Nur vier Monate hatten die Verantwortlichen der Carbon-Black-Sparte von Evonik Zeit, um aus einem abgespaltenen Konzernteil ein Unternehmen zu formen, das auf eigenen Beinen stehen sollte. Gerade im Human-Resources-Bereich war im Zuge des Carve-out 2011 Aufbauarbeit angesagt. Durch die Trennung vom Essener Spezialchemiehersteller verfügte die neu zu gründende Orion Engineered Carbons (OEC) zunächst nicht über eigene zentrale Strukturen.
„Zentrale Human-Resources-Funktionen waren plötzlich nicht mehr vorhanden und mussten neu aufgebaut werden“, erinnert sich Enzo Pezzolla, heute Werksleiter in Kalscheuren bei Köln, an die Stürme der Anfangszeit. 2011 kehrte der Personaler aus Italien zurück und übernahm in dem neuen Unternehmen die Leitung für Human Resources in Deutschland und in der EMEA-Region. Für ihn wie für seine Kollegen im Management war es ein Sprung ins kalte Wasser mit deutlich größerem Aufgabenfeld und deutlich größerer Verantwortung.
Funktionsbewertung und Vergütungsmodell strukturiert entwickeln
Ein neues Vergütungssystem musste her, denn die Geschäftsleitung des jungen Unternehmens legte großen Wert darauf, sich klar von der eigenen Vergangenheit abzugrenzen. Schließlich war OEC seit Herbst 2011 ein Mittelständler und kein Großkonzern mehr. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 1.350 Mitarbeiter. Während in Deutschland die meisten Beschäftigten nach dem Tarifvertrag der chemischen Industrie bezahlt werden, musste für die außertariflich bezahlten Fach- und Führungskräfte eine neue Vergütungsarchitektur entwickelt werden.
Zwar nahmen die Mitarbeiter ihre Vergütungsansprüche und ihre Einstufungen beim Betriebsübergang von Evonik zu Orion mit, doch die grobkörnige Entgeltstruktur eines Konzerns konnte den Anforderungen eines schlanken, mittelständischen Unternehmens nicht mehr gerecht werden. Ein Beispiel: Eine flache Hierarchie und eine schlanke Organisation bedeuteten für viele Orion-Mitarbeiter zusätzliche, neue Aufgaben – und damit mehr Verantwortung, vor allem für außertarifliche Fach- und Führungskräfte. Sich auf einzelne Teilaufgaben zu konzentrieren war in der neuen OEC-Welt nicht mehr möglich. Das Unternehmen brauchte eine passende Organisationsstruktur, und die musste sich in einem Stellenbewertungs- und Stellenplanungskonzept wiederfinden.
„Wir haben in Deutschland das strata-Bewertungssystem angepasst eingeführt und in den USA die Hay-Systematik weiterentwickelt“, erläutert Enzo Pezzolla das Vorgehen. „Beide Systeme haben wir so austariert, dass wir innerhalb unserer Gruppe direkt von dem einen auf das andere System umstellen können.“ Konkret lässt sich jeder Vergütungsgruppe nach der Hay-Systematik eine entsprechende strata-Gruppe zuordnen.
In Deutschland unterscheidet sich das neue Vergütungssystem komplett von der früheren Praxis. „Wir legten großen Wert darauf, dass Vergleiche zwischen früher und heute nicht möglich sind.“ Enzo Pezzolla verweist auf die geänderte Skalierung mit weniger Gruppen und neuen Begriffen. Ausdrücklich lobt er das strukturierte Vorgehen. „Das gesamte zehnköpfige Managementteam von OEC bis hinauf zum CEO haben an der Bewertung teilgenommen.“ Im Gegensatz zur früheren Praxis, nach der man sich Funktionsgruppen statt einzelner Funktionen anschaute und aus diesen Ergebnissen Job-Families ableitete, bewertete Orion jede einzelne AT-Stelle. Die Kommission kam über einen Zeitraum von sechs Monaten immer wieder zusammen, bis die neuen Strukturen standen. Der Münchner Vergütungsberater Stefan Röth moderierte die Meetings. In diesen Runden musste jeder Manager die Stellen in seinem Bereich analysieren und bewerten. Dabei ging es um die Funktionen und nicht um die Personen, die auf den Stellen saßen. Schnell klärte sich, welche Anforderungen an jede einzelne Stelle zu knüpfen waren. Der Funktionsbewertung lagen drei Kriteriengruppen zugrunde:
- Wissen und Können
- Probleme lösen
- Beeinflussen und Verantworten
Bei ihrer Arbeit änderte oder strich die Kommission viele bestehende Stellenprofile. Auch überdachte und definierte sie alle Arbeitsprozesse und Schnittstellen neu. Am Ende erhielt OEC eine komplett renovierte Organisationsstruktur mit klaren Profilen, Zuständigkeiten und Prozessen. Die transparente Struktur des Bewertungs- und Vergütungssystems machte den Verantwortlichen schnell deutlich, welche Mitarbeiter überbezahlt und welche unterbezahlt waren. „Das resultierte für den einen Kollegen in einer schnelleren Gehaltsentwicklung nach oben, für den anderen in Abstufungen nach unten über geringere Entgelterhöhungen, was bei den betroffenen Mitarbeitern nicht immer auf Verständnis stieß“, beschreibt Pezzolla die Korrekturen am Entgeltsystem.
Auf die Probe gestellt
OEC ließ das neue Bewertungs- und Vergütungsmodell noch einmal extern prüfen, indem sich das Unternehmen im Vergleich mit der Chemie-, Pharma- und Biotechnologiebranche benchmarken ließ. Dafür führte OEC verschiedene Compensation Surveys durch. Das Ergebnis bestätigte, dass OEC auf einem guten Weg ist. „Unsere Entgelte sind markt- und wettbewerbsgerecht“, resümiert Enzo Pezzolla.
Als Global Player zählt OEC zusammen mit weiteren Wettbewerbern zu den Marktführern für Carbon Black. Seit Juli 2014 ist Orion an der New York Stock Exchange gelistet. Aufgrund des globalisierten Wettbewerbs benötigt das Unternehmen hochqualifiziertes Fachpersonal. Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind anspruchsvoll und immer an den steigenden Bedarfen der Kunden ausgerichtet.
Dafür erwarten Fachkräfte ein entsprechendes Entgelt. „Wenn wir gute Mitarbeiter gewinnen und halten wollen, müssen wir ein faires und wettbewerbsfähiges Vergütungssystem anbieten“, erklärt Enzo Pezzolla. Ein zusätzlicher Baustein in der Entgeltarchitektur ist eine Bonuszahlung als variable Vergütung. Das Bonusmodell sieht vor, dass Fach- und Führungskräfte je nach Grad der Zielerreichung einen variablen Prozentsatz ihres Jahresgrundgehalts bekommen. Der Bonus berücksichtigt sowohl das Erreichen der Unternehmensziele als auch die Erfüllung individueller Zielvereinbarungen. Beides ist im Verhältnis 60 Prozent zu 40 Prozent gewichtet. Werden die vereinbarten Ziele nicht erfüllt, müssen die Mitarbeiter Abschläge beim Bonus in Kauf nehmen.
Die strukturierte Entwicklung des Bewertungs- und Vergütungsmodells für Deutschland war innerhalb der OEC-Gruppe der Pilot. Die Einheiten in anderen EU-Staaten sind deutlich kleiner. Deshalb fand jeweils nur eine Bewertung der regionalen Führungskräfte statt. Sie sind alle in derselben Funktionsstufe eingruppiert, auch wenn sich das Vergütungsniveau von Land zu Land unterscheidet.
Einmal aufwendig entwickelt, soll das Bewertungs- und Vergütungssystem auch in Zukunft stets aktuell bleiben. Deshalb prüfen es Enzo Pezzolla und seine Kollegen jährlich auf der Basis von Marktvergleichen. Engagierte Mitarbeiter fühlen sich in der neuen Struktur wohl, eröffnet sie doch Karrierechancen und neue Freiheiten am Arbeitsplatz. „Einer Fachkraft, die sehr gut performt und Talent zeigt, die sich aber auf ihrer derzeitigen Stelle beim Entgelt nicht weiterentwickeln kann, eröffnen sich jetzt durch einen Wechsel auf eine andere Funktion schnell neue Chancen.“
Dr. Guido Birkner
verantwortlicher Redakteur Human Resources
FRANKFURT BUSINESS MEDIA – der F.A.Z.-Fachverlag