Unsere Arbeitswelt verändert sich radikal. Die Komplexität und Schnelligkeit von Prozessen sowie die Dynamik von Veränderungen haben in einem Umfang zugenommen, der Unternehmen und Führungskräfte vor massive Herausforderungen in Selbstmanagement und Führung ihrer Mitarbeiter stellt. Diese müssen für die permanente Veränderung ihrer Tätigkeiten begeistert und qualifiziert, Teams müssen auf gemeinsame Ziele hin ausgerichtet werden.
Wollen HR-Bereiche unter diesen Rahmenbedingungen einen Mehrwert bieten und eine partnerschaftlich gestalterische Rolle übernehmen, müssen sie Führungskräfte durch effiziente, ineinandergreifende und flexible Tools unterstützen. Sie müssen zudem innovative Impulse setzen, damit das Management strategische Herausforderungen meistern kann.
Klassische Funktionsbewertungen wurden und werden in Unternehmen eingeführt, um die unterschiedlichen Beiträge und Wertigkeiten von Funktionen zu identifizieren und deren Strukturierung nachvollziehbar und konsistent vorzunehmen. Der Fokus liegt hier oft auf Vergütungsthemen. So werden Wertigkeiten auch als Ausgangspunkte für externe Vergütungsvergleiche herangezogen.
Verzahnende Funktionsbewertung statt isolierter Systeme
Aber Prozesse und Ergebnisse der Funktionsbewertungen zählen vielfach zum geheimnisvollen Experten-Knowhow des HR-Bereichs und sind nur in geringem Maße oder gar nicht Bestandteile eines für das Business ausgestalteten Managementsystems. Oft liefern die Ergebnisse aufgrund ihres Zuschnitts keine Antworten auf praktische Fragen, oder sie finden sich in zu fein gegliederten Funktionsstufen oder Grades mit entsprechenden Strukturen wieder. Das Management fühlt sich durch feinmaschige Vergütungsregelungen gegängelt oder nimmt Bewertungsprozesse zuweilen sogar als Selbstzweck des HR-Bereichs wahr. Ein häufig beobachtbares Phänomen von Grades ist, dass sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter Entwicklungsfragen mit einem reduzierten Fokus auf das Erreichen eines höheren Grades und nicht auf inhaltliche Weiterentwicklung betrachten.
Ein geordnetes Gefüge an Funktionen ist sicher nach wie vor erforderlich, um klare Strukturen zu etablieren und abhängige Managementprozesse steuern zu können. Doch isolierte, starre Systeme und komplizierte Prozesse sind kontraproduktiv für sich schnell verändernde Geschäftsmodelle. Nur ein zeitgemäßes Verfahren der Funktionsbewertung, das sowohl Art und Weise der Strukturierung von Funktionen als auch Ergebnisse konsequent mit anderen personalrelevanten Management-instrumenten verzahnt, kann für Führungskräfte einen erkennbaren Mehrwert stiften.
Dass diese Verzahnung in der Praxis bisher selten war, liegt unter anderem an der organisatorischen Aufstellung vieler HR-Bereiche. Prozesse sind zumeist innerhalb einer der HR-Funktionen wie etwa Recruiting, Training & Development oder Compensation & Benefits aufeinander abgestimmt. Es fehlen jedoch oft eine sinnvolle inhaltliche Verzahnung und eine zeitliche Abstimmung der Prozesse über unterschiedliche Personalfunktionen und organisatorischen Grenzen hinweg. Unabgestimmt angestoßen treffen die Prozesse beim innerbetrieblichen Kunden des HR-Bereichs auf mangelnde Akzeptanz oder gar Unverständnis und Ablehnung. Angesichts vieler isolierter Prozesse, die oft nicht dem Standard der Automatisierung des Geschäfts entsprechen, überrascht es nicht, dass HR-Leistungen gelegentlich nicht als mehrwertschaffend und zukunftsweisend wahrgenommen werden.
Wie lässt sich dieser Situation begegnen?
Wenn Unternehmen vor der Frage der Einführung oder Anpassung einer Funktionsbewertung stehen – beispielsweise im Rahmen von M&A-Aktivitäten –, sollte die Frage nach den damit verfolgten Zielen ausführlich betrachtet werden:
- Sollen die Ergebnisse in erster Linie einen externen Wertigkeitsvergleich ermöglichen und als Basis für die Strukturierung von Gehaltsbändern, Bonuspotenzialen, Benefits oder weiteren Vergütungsregelungen dienen?
- Sollen Funktionsbewertungen darüber hinaus auch eine Grundlage für die Verknüpfung mit Prozessen des Talent- und Karrieremanagements, der Nachfolgeplanung und des Performancemanagements bieten?
- Welche Erfolge sollen sich nach der Implementierung eines Funktionsgefüges mit Wertigkeitsstufen und angedockten Regelungen einstellen? Wie lassen sich diese messen?
Bei der Auswahl der Methodik zur Ermittlung von Funktionswertigkeiten sollte unbedingt der Veränderungsgeschwindigkeit des Unternehmens Rechnung getragen werden. Überall da, wo Unternehmen ständigem Wandel unterliegen oder große strukturelle Veränderungen anstehen, die sich in jederzeit wandelnden Inhalten von Funktionen und Stellen bemerkbar machen, ist der Ansatz einer klassischen Funktionsbewertung kritisch zu betrachten. So ist eine Skalierbarkeit bei großen Übernahmen oder Zusammenschlüssen erforderlich. Immer effizienter werdende Organisationen bewirken zudem Abwertungen einzelner Funktionen. Downgrading Policies, die den Status quo unnötig lange bewahren, entpuppen sich als Kostentreiber und behindern die Flexibilität. Der durch organisatorische oder inhaltliche Veränderungen resultierende Aufwand für Neubewertungen von Funktionen in einer feinmaschigen Struktur und die sich daraus ergebenden kommunikativen Herausforderungen in Richtung Mitarbeiter binden unnötige Ressourcen und finden zudem kaum Akzeptanz bei Führungskräften und Mitarbeitern.
Eine durch eine zeitgemäße Funktionsbewertung geschaffene Struktur kann als ideale Blaupause für einheitliche Organisationsformen in denjenigen Einheiten des Unternehmens dienen, die, aus Effizienzgründen einem Geschäftsmodell folgend, auch einheitlich aufgestellt sein sollen. Dies gilt insbesondere für international operierende Unternehmen.
Broad Banding statt engmaschiger Gehaltsbänder
Soll darüber hinaus eine Verknüpfung mit anderen personalrelevanten Managementprozessen angestrebt werden, empfiehlt sich der Einsatz eines pragmatischen – und zumindest nicht rein analytischen – Verfahrens mit einer überschaubaren Anzahl von Bewertungskriterien, die individuell auf das Unternehmen zugeschnitten sind. Stellen, die im Hinblick auf Karriere- und Talentmanagement vergleichbare Bedarfe aufweisen, können zusammengeführt werden. In größeren Organisationen lassen sich Jobfamilien bilden. In einer modernen Funktionsarchitektur sind Funktionen einem Gefüge aus Management-, Experten- und Supportrollen zugeordnet. Somit lassen sich in einzelnen Funktionsbereichen oder Jobfamilien Karrierewege und horizontale Entwicklungen innerhalb von Rollen verdeutlichen, anstatt herkömmliche Beförderungen mit einem ausschließlich vertikalen Aufstieg zu begünstigen.
Weiterhin muss ein angemessener Differenzierungsgrad an Wertigkeiten dem Management genügend Freiraum für individuelle Entscheidungen bieten. Broad Banding mit klarer Governance statt engmaschiger Gehaltsbänder geben dem Management einen ausreichenden Spielraum für marktgerechte und regelkonforme Einzelfallentscheidungen.
In einem so aufgesetzten System der Funktionsbewertung ergeben sich für die verschiedenen Jobfamilien klare Differenzierungen hinsichtlich definierter Anforderungskriterien. Diese können und sollten in andere HR-Prozesse integriert werden, etwa in das Recruiting durch eine Verknüpfung der Anforderungskriterien mit den jobspezifischen Kompetenzen bei der Auswahl externer und interner Mitarbeiter sowie mit den in diesem Zusammenhang genutzten Auswahlverfahren. Gleiches gilt für die Bereiche Training und Development sowie Talentmanagement. Das Trainingsportfolio sowie Programme und Maßnahmen im Talentmanagement lassen sich anhand abgestimmter Anforderungs- und Kompetenzbereiche zielgruppenspezifisch gestalten. Die Zuordnung von Stellen zu Funktionsstufen liefert wichtige Erkenntnisse über Schlüsselfunktionen im Unternehmen und bildet zusammen mit den Daten zu den aktuellen Stelleninhabern einen idealen Aufsatzpunkt für eine systematische Nachfolgeplanung (siehe Abbildung).
Ziele definieren
Nicht nur bei der Neueinführung von Funktionsbewertungen, sondern auch bei bestehenden Systemen lohnt es sich, die damit verfolgten Ziele zu schärfen und Methodik und Applikationen im Hinblick auf eine sinnvolle Integration aller HR-Prozesse und der Nutzung in einem integrierten Managementsystem zu prüfen. In der Praxis bewährt es sich, bei der Überprüfung oder Neueinführung eines Bewertungssystems zu Beginn klare und weitreichende Ziele aus der Sicht des Managements zu definieren:
- Wofür werden die Ergebnisse einer Funktionsbewertung benötigt?
- Welche Compensation-Elemente und Benefits werden damit verknüpft?
- Welche anderen personalrelevanten Managementanwendungen sollen gesteuert und damit an die Ergebnisse einer Funktionsbewertung geknüpft werden?
- Wie lässt sich sicherstellen, dass das Management die Anwendungen als aus einem Guss erlebt?
- Wie transparent werden Prozesse und Ergebnisse Führungskräften und Mitarbeitern kommuniziert?
- Welcher Bewertungsansatz und welche Governance passen optimal zu den kurz-und langfristigen Geschäftsanforderungen wie Geschäftsstrategie, Veränderungsgeschwindigkeit oder Aufbau neuer Geschäftsfelder?
- Welches praktikable Vorgehen fördert ein möglichst hohes Buy-in des Managements und gewährleistet den Übergang ins Führungsinstrumentarium und die selbstverständliche Anwendung durch das Management?
Die Beantwortung dieser Fragen ist wichtiger als die Entscheidung für eine der verschiedenen Bewertungsmethoden. Welches System am besten zu einem Unternehmen passt, hängt von der strategischen Ausrichtung und dem gewünschten Grad der Integration der Prozesse ab. Wir erwarten in Zukunft überwiegend unternehmensspezifische Ansätze zur Funktionsbewertung, die eine optimale Ausrichtung auf die Unternehmensstrategie ermöglichen, und Funktionsarchitekturen mit inte-grierten Management-/HR-Systemen und Prozessen, die schnell auf Veränderungen reagieren können.
Andreas Hofmann
Geschäftsführender Gesellschafter
Hoyck Management Consultants GmbH
Frank Hoyck
Geschäftsführender Gesellschafter
Hoyck Management Consultants GmbH
Annette Rudolph
Manager
Hoyck Management Consultants GmbH
Prof. Dr. Marion Hoeren
Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personal
Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen