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Aus- und Weiterbildung in digitalen Zeiten

Ausbildung 4.0 - Lernen per Click; Bild: jpgon/Fotolia.de
Ausbildung 4.0 – Lernen per Click; Bild: jpgon/Fotolia.de

Statt einer Hinführung drei Szenarien:

Szenario eins: Der Auszubildende Alexander trägt am Wochenende händisch sein Berichtsheft nach. – Der Auszubildende Markus diktiert im Arbeitsprozess seine Erfahrungen in sein Smartphone und über eine Software werden die eingesprochenen Inhalte im digitalen Berichtsheft dokumentiert.

Szenario zwei: In einer standortübergreifenden Ausbildung gibt es immer wieder Probleme beim Dokumententransfer zwischen den Standorten und den Abstimmungsprozessen zwischen den Ausbildern. – Standortübergreifend wird die Aus- und Weiterbildung mit Tablets organisiert, in denen Arbeitsaufgaben und Lernfortschritte dokumentiert und Abstimmungsprozesse zwischen den Ausbildern in einer digitalen Plattform vorgenommen werden. Dadurch konnten Einsparungen in den Koordinationskosten und Ressourcen wie Papier erreicht werden.

Szenario drei: Der Ausbilder konnte nach zwei Wochen für ein individuelles Beratungsgespräch mit einem Auszubildenden einen Termin freimachen. Dieser war dann aber am Termin krank. Es wird ein neuer Termin gesucht. – Der Ausbilder schaut sich vor der Mittagspause die digitalen Lernportfolios seiner Auszubildenden an und gibt über sein Tablet eine allgemeine Rückmeldung zu den Arbeitsergebnissen und individuelle Rückmeldungen zu den Lernfortschritten. Die Auszubildenden können die Feedbacks direkt auf ihren Smartphone einsehen.

Die vorgestellten Szenarien sind exemplarisch – zeigen aber, wie sich die Aus- und Weiterbildung durch die Digitalisierung verändern kann. Das Zeitalter der Industrie 4.0 ist auch hier angekommen.

Lehr- und Lernchancen nutzen

Über digitale Medien lassen sich zahlreiche Lehr- und Lernchancen identifizieren, die neben dem Kostensparaspekt für einen Einsatz neuer Medien in der Aus- und Weiterbildung sprechen – stets angepasst an die individuellen Unternehmensanforderungen.

In diesem Zusammenhang ist die zunehmend gefragte Medienkompetenz bei den Auszubildenden zu nennen. Auf der einen Seite erkennen diese die Vorteile der neuen digitalen Medien überwiegend (noch) nicht für ihre Lern- und Arbeitsprozesse, sondern die Nutzung wird stärker, oftmals unkritisch, intuitiv im Freizeitbereich vorgenommen.

Auf der anderen Seite existieren aufgrund der grundsätzlichen Technikaffinität dieser Arbeitskräfte gerade hier viele Möglichkeiten, sie frühzeitig an zukünftige Digitalisierungsprozesse im Lern- und Arbeitskontext heranzuführen. Beispielsweise bestehen Potenziale im Bereich Kooperation in Arbeitsgruppen (geteilte digitale Arbeitsmappen), in der Individualisierung von Lernmöglichkeiten (rasch erstellte Lern- und Lehrvideos) sowie in der Option, zeitschonend Aus- und Weiterbildungstätigkeiten zu organisieren.

Das SAMR-Modell

Aus didaktischer Perspektive lassen sich insbesondere in der firmeninternen Aus- und Weiterbildung mittels eines effektiven Einsatzes neuer Medien entsprechend dem SAMR-Modell Möglichkeiten erschließen, indem diese die alten Medien passend ersetzen (Substitution), anreichern (Augmentation), modifizieren (Modifikation) oder im Optimalfall sogar neue Aufgaben definiert werden (Redefinition).

Das Modell bietet durch die ständig weiterentwickelte und verbesserte Technik zahlreiche realisierbare Anwendungsfelder für die Aus- und Weiterbildung. Am Beispiel der in den meisten Betrieben noch verwendeten analogen Lernunterlagen wie Arbeitsblättern lässt es sich wie folgt anwenden: Ein Ersetzen von Arbeitsmaterial durch digitale Arbeitsblätter stellt auf der einfachsten Stufe eine Substitution dar, die durch einfachere Verteilung didaktisch nur geringe Vorteile birgt. Die Nutzung von Funktionen wie Durchsuchbarkeit (handschriftlicher) Notizen am Tablet in digitalen Arbeitsblättern stellt bereits eine größere Bereicherung dar, da hieraus klar erkennbare Vorteile für den Lernprozess entstehen können – sämtliche Notizen oder Materialien eines beliebigen Zeitraums sind schnell auffindbar.

Spricht man auf dieser Ebene noch von einer Verbesserung des Lernprozesses, so wird die Modifikation der Lernvoraussetzungen durch ein gleichzeitiges Bearbeiten der Arbeitsblätter mit mehreren Personen, beispielsweise mittels browserbasierter Office-Tools, erreicht. Eine Neudefinition des Lernens wird etwa durch interaktive Lern-Portfolios aus digitalen Arbeitsblättern mit weitreichenden Feedbackfunktionen realisierbar.

Transformation des Lernprozesses

Je nach didaktischem Know-how, vorhandenen Konzepten und eigenen Erfahrungen kann so eine Verbesserung oder gar eine Transformation des Lehr-Lernprozesses mit neuen Medien erzielt werden. Ziel muss es an dieser Stelle nicht sein, in allen Bereichen unmittelbar eine Neudefinition des Lernprozesses zu erreichen. Vielmehr zeigt unsere Erfahrung, dass es wichtig ist, die Organisation und Gestaltung von Lernprozessen auf mögliche Potenziale hinsichtlich neuer Medien und Technologien zu überprüfen und auf dieser Basis konsequent Optimierungen vorzunehmen.

Nach erfolgreich realisierter Implementation der digitalen Medien nennen Aus- und Weiterbildungsverantwortliche besonders folgende Aspekte, die zu direkten Optimierungen führten: Intensivere Beteiligung der Lernenden beim Einsatz neuer Medien in Lernprozessen, Zeitersparnisse – insbesondere mehr Zeitgewinn für wichtige Aspekte wie die Eins-zu-eins-Betreuung der Auszubildenden, bessere Sicherstellung der Nachhaltigkeit des Wissenstransfers, schnelle Umsetzungsmöglichkeiten von Surveys, digitale Peergroup-Feedbackkanäle, digitale Wissensnotizbücher, digitale Entwicklungsportfolios und digitale „flipped classroom“-Ansätze.

Ein möglicher Fahrplan

Um derartige Optimierungsmöglichkeiten erfolgreich zu realisieren, ist es notwendig, verschiedene Voraussetzungen zu schaffen. Insbesondere ist ein klarer Fahrplan zu beachten, will man – abgesehen von Insellösungen – den Weg der Digitalisierung konsequent in der eigenen Aus- und Weiterbildung beschreiten (siehe Info).

Info

Vier-Schritte-Startplan zur Ausbildung 4.0:
•    Ist-Analyse (inhaltliche, technische, didaktische Ebene, Lernort-Kooperationen)
•    Aufzeigen von Einsparungspotenzialen und Optimierungsansätzen
•    Einbezug wichtiger Entscheider
•    Erstellung eines Projektstufenplans
•    Definition eines Soll-Zustandes
•    Pilotphasenplanung: Realisierung von Optimierungsmöglichkeiten mit digitalen Medien in der Ausbildung
•    Schulung des Personals
•    Durchführung des Piloten an ausgewählter Stelle
•    Auswertung gewonnener Nutzenpotenziale
•    Optimierung der didaktischen Konzepte
•    Heben von Ressourceneinsparungspotentialen
•    Erweiterung auf andere Bereiche (z.B. innerbetriebliche Weiterbildung)
•    Permanentes Monitoring der Technologie-Integration
•    Eingliederung von effektiven und effizienten neuen Digitalisierungsmedien in die Ausbildung
•    Soll-Ist-Abgleich nach Transformation

Wesentlich ist dabei, dass die unternehmensspezifischen Voraussetzungen beachtet werden und wichtige Entscheidungsträger – insbesondere im Bereich Controlling, Management, Aus- und Weiterbildung aber auch der Betriebsrat und der Datenschutzbeauftragte – frühzeitig mit ins Boot geholt werden und sich von den Erfolgen der Maßnahmen selbst überzeugen können.

Weiterhin bieten technikaffine Lehrpersonen sowie Bereiche mit hohem Kosteneinsparungspotenzial adäquate Ansatzpunkte für Pilotprojekte. Unbedingt sollte es einen Projektverantwortlichen für die digitale Transformation geben, der die Kommunikation und Austauschprozesse zwischen allen Beteiligten koordiniert und moderiert.

Glossar
Ein Glossar zu wichtigen Begrifflichkeiten der digitalen
Transformation sowie weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:
www.just-ask.de
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Ausblick

In der Diskussion um Industrie 4.0 sollten Akteure in der Aus- und Weiterbildung die Potenziale der Digitalisierung für das eigene Unternehmen konstruktiv prüfen. Nach wie vor geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Lernen zu ermöglichen. Gegenwärtig fehlt es nicht unbedingt an geeigneten didaktischen Konzepten, technischen Realisierungsmöglichkeiten oder ökonomischen Ressourcen. Die Hauptwiderstände liegen oftmals auf psychologischer sowie unternehmenspolitischer Ebene. Hier gilt es, Argumente der Digitalisierung aufzunehmen, abzuwägen sowie Möglichkeiten zu erproben und zu evaluieren, um einerseits eine Basis für langfristige Entscheidungen zu haben und andererseits auch Vorteile der Digitalisierung zu erkennen.

Autoren:

Markus Dormann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschaftspädagogik der Otto-Friedrich-Universität, Bamberg; Senior Partner, Unternehmensberatung just ask!
Alexander Schmieden, Geschäftsführer, Unternehmensberatung just ask!
Karl-Heinz Gerholz
, Professor für Wirtschaftspädagogik an der Otto-Friedrich-Universität, Bamberg

Hinweis: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine bearbeitete Kurzfassung des gleichnamigen Beitrages aus der Personalwirtschaft 08/2016, S. 52-54.

VERANSTALTUNGSTIPP:

Der 1. Deutsche Ausbildungsleiterkongress am 22. und 23. November 2016 in Düsseldorf beschäftigt sich explizit mit den Themen „Digitale Bildung und Industrie 4.0“ in der Ausbildung. Mehr zu den Programmschwerpunkten erfahren Sie › hier.