In der Sozialpsychologie ist er ein Koryphäe, doch Führung im klassischen Sinne lehnt er für sich und seine Doktoranden ab: Roy F. Baumeister lehrt und arbeitet an der Florida State University nach anderen Prinzipien. Im letzten Teil unserer Serie beschreibt er für uns, warum er nur zur individuellen Leistung befähigen, aber selber nicht führen sollte.
2014 wurde Roy Baumeister mit dem Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung ausgezeichnet, einem der höchsten Wissenschaftspreise in Deutschland. In diesem Zusammenhang war er 2015 mehrfach zu Forschungsaufenthalten in Deutschland. Bei einem dieser Besuche konnten wir ihn zu einem Vortrag nach Frankfurt einladen und auch dieses Interview arrangieren.
Für sich selbst und für die Rolle eines Professors im Allgemeinen lehnt Baumeister das Konzept der Führung im engeren Sinne ab. Für ihn ist der Beruf des Professors eine rein individuelle Angelegenheit, bei dem er selbst keine Führung braucht. Ich fragte ihn aber, ob er nicht zu seiner Doktorandenzeit jemanden gehabt hätte (nämlich seinen in der Psychologie berühmten Doktorvater Edward E. Jones), der ihn geführt hätte. Er gab dies zu, beschränkte es aber auf den Anfang seiner Promotion.
Er sagt: „Vielleicht hat mein Doktorvater ganz am Anfang ein Projekt für mich entworfen und gesagt ‚Hier, arbeite das ab’. Aber ganz schnell ließ er mich meine eigenen Ideen entwickeln. Er kommentierte und machte Vorschläge und half mir meine Arbeit zu verbessern, aufzuschreiben und schließlich zu publizieren. Aber er war keine Führungskraft im Sinne der Politik oder Unternehmen, die Entscheidungen für die Gruppe trifft und Anweisungen erteilt.“
Die Befähigung, die eigene Leistung abzurufen
Aus meiner Sicht gehört es sehr wohl zur Rolle von Professoren, zu führen – aber vielleicht ist die Art der Führung in der Wissenschaft eine andere als in anderen Lebensbereichen. Was Baumeister selbst erlebt hat – und so führt er auch seine eigenen Doktoranden – ist eine Form des Führens, die man wissenschaftlich als Empowerment bezeichnet. Auf Deutsch bezeichnet es so viel wie „Ermächtigung“ oder „Befähigung“, das englische Wort hat sich mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert. Empowernde Führungskräfte haben Vertrauen in ihre Mitarbeiter und geben ihnen Handlungsspielräume, um eigene Entscheidungen zu treffen. Die Führungskraft agiert als Unterstützer und Ratgeber. In der Regel führt Empowerment zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit, Leistung und Innovation und zu geringerer Fluktuation. Es müssen aber zwei Bedingungen gegeben sein, damit empowernde Führung die positiven Effekte erzielt: Zum einen muss in der Organisation eine Vertrauenskultur herrschen. Es nützt nichts, wenn ein Abteilungsleiter seinen Mitarbeitern Freiraum gibt, dies aber weder die Personalabteilung noch die Führungskräfte auf höheren Ebenen mittragen. Zum anderen müssen die Mitarbeiter über die Fähigkeiten verfügen, die Spielräume nutzen zu können.
Ich fragte Roy weiter, was gute Führung in Universitäten auszeichnen würde. Er meinte, er habe Uni-Präsidenten erlebt, die nur darauf bedacht waren, die Kosten zu deckeln und Geld zu sparen. Andere hätten dagegen versucht, die Universität positiv zu entwickeln, so dass sich Individuen entfalten könnten. Er selbst habe stets versucht, exzellente Forschung zu machen und die besten Präsidenten hätten genau dies unterstützt und eine Kultur in der Universität geschaffen, in der dieses Streben nach Exzellenz möglich sei.
Damit gibt Baumeister ein prägnantes Beispiel für die Unterscheidung zwischen Management und Führung. Manager kontrollieren die Zielerreichung, geben Rückmeldung und anschließend Belohnung oder Bestrafung – sie tragen dazu bei, dass „Dinge richtig gemacht werden“. Führung sorgt dafür, dass „die richtigen Dinge getan werden“. Führung ist verantwortlich dafür, dass eine Organisation eine Vision hat, aus der sich die richtigen, großen Ziele ableiten lassen. Manager kümmern sich also um Detailplanung, das Organisieren und Überwachen von Arbeitsabläufen und sie schaffen Struktur und Konsistenz. Führung dagegen schafft Veränderung und kümmert sich um das „große Ganze“.
Welche Faktoren führen zu Führungskompetenz?
Dabei stellt sich die Frage, ob gute Führung etwas ist, was angeboren ist oder gelernt werden kann. In der Forschung dachte man lange Zeit, dass Führung etwas Angeborenes, ein in der Person liegendes „Etwas“ sei. Man hat viele Studien durchgeführt und physische und psychologische Eigenschaften untersucht und dabei Führungskräfte mit Menschen ohne Führung verglichen. Dabei wurde eine Unzahl von Faktoren ermittelt, die im Durchschnitt mit Führung zusammenhängen – aber bei denen es auch viele Ausnahmen gibt. Was man heute ziemlich sicher sagen kann ist, dass von den großen Persönlichkeitsfaktoren (den sogenannten „Big 5“) Extraversion, Gewissenhaftigkeit und die Offenheit für Erfahrungen bei Führungskräften über Maß zu finden sind. Diese Persönlichkeitseigenschaften sind zu einem großen Teil angeboren, aber sie können sich auch im Laufe des Lebens durch einschneidende Erlebnisse oder viel Training ändern.
In der psychologischen Führungsforschung hat man sich in den letzten zehn Jahren auch angesehen, welche Rolle Gruppen im Führungsprozess spielen. Führungskräfte sind ja immer auch Teil der Gruppe, die sie leiten: Abteilungsleiter sind Teil der Abteilung und CEOs Teil des Unternehmens, das sie führen. Die Forschung hat nun gezeigt, dass Führungskräfte dann erfolgreicher sind und ihre Mitarbeiter besser motivieren können, wenn sie für die jeweilige Gruppe prototypisch sind. Ein erfolgreicher Politiker der Partei „Die Linken“ sollte im politischen Spektrum links stehen, ein CSU-Politiker sollte in seinen Ansichten, seinem Werdegang und seinen Werten sehr viel weiter rechts stehen. Das gilt auch für Unternehmen: Die Leiterin einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung wird ihre Mitarbeiter leichter motivieren können, wenn sie selbst einen forschungs- oder ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund hat.
Zu erfolgreicher Führung gehört aber mehr als Prototypikalität. Nach dem Ansatz des Identitätsmanagements sollen Führungskräfte ihren Gruppen immer wieder vermitteln, was sie ausmacht, was sie von anderen unterscheidet und wofür sie stehen. Dazu gehört auch, dass man die Gruppe nach Außen verteidigt und Aktivitäten und Strukturen schafft (z.B. Meetings, Retreats, Feiern), bei denen sich eine starke Gruppenidentität entwickeln kann.
Baumeister lehnt dies wiederum für sich selbst und seinen Kontext ab. Er sagt:
„Ich denke über Führung als jemanden, der verantwortlich für eine Gruppe ist und in dieser Rolle habe ich mich nie gesehen. Ich habe eine Reihe von Doktoranden, aber ich sehe jeden als einzelne Person, mit der ich eine individuelle Beziehung habe.“
Auch auf meine Nachfrage, ob er nicht versucht, seine Gruppe von Doktoranden durch Aktivitäten zusammenzubringen, bei der jeder erfährt, was die anderen gerade tun, sagt er, dass er die verschiedenen Forschungsstränge lieber auseinanderhält.
Baumeister scheint also eine Führungsperson zu sein – und dies ist er in seiner formalen Rolle und vermutlich auch in den Augen seiner Doktoranden – die weniger auf die Gruppe an sich Wert legt. Er arbeitet dafür stark mit Rückmeldung auf individueller Basis und sagt: „Es ist wichtig, sowohl positives wie negatives Feedback zu geben. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich positives Feedback von meinem Doktorvater bekommen habe. Später habe ich mit Menschen gearbeitet, die mir mehr positives Feedback gegeben haben und ich merkte, dass ich viel schneller lernen konnte, wenn mir positive Dinge gesagt wurden.“ Das ist ganz im Sinne der Positiven Psychologie, die in vielen Studien herausgefunden hat, dass positives Feedback und Lob Menschen zufriedener machen, aber auch zum Lernen und zu Verbesserung viel mehr ermuntern als Kritik.
Dabei darf man das Negative nicht ausblenden. Führungskräfte müssen Fehler ansprechen. Aber das Verhältnis muss stimmen und in der Regel kritisieren wir viel mehr, als dass wir loben. In einer Gallup-Umfrage mit über 1.300 deutschen Beschäftigten sagten nur 25 Prozent, dass sie für gute Arbeit auch Lob von ihrer Führungskraft bekommen würden.
Baumeister sagt zum Beispiel ganz konkret, dass er bei Rückmeldung über einen Aufsatz eines Doktoranden sagt: „Dieser Absatz ist nicht so gut, aber dieser Absatz ist gut. Dann sehen die Studenten, was sie richtig und falsch gemacht haben. Wenn ich immer nur ‘nein, nein, nein’ sage, macht das mutlos – selbst wenn die Kritik berechtigt ist.“
Die Kosten unethischen Verhaltens aufzeigen
Schließlich soll noch ein Punkt angesprochen werden, der leider auch in der Wissenschaft immer wichtiger wird, und zwar die Ethische Führung. Auch in der Wissenschaft hat es in den letzten Jahren immer wieder Skandale bei Veröffentlichungen gegeben mit Plagiaten und Täuschungen bis hin zur Datenfälschung. Ethische Führung heißt zum Beispiel, dass man als Führungskraft klare Werte hat, diese äußert und sein Verhalten nach ihnen ausrichtet.
Baumeister findet es wichtig, dass man als Führungskraft solche Skandale anspricht und die Doktoranden dafür sensibilisiert. Wenn jemand Daten fälscht, sei das nicht nur ein Problem für die jeweilige Person, sondern auch für alle anderen, mit denen man gemeinsam an Publikationen arbeitet. Wenn es herauskommt, zerstört man nicht nur seine eigene Karriere, sondern auch die anderer. „Es ist sehr wichtig, Menschen auf die Kosten von unethischem Verhalten hinzuweisen und wie falsch so etwas ist. Es ist letztlich Verrat an dem fast schon heiligen Vertrauen, das wir als Wissenschaftler genießen.“
Zur Person |
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Roy Baumeister ist Professor für Sozialpsychologie an der Florida State University und einer der bekanntesten und produktivsten Psychologen weltweit. 2015 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences aufgenommen. Er veröffentlichte über 30 Bücher, viele davon sind vielfach übersetzte Bestseller, wie sein letztes Buch „Willpower“ (deutsch: Die Macht der Disziplin). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören soziale Zugehörigkeit und sozialer Ausschluss, Sexualität, Selbstkontrolle, Motivation und Aggression. |
Das vollständige Gespräch zwischen Roy F. Baumeister und Rolf van Dick finden Sie › hier als Video.
Dieser Beitrag ist der letzte Teil VII unserer Serie „Besser führen“. Teil VI – im Gespräch mit Prof. Stephan Reimelt finden Sie › hier.
Zum Autor:
Rolf van Dick lehrt Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, unter anderem am Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO). In unserer aktuellen Serie „Besser führen“ präsentieren wir seine Gespräche mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen.