Herr Hogenschurz, die Deutsche Telekom beschäftigt weltweit 228.000 Mitarbeiter, davon 114.000 in Deutschland. Hat der Konzern international ein einheitliches Gradingsystem zur Bewertung von Stellen und Funktionen implementiert?
Bernhard Hogenschurz: In den tariflichen oder in vergleichbaren Bereichen ist unser Gradingsystem von Land zu Land unterschiedlich geprägt. Die Deutsche Telekom selbst war ursprünglich ein Unternehmen der öffentlichen Hand, das zum 1. Januar 1995 in eine privatwirtschaftlich geführte Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Heute beschäftigen wir in Deutschland eine überwiegend tariflich vergütete Belegschaft. Konzerngesellschaften in anderen Ländern, zum Beispiel solche, die wir übernommen haben, bringen andere Personalstrukturen, Stellenarchitekturen und arbeitsrechtliche Vorschriften mit. Ein intaktes Gradingsystem einer internationalen Tochter mit dem Status quo in Deutschland zu harmonisieren macht für uns nur dann Sinn, wenn wir dort eine Schieflage feststellen würden. Es ist nicht sinnvoll, ein funktionierendes lokales System nur um der Harmonisierung willen abzulösen. Eine Ausnahme bilden die Executives. Für sie sehen unsere Policies unter anderem einheitliche Vorgaben für das Gradingsystem, für die langfristige Vergütung und für das Entwicklungsprogramm vor. Dadurch sind alle Top-Führungsfunktionen im Konzern vergleichbar. Das ist angesichts der Rotation auf der Ebene der Führungsmannschaften auch notwendig. Neben diesen einheitlichen Mindeststandards für Executives haben die Landesgesellschaften große Gestaltungsfreiheiten auf lokaler Ebene, um in ihren Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welche Herausforderungen brachte die Privatisierung der Deutschen Telekom hinsichtlich der Stellenbewertung mit sich?
Bernhard Hogenschurz: Wir waren Mitte der neunziger Jahre ein ehemaliger Staatsbetrieb mit vielen Beamten. Bevor wir uns ein neues Stellenbewertungssystem gegeben haben, konnten wir das anhand der Ausgründung der Tochtergesellschaft T-Mobile zunächst üben. Dort haben wir quasi auf der grünen Wiese eine neue Stellenbewertung und eine neue Vergütungsstrategie entwickelt und implementiert. Wie auf dem Reißbrett haben wir geschaut, welche Benchmarks wir heranziehen und wie wir bewertungstechnisch vorgehen sollten. Wir haben uns damals für ein analytisches Herangehen entschieden, dementsprechend alle Funktionen bewertet und am Ende mit dem Markt gematcht. Im Resultat konnten wir eine marktorientierte Vergütung anbieten und dadurch gute Leute gewinnen. Beim Börsengang der Deutschen Telekom 1996 haben wir unsere Erfahrung bei T-Mobile genutzt und die Grundsystematik des Modells übertragen.
Lässt sich ein solches Idealsystem einfach auf einen bestehenden Konzern übertragen?
Bernhard Hogenschurz: Natürlich waren das Gradingsystem und das Vergütungsmodell von T-Mobile passgenauer und differenzierter ausgestaltet im Vergleich zum umfangreichen System der Deutschen Telekom, das dem öffentlichen Dienst entstammt. Doch es ist uns auch im Konzern gelungen, Bewertungsstrukturen einzuführen, die eine innere Gerechtigkeit sicherstellen. Auch müssen Führungskräfte hinter dem Gradingsystem stehen. Nur so kann eine Architektur auch tragen. Dafür haben wir die Deutsche Telekom jahrelang analysiert. Das neue Bewertungs- und Vergütungssystem, das wir noch heute haben, basiert auf einer analytischen Festlegung der Eck- und Ankerfunktionen. Für die Massenfunktionen sind wir dann in die Summarik gegangen. Das summarische System ist bis heute für den Tarifbereich prägend. Für die Bewertung des außertariflichen Bereichs und der Executives haben wir die Analytik beibehalten.
Worauf bezieht sich die von Ihnen genannte innere Gerechtigkeit?
Bernhard Hogenschurz: Die Deutsche Telekom beschäftigt Beamte, die nach den Besoldungstabellen zu vergüten sind und von den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst abhängen, und Tarifmitarbeiter, für die die Tarifabschlüsse mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di relevant sind. Wir haben die Bewertung der Funktionen für die Beamten und die der Tarifmitarbeiter harmonisiert und damit ein möglichst hohes Maß an innerer Gerechtigkeit hergestellt, auch wenn die Welt bei der Vergütung auseinandergeht.
Der 31. Januar 2016 ist der nächste Kündigungstermin für eine ganze Reihe von Entgelt-Tarifverträgen im Telekom-Konzern, darunter auch bei der Deutsche Telekom AG. Wie aufwendig sind solche Verhandlungsrunden?
Bernhard Hogenschurz: Es stehen in der Tat mehrere Tarifrunden an, in denen der Arbeitgeberverband der Deutschen Telekom und ver.di miteinander verhandeln. Dabei geht es nicht auf einen Schlag um alle Tarifmitarbeiter. Vielmehr ist es angesichts der Spreizung im Tarifbereich zum Teil erforderlich, für die verschiedenen Tarifwerke separat zu verhandeln. Hier gelten jeweils eigene Entgelt-Tarifverträge, teilweise auch verschiedene Manteltarifverträge und Entgeltrahmentarifverträge.
Wie grenzen sich der Tarifbereich und der außertarifliche Bereich bei der Deutschen Telekom voneinander ab?
Bernhard Hogenschurz: Beide Bereiche sind allein durch die Entgelthöhe voneinander getrennt. Diese Grenze lässt sich weniger an bestimmten Funktionen festmachen. Für Tarifmitarbeiter existieren die Tarifgruppen 1 bis 10. Zwischen der höchsten Tarifstufe, also T10 Stufe 4, und dem Beginn des AT-Bereichs besteht laut dem Abstandsgebot jeweils eine Differenz von 1 Euro. Im Konzern haben wir bei den Grenzen zum AT-Bereich eine Spanne zwischen rund 70.000 Euro und 98.000 Euro Jahresbruttoeinkommen.
Wie steigen Mitarbeiter im Tarifbereich bei der Vergütung auf?
Bernhard Hogenschurz: Wenn ein Beschäftigter eine höherwertige Tätigkeit übernimmt, kann er in eine höhere Tarifgruppe aufsteigen. Ansonsten bleibt er in seiner Tarifgruppe. Er hat aber die Möglichkeit, innerhalb eines Bandes über die normale Zeitreihe von 100 Prozent stufenweise auf bis zu 115 Prozent aufzusteigen.
Den etablierten Gradingsystemen großer Beratungsgesellschaften wird immer wieder vorgeworfen, zu wenig flexibel zu sein für eine Zeit, in der sich die Arbeitswelt und die Funktionsprofile permanent wandeln.
Bernhard Hogenschurz: Ich vertrete den Standpunkt, dass jedes Unternehmen seinen Ordnungsrahmen benötigt, um Funktionen im In- und Ausland vergleichbar zu machen und um eine interne Gerechtigkeit abzubilden. Vielleicht stoßen die gängigen Systeme derzeit an ihre Grenzen, denn wir erleben eine spannende Zeit mit vielen Veränderungen. Wer allein auf einen analytischen Ansatz setzt, wird Probleme bekommen. Damit ein Gradingsystem erfolgreich funktioniert, muss HR die Unternehmensstrategie, das Geschäft und den Markt stets im Blick haben und Anpassungen in das System einspeisen. Ist ein System also flexibel genug, dass es sich anpassen lässt, lässt es sich auch auf dem aktuellen Stand halten. Ein Beispiel: Wir verändern gerade die Organisation eines Konzernbereichs und gehen dabei mit der Analytik vor. Wir führen Gespräche mit dem Vorstand und den wichtigsten Bereichsleitern, um die Strategie in diesem Bereich kennenzulernen. Erst wenn wir alle relevanten Informationen haben, befassen wir uns mit der Frage, wie wir die Stellen gerecht bewerten. Dabei preisen wir das Heute und die Zukunft ein. In zwei Jahren werden wir den Bereich und seine Stellenbewertung dann erneut betrachten.
HR sollte also nahe am Geschäft sein und jede relevante Änderung im Unternehmen mitbekommen?
Bernhard Hogenschurz: Genau, denn dann hat HR auch die Möglichkeit, im Unternehmen aktiv zu gestalten. Die Fachseite muss davon überzeugt werden, dass HR in der Lage ist, Stellen und Funktionen exakt zu bewerten, Personal dafür intern oder extern zu gewinnen und aktiv zum neuen Geschäft beizutragen.
Mit welchen Unternehmen vergleicht sich die Deutsche Telekom in der AT-Vergütung?
Bernhard Hogenschurz: Für Querschnittsfunktionen wie Marketing und Finance schauen wir auf den gesamten DAX30. Für unsere Ländergesellschaften führen wir ebenfalls All-Industry-Vergleiche durch. Sobald es um technologische Spezialfunktionen geht, ziehen wir Vergleiche mit IT- und Telekommunikationsunternehmen heran, also mit den großen TK-Anbietern wie Vodaphone oder O2, aber auch mit IT-Konzernen wie SAP oder Google. Um die Talente zu gewinnen, die wir in den einzelnen Bereichen brauchen, müssen wir die jeweiligen Märkte genau im Blick haben. Das gilt auch für unsere operativen Bereiche wie die Servicetechnik. Hier vergleichen wir uns beispielsweise unter anderem mit dem Elektrohandwerk.
Wie regelmäßig überprüfen Sie das Gradingsystem und die Vergütung?
Bernhard Hogenschurz: In unserer Branche und in unserem Unternehmen verändert sich technologisch so viel, dass wir hier stets wachsam sein müssen, ohne in einen Aktionismus zu verfallen. Gerade in Bereichen, die umstrukturiert werden, schauen wir intensiv nach, ob der Rahmen und die einzelnen Kennziffern noch passen. Zudem führen wir generell im Abstand weniger Jahre einen Hygienecheck in allen Systemen durch und prüfen, ob noch alles passt oder ob Verwerfungen eingetreten sind, die wir nicht nachvollzogen haben. Das kann Bewertungen, Vergütungen oder Berufsprofile betreffen.
Inwieweit nutzt HR Daten und Informationen, die aus der Stellenbewertung gewonnen werden, für andere HR-Bereiche?
Bernhard Hogenschurz: Wir überprüfen einmal im Jahr die Jobfamilien und passen sie bei Bedarf an. Solche aktualisierten Informationen stellen wir dann den Kollegen von HR-Development und vom Recruiting zur Verfügung. So lassen sich Jobfamilien schon heute für Stellenausschreibungen nutzen. Gerade dann, wenn international Spezialisten gesucht werden, müssen wir für die Ausschreibungen Informationen aus unserer Datenbank hinzuziehen.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner