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Zwischen Dashboard und Dialog

Neben die klassische Mitarbeiterbefragung treten zunehmend neue Tools; Bild: shironosov/istock
Neben die klassische Mitarbeiterbefragung treten zunehmend neue Tools; Bild: shironosov/istock

Gerald Krenn, Senior Vice President der Bank Austria in Wien, bezeichnet sich selbst als „Freund schneller Messungen“. Eingesetzt an bestimmten „Touchpoints“, könne das per Software erhobene Mitarbeiter-Feedback dem Management dabei helfen, „die Effizienz einzelner Prozesse besser zu verstehen“. Zum Beispiel bei der internen Bewerbung: Wie beurteilen Kandidaten das Verfahren? Was schlagen sie zur Verbesserung vor?

Kürzere Reaktionszeiten

Das österreichische Finanzinstitut scheint kein Einzelfall zu sein. Um Beschäftigte per Quick Poll (Blitzumfrage) oder Puls-Check möglichst zeitnah um Feedback zu bitten, ziehen immer mehr Unternehmen neue IT-Tools der klassischen Mitarbeiterbefragung vor. „Digitaler, mobiler und variantenreicher“ sei man dank solcher Systeme, ist Krenn überzeugt. Ermittelt wird nicht mehr das große Bild, also wie es in der Organisation um Führung oder Leistungsbereitschaft bestellt ist und welche Perspektiven sich daraus etwa für die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur abzeichnen. Vielmehr führt der immens gestiegene Handlungsdruck offenbar dazu, möglichst schnell und oft Feedback einzuholen und im Zweifel auch umgehend darauf zu reagieren. Die Seite der Kritiker bezeichnet das als „hektische Betriebsamkeit“.

Angesichts des Potenzials von Digitalisierung und Big Data versprechen sich Unternehmen viel vom Einsatz solcher Tools: So würden Mitarbeiterbefragungen von Ballast befreit. Folgt man den Vertretern dieser Richtung, lassen sich nun überaus schnell und ansprechend visualisiert Zusammenhänge auf den Punkt bringen, die eigentlich durch wissenschaftlich fundierte Verfahren aufwendig analysiert werden müssen. In der Szene hat sich für diese neue Softwarekategorie der Begriff „Dashboard“ etabliert. Wie in einem Cockpit illustriert das System, wie es um den Status quo bestellt ist. Wie akut der Handlungsbedarf ist, wird farblich hervorgehoben: Mehr wollten Entscheidungsträger nicht sehen, heißt es.

Falsche Erwartungen

Im Markt für Mitarbeiterbefragungen geht es ans Eingemachte. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Nach Beobachtung von Matthias Diete, Vorstand der Cubia AG in Konstanz, konfrontieren Unternehmen die Beratungshäuser mit „gelegentlich überzogenen und falschen Erwartungen“. Grund sei die Flut an Arbeitgeberwettbewerben, die Mitarbeiterbefragungen zwar als Teil des Verfahrens einschließen, bisweilen jedoch mit voreiligen Schlüssen Unternehmen zu einer fragwürdigen Auszeichnung verhelfen. Man könne nicht in drei Monaten erwarten, was allein nachhaltige Mitarbeiterbefragungen nach zwei oder drei Jahren als Ergebnis erzielen könnten, meint Diete. „So lässt sich keine gesunde Unternehmenskultur gestalten, so werden Unternehmen nicht erfolgreicher.“

Auch Gerhard Bruns, Geschäftsführer des Münchner Geva-Instituts, kritisiert Mitarbeiterbefragungen, die sich primär an der Außenwirkung orientieren. Wichtiger ist ihm jedoch der Befund, dass Softwareanbieter zunehmend an Einfluss auf die Berater gewönnen. Verfügten die Dienstleister selbst nicht über entsprechende Systeme, müssten sie Standardlösungen einkaufen und Sonderwünsche ihrer Kunden teuer programmieren lassen. Mehr noch: Softwareanbieter würden auch als Beratungsunternehmen auftreten und deshalb mit eigenen Kunden konkurrieren. Dienstleistern ohne hinreichende IT-Ausstattung falle es immer schwerer, komplexe Kundenprojekte mit hohem Spezifizierungsgrad abbilden zu können.

Die Abhängigkeiten werden immer größer,

so Bruns.

Den Dialog fördern

Wohin steuert die Mitarbeiterbefragung unter diesen Vorzeichen? Was folgt daraus für HR? Wer mit Befragungsergebnissen tatsächlich Führungskräfte und Mitarbeiter erreichen und den Follow-up-Prozess sicherstellen wolle, sollte laut Bruns gut aufbereitete Reports dem „mehr oder weniger ambitionierten Herumklicken in Dashboard-Systemen“ vorziehen.

Dr. Matthias Zimmermann, Geschäftsführer der Logit Management Consulting in München, drückt es so aus: Statt Meinungsumfragen durchzuführen und sich als Datenlieferant zu positionieren, sollte HR die Mitarbeiterbefragung als Instrument der Organisationsentwicklung zur Entfaltung bringen:

Damit könnte HR den dringend notwendigen Dialog zwischen Mitarbeitern und Führungskräften anstoßen, in die richtigen Bahnen lenken und zielführend gestalten.

Den Change begleiten

Solche Kommunikationspotenziale gezielt zu erschließen, ist in Veränderungsphasen von entscheidender Bedeutung, wie das Beispiel der Edding AG in Ahrensburg zeigt. In der analogen Zeit großgeworden, muss sich der insbesondere bei Kreativen gut beleumundete Stiftehersteller nun dringend digital anpassen. Unter dem Stichwort Markendehnung will er bis zum Jahr 2020 neue Produkte entwickeln und sich in neuen Märkten etablieren. Schon heute vertreibt Edding neben dem Kernsortiment auch Spray, Druckerpatronen und sogar Nagellack.

Aus der Perspektive der Organisationsentwicklung folgt daraus, die Veränderungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zu fördern, ohne die innere Stabilität der Organisation sowie die Sicherheit der Belegschaft zu vernachlässigen. Diese Aufgaben strukturiert auch die von Logit konzipierte und begleitete Edding-Mitarbeiterbefragung. Laut HR-Direktor René Freyer wird ermittelt, ob die rund 670 Mitarbeiter weltweit „mit Freude“ für die Firma tätig sind und sie als Arbeitgeber empfehlen würden. Beleuchtet wird auch das Leistungsumfeld aus Führungskultur, Prozessen sowie eingesetzten Systemen. „In beiden Dimensionen wollen wir noch besser werden“, sagt der Personalchef.

Neue Gesprächskultur gewünscht

Der Mittelständler Hering Bau erfuhr im Frühjahr 2015 hingegen von seiner Belegschaft, dass es höchste Zeit ist, das Instrument des Mitarbeitergesprächs zu überdenken. Regelmäßig führt das Bauunternehmen aus Burbach bei Siegen Mitarbeiterbefragungen im Rahmen des INQA-Audits „Zukunftsfähige Unternehmenskultur“ durch. Nach organisatorischen Veränderungen und zahlreichen personellen Wechseln in den Reihen der Führungskräfte sei das Mitarbeitergespräch zunehmend vernachlässigt und auch als „unmodern“ diskreditiert worden, beschreibt Personalleiterin Nicole Trettner das zentrale Ergebnis der Befragung.

Konsequente Umsetzung

Nach Vorlage der Befragungsergebnisse bildeten sich mehrere Gruppen zu bestimmten Themen, wie auch zum Mitarbeitergespräch. In Abstimmung mit der Prozessberaterin von INQA entwarfen sie gemeinsam ein neues Design für das zentrale Führungsinstrument und einigten sich, es in diesem Sommer erneut für jeden Mitarbeiter verbindlich einzuführen.

Nachdem Führungskräfte in Workshops und Trainings gezielt vorbereitet wurden, geht es offenbar wieder aufwärts. „Gab es früher lediglich stichwortartige Vorgaben für das Mitarbeitergespräch, können sich die Beschäftigten mit ihren Vorgesetzten nun anhand eines Gesprächsleitfadens aus offenen und festgelegten Fragen über individuelle Ziele und Maßnahmen austauschen“, so Trettner.

Bauchlandungen vermeiden

Experten halten eine solche Konsequenz bei Mitarbeiterbefragungen für dringend geboten. „Mitarbeiter investieren ihre kostbare Zeit, zeigen guten Willen und geben ehrliches Feedback“, sagt Berater Diete von Cubia. Wenn aber ein halbes Jahr nach der Befragung noch immer nichts geschehen sei, wende man sich ab:

Der Boden für eine nachhaltige Entwicklung ist vergiftet.

Um dies zu verhindern, müsse sich der Fokus des Follow-up-Prozesses auf jedes einzelne Team richten, laut Logit-Chef Zimmermann „die Keimzelle der Organisation“. Wie gut ein Unternehmen hier agiere, sei daran abzulesen, ob die Ergebnisse einer Befragung sinnvolle Denkanstöße und Gespräche auslösen und in Entscheidungen einfließen. Komme jedoch kein konstruktiv-kritischer Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zustande, warnt Zimmermann, werde eine Mitarbeiterbefragung unweigerlich eine „krachende Bauchlandung“ hinlegen.

Um dieser drohenden Entwicklung Einhalt zu gebieten, stellen zahlreiche Berater eigene Tools für das Maßnahmen-Monitoring bereit, mit deren Hilfe Verantwortliche – zum Beispiel das Personalmanagement – jeden Fortschritt in der Umsetzungsphase verfolgen und bei Bedarf gezielt einschreiten können. Damit eine Mitarbeiterbefragung grundsätzlich Aussicht auf Erfolg haben könne, sollte HR die Rolle des „Enablers, Treibers und Wächters“ übernehmen, so Zimmermann.

(Volks-)Befragungen sind in

Zeit für eine Bilanz: Insgesamt steht der Mitarbeiterbefragung eine rosige Zukunft bevor. Dazu trage nicht nur bei, dass sich nun auch mittelständische Betriebe und Verwaltungen für das Instrument interessieren und neue Anforderungen „hinsichtlich Art, Umfang und Intensität der Beratungsleistungen“ stellen würden, meint Professor Dr. Karl-Friedrich Ackermann, Geschäftsführer von ISPA Consult. Förderlich sei auch „ein befragungsfreundliches gesellschaftliches Umfeld“, das mehr direkte Demokratie durch Volksabstimmungen und Bürgerentscheide einfordere.

Auch die aktuelle Diskussion über die Rolle der Führungskräfte und der Mitarbeiter als Mitunternehmer und Wissensträger im digitalen Zeitalter enthält wichtige Elemente einer weiteren Aufwertung der Mitarbeiterbefragung,

so Ackermann.

Nicht in die Datenschutzfalle tappen

Freilich sollte der positive Ausblick nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche kritische Aspekte weiterhin Gesprächsstoff bieten. Dazu zählt Geva-Geschäftsführer Bruns nicht nur die bisweilen ärgerliche Preisdrückerei von Einkaufsabteilungen, welche das Risiko von qualitativen Einbußen erhöhe. Nach seinem Dafürhalten sei auch die dringend gebotene Datensicherheit in Gefahr. Wer sich zu stark von Dashboard-Systemen als Tool zur Ergebnisanalyse und Präsentation beeindrucken lasse, „läuft hier leicht in die Datenschutzfalle hinein“. Zu diesem Befund kommt Bruns nach eingehender Untersuchung aller im Markt verfügbarer Systeme.

Damit nicht genug: Er kritisiert Unternehmen, die das Beratungshaus in ihrem Anforderungskatalog für die Einhaltung des Datenschutzes verantwortlich machen wollen, zugleich aber die Herausgabe von Rohdaten für interne Auswertungen erwarten. Um möglichst sicherzugehen, hat Edding-Personalchef Freyer mit seinem Beratungspartner Logit deshalb eine Anonymitätsvereinbarung getroffen: „Sie sieht vor, dass wir keinen Anspruch auf die Rohdaten haben, um beispielsweise interne Analysen vorzunehmen.“ Schließlich stehe eine „ausgeprägte Vertrauenskultur“ auf dem Spiel.

Die Schrauben anziehen

Mit dieser Ernsthaftigkeit nimmt der HR-Leiter auch die Führungskräfte in die Pflicht. Weil aus der jüngsten Mitarbeiterbefragung als Handlungsbedarf hervorging, Führungskompetenzen zu schärfen und die Feedback-Kultur für alle Beteiligten zu verbessern, zieht man die Schrauben nun fest an: Künftig würden sich laut Freyer die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung nicht nur in den jährlichen Zielvereinbarungen der Führungskräfte niederschlagen. Zusätzlich werde in der Balanced Scorecard, dem Steuerungstool der Strategieumsetzung, auch definiert, welche Zielwerte das Unternehmen bis 2020 im Bereich Engagement und Leistungsumfeld erwartet.

Autor:

Winfried Gertz, freier Journalist, München

Hinweis: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Kurzfassung des gleichnamigen Artikels aus der Personalwirtschaft 09/2016.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserem > Special Mitarbeiterbefragungen.