Ob im Gesundheitsbereich, in Marketing und Kommunikation oder in IT und Technik – viele Bereiche leiden aktuell unter einem dramatischen Fachkräftemangel. „Insgesamt werden derzeit etwa 1,2 Millionen Arbeitskräfte, davon zwei Drittel Fachkräfte, gesucht“, zitiert die WELT Detlef Scheele, den Chef der Bundesagentur für Arbeit in einem Artikel vom Oktober 2021. „In etwa 70 Berufen gibt es bereits Personalengpässe auf Fachkraftniveau.“ Dabei ist es nicht nur schwer, Mitarbeitende zu finden, sondern auch, diese ans Unternehmen zu binden. Das legen aktuelle Zahlen einer Studie der IU Hochschule mit dem Titel „Zurück in den Beruf – gleichberechtigt, gebildet, gefragt?„ nahe. Diese Studie, die die Situation von 497 Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrern nach einer Elternzeit beleuchtet, zeigt, dass 79 Prozent der Befragten mit ihrem letzten Arbeitgeber zufrieden waren. Dennoch sind 75 Prozent aktiv auf der Suche nach einem neuen Job, 46 Prozent wollen sich beruflich sogar komplett neu orientieren und suchen eine ganz neue Tätigkeit.
Viele Arbeitsplätze sind nicht familienfreundlich
Mit Blick auf die IU-Studie liegen die Gründe für den angestrebten Wechsel vor allem in der fehlenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nach wie vor gibt es Arbeitgeber und Arbeitsplätze, die nicht annähernd so flexibel sind, wie Mütter, Väter und Familien es brauchen und fordern. Denn bei fast zwei Dritteln der Befragten Berufsrückkehrer, die nach dem Wiedereinstieg ins Berufsleben selbst gekündigt haben, zeigt sich: Familie und Karriere bleiben schwer vereinbar.
Dabei können Unternehmen meist mit wenig Aufwand Flexibilität schaffen, die Fachkräfte privat entlastet und von einer Kündigung abhält. Bei Führungsaufgaben, wie sie heute konzipiert sind, ist die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem ein Problem der Organisation von Tätigkeiten. Führungsaufgaben sind meist komplex angelegt und erfordern viel Kommunikation und eine hohe Verfügbarkeit. New Work-Ansätze zeigen allerdings, dass selbst auf dieser Ebene ein Umdenken stattfindet. Beispielsweise werden Aufgaben stärker verteilt. Oder der Führungsstil wird verändert: Mit einem Management-bei-xception-Ansatz etwa arbeitet ein Team weitgehend selbst organisiert und die Führungskraft agiert vor allem als Steine-aus-dem-Weg-Räumer.
Das bedeutet, dass in täglichen oder wöchentlichen Meetings Mitarbeitende von ihren Arbeitsfortschritten berichten und etwaige Hürden in der Erledigung ihrer Projekte vorbringen. Das können beispielsweise fehlende Ressourcen oder Kompetenzen sein oder Interessenskonflikte mit anderen Abteilungen. Diesen nimmt sich die Führungskraft dann an.
Bei einem Servant-Leader-Ansatz steht die Führungskraft nicht an der Spitze, sondern hilft dem Team nur, seine Ziele zu erreichen. Das bedeutet bildlich, dass die Hierarche im Team auf den Kopf gestellt wird, indem das Team, das am nächsten an den Kundenbedürfnissen ist, die Erfordernisse und Notwendigkeiten in ihrer Arbeit und Prozessen formuliert und die Führungskraft das Team in der Erreichung seiner Ziele unterstützt, anstatt Prozesse und aufgaben vorzugeben.
Wunsch nach Flexibilität
Bei Fachkräften ist es meist viel einfacher, Arbeitsbereiche familienfreundlicher zu gestalten. Die Studie zeigt, was Unternehmen tun können, damit Mitarbeitende zurückkehren oder vielleicht erst gar nicht komplett aussteigen. Denn auf die Frage nach dem Kündigungsgrund antworteten 40 Prozent, dass Job und Familie, etwa durch Reisetätigkeiten oder Schichtarbeit, nicht miteinander vereinbar waren. Und 27 Prozent wollten oder mussten ihre Zeit voll der Familie widmen. Kein Wunder also, dass 37 Prozent der Befragten in Zukunft flexibler arbeiten möchten, 34 Prozent grundsätzlich einen neuen Job finden wollen und sich 31 Prozent beruflich verändern möchten.
Die Ergebnisse legen nahe, dass es in Märkten, in denen die Nachfrage nach Fachkräften hoch ist, sinnvoll ist, flexiblere Arbeitsmodelle anzubieten – das kann von mobile oder Homeoffice-Lösungen, bei Berufen mit einem hohen Digitalisierungsgrad, über Anpassungen der Wochenarbeitszeit bis zu flexiblen Anfangs- und Endzeiten und flexiblen Wochentagen gehen. Wer also Mitarbeitende sucht, kann solche Argumente nutzen, um für Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrer attraktiv zu werden. Und auch wer Mitarbeitende halten will, sollte hier den Hebel ansetzen, denn der Aspekt Flexibilisierung wird auch für Mitarbeitende immer wichtiger, die keine Auszeit nehmen.
Fuß fassen im neuen Job durch Weiterbildung
Da viele der Berufsrückkehrende bereit sind, das Berufsfeld zu wechseln, steht für Unternehmen auch die Frage der Qualifizierung im Raum – auch mit der Perspektive, durch Umschulungen vakante Positionen besetzen zu können, in denen der Fachkräftemangel akuter ist. Die gute Nachricht lautet: 88 Prozent der Befragten interessieren sich für Weiterbildung. Das macht Weiterbildungsangebote und -perspektiven zu einem Faktor der Mitarbeiterbindung und der Arbeitgeberattraktivität.
Doch auch die Teilnahmemöglichkeit an diesen Angebote muss flexibel gestaltet werden. Hier sind sich die an Weiterbildung Interessierten allerdings uneinig. Online mit freier Zeiteinteilung oder virtuell zu festen Zeiten, Präsenzunterricht im Klassenraum oder hybride Modelle – keine der Alternativen erhielt mehr als 35 Prozent der Stimmen. Unternehmen sollten Mitarbeitende individuell fragen, welche Formate für sie am besten geeignet sind. So können Arbeitgeber beispielsweise flexible örtliche Wahrnehmungsmöglichkeiten, flexible Startpunkte am Morgen und die Option, flexibel tageweise auszusetzen, nach Bedarf anbieten, die von jeweils 51, 42 und 40 Prozent der Befragten für grundsätzlich sinnvoll erachtet werden.
Fazit
Bei der Suche nach engagierten Mitarbeitenden lohnt sich der Blick in Richtung Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrer gleich doppelt. Zum einen können Unternehmen durch Anpassungen ihrer Organisationsstrukturen und Weiterbildungsmaßnahmen Mitarbeitende binden, die gerne weiterhin für das Unternehmen tätig wären, bei denen aber die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben so nicht gegeben ist. Zum anderen können die beruflichen Umorientierungswünsche so abgefangen und Mitarbeitende im Unternehmen gehalten werden. Möglicherweise lassen sich so auch vakante Stellen mit Mitarbeitenden besetzen, die bereits im Unternehmen an anderer Stelle arbeiten. Nicht zuletzt Einarbeitungszeiten in die Unternehmensstrukturen entfallen dadurch. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Flexibilität und Weiterbildungsmöglichkeiten den familienfreundlichen Einstieg und eine weitere berufliche Karriere ermöglichen.
Tim Stakenborg verantwortet die Heftplanung des Magazins Personalwirtschaft. Zudem betreut er das Thema Aus- und Weiterbildung (inklusive MBA und E-Learning) und beschäftigt sich mit dem Bereich Employee Experience und Retention.