen unterbringen lassen kann. Das ist schließlich Teil des Vorhabens, eine ganzheitliche Softwarelösung zu schaffen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft von HR vor?
Die Digitalisierung von HR-Prozessen und -Strukturen wird an Geschwindigkeit zunehmen. So wird sich die Struktur der Personalabteilung durch entsprechendes Datenmanagement von einer Dienstleister- und Business-Partner-Funktion zu einer unterstützenden Rolle für Managemententscheidungen wandeln. Außerdem wird HR zu einem Lernbegleiter und Kulturentwickler. So erlaubt mir schon heute der Businesscoach, dass ich Führungskräfte beim Lernen begleiten kann.

Bitte erläutern Sie, was Sie unter einem Kulturentwickler verstehen.
Darunter verstehe ich, dass man nicht nur den Professional Fit zwischen Mitarbeiter und Unternehmen schafft, sondern vor allem die Unternehmenskultur vermittelt bekommt. Schließlich entscheidet heute schon der Bewerber, ob er zu dem entsprechenden Unternehmen will oder ob es von der Kulturseite her gar nicht passt. Da geht es nicht um Incentives, sondern um Wohlfühlen und eine klare Unternehmensrichtung für die folgenden drei Jahre.

Was bedeutet das alles für die Personaler?
Die Berufsbilder in HR werden sich ändern. Klassische HR-Administratoren wird es in zehn Jahren vielleicht noch geben, aber die Rolle des Business Partners wird sich zum Entscheidungsunterstützer hin wandeln.

Zur Person:

Markus
Schindler
verantwortet
seit einem Jahr als Head of HR den Personalbereich von Wer-liefert-was in
Hamburg. Daneben ist er als freiberuflicher Coach tätig und unterrichtet als Dozent
an einer privaten Hochschule.

+++ Hinweis: Dieses Interview ist eine Vorabveröffentlichung aus dem Personalwirtschaft-Special „HR-Software 7/2018“ (› jetzt bestellen) +++