Frau Adam, welche Konsequenzen hätte ein harter Brexit nach dem 29. März für Dienstreisende und Entsandte aus der EU, die in Großbritannien beruflich tätig sind, im Hinblick auf die gesetzliche Sozialversicherung?
Nancy Adam: Nach dem 29. März wird es in der Sozialversicherung kompliziert, denn es ist noch unklar, was im Fall eines harten Brexits passieren wird. Noch regeln EU-Verordnungen den Umgang mit der Sozialversicherung von Entsandten und Dienstreisenden innerhalb der EU. Demnach dürfen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus einem EU-Land für die Dauer ihrer Tätigkeit in einem anderen EU-Land im Heimatland sozialversichert bleiben. Für Großbritannien würde diese EU-Regelung ab dem 30. März nicht mehr gelten.
Welche gesetzliche Regelung tritt für deutsche Entsandte nach UK an die Stelle des EU-Rechts?
Nancy Adam: Es gibt noch ein altes Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien aus den sechziger Jahren. Das wurde nie aufgekündigt, sondern ist mit dem EU-Beitritt von Großbritannien 1973 nur in den Hintergrund gerückt. Grundsätzlich ist der Fortbestand des alten Abkommens gut für die betroffenen Entsandten und Dienstreisenden, denn dadurch dürfen sie weiterhin in der deutschen Sozialversicherung bleiben. Doch die Sache hat einige Haken. So ist das alte Abkommen nicht so umfassend wie die EU-Verordnung. Darüber sind nur klassische Entsandte erfasst, aber keine Personen, die zum Beispiel regelmäßig drei Tage pro Woche in UK arbeiten und sich ansonsten woanders aufhalten.
Hilft an dieser Stelle das neue deutsche Brexit-Übergangsgesetz?
Nancy Adam: Dieses Gesetz greift nur bei einem Brexit ohne Abkommen. Das Brexit-Übergangsgesetz soll zwar Nachteile für Personen in UK vermeiden, allerdings regelt es nicht die Möglichkeit, dass derzeit Entsandte oder Dienstreisende weiterhin in Deutschland versichert bleiben können. Zudem ist das Brexit Übergangsgesetz ein nationales deutsches Gesetz und berücksichtigt nicht die nationale britische Gesetzgebung, so dass eine bilaterale Koordination des Sozialversicherungsrechts nicht erfolgt. Außerdem wird die Situation für Dienstreisende und Entsandte noch einmal dadurch komplizierter, dass die britische Regierung das alte Abkommen nicht mehr anwenden will, obwohl es nach wie vor in Kraft ist und eine einseitige Kündigung rechtlich nicht möglich ist. Inzwischen hat der britische Gesetzgeber selbst eine Gesetzesinitiative angestoßen und versucht, die Situation für Entsandte und Dienstreisende zu regeln. Wenn daraus in Zukunft geltendes Recht würde, dann wären Entsandte aus EU-Ländern in den ersten zwei bis fünf Jahren in UK nicht sozialversicherungspflichtig. Umgekehrt könnten britische Entsandte in EU-Ländern in UK versichert bleiben. Aber diese Gesetzesinitiative käme einseitig von den Briten und wäre nicht mit den einzelnen EU-Ländern abgestimmt.
Was sollten Beschäftigte aus Deutschland tun, die bereits nach UK entsandt sind?
Nancy Adam: Für diese Personen ist die Situation unklar bis kritisch. In der Regel sind sie heute in Deutschland sozialversichert und in UK von der Sozialversicherung befreit. Bei einem ungeregelten Brexit haben die Entsandten aber im Zweifelsfall keine Möglichkeit mehr, allein in Deutschland sozialversichert zu bleiben. Ein Worst-Case-Szenario wäre, dass ihnen eine doppelte Beitragspflicht in beiden Ländern drohe. Die noch geltende EU-Verordnung hat eine solche Doppelverbeitragung immer verhindert. Ich empfehle Unternehmen mit Entsandten in UK in der aktuellen Situation, alle betroffenen Personen zu identifizieren und aufzulisten. Auch sollten sie sehr aufmerksam sein, was sich in der britischen Regierung und bei den betreffenden Organisationen in UK tut. Mehr können sie in der unklaren Situation nicht unternehmen.