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Round Table Weiterbildung: Mut zum Experiment

Einen unverkennbar digitalen Fußabdruck haben die Weiterbildungsträger in Folge der Kontaktbeschränkungen hinterlassen. Die Nachfrage nach Bildungsmaßnahmen – ob rein virtuell oder hybrid – stieg deutlich an. Was haben die Anbieter in der Pandemie gelernt und mit welchen Entwicklungen rechnen sie im Jahr 2022?

Neue Lernformate zügig realisiert

Im Jahr 2021 war Geschwindigkeit gefragt, um betriebliches Lernen überhaupt aufrechterhalten zu können. Daher wurden die analogen Inhalte eins zu eins in die digitale Welt transformiert. Dies konnte aber nur ein erster Schritt sein, denn Inhalte müssen für das virtuelle Lernen anders aufbereitet werden als für analoge. Daher haben in der zweiten Phase die Weiterbildungsträger gemeinsam mit den Kunden die Lernformate kritisch hinterfragt, Elemente modularisiert, umgebaut und schließlich in neue Ausbildungskonzepte übertragen. Erst dabei zeigt sich, welche Themen sinnvoller Weise digital und welche in einer Vor-Ort-Schulung vermittelt werden sollten.

Lob für Arbeitgeber

Anerkennung sprechen die Learning-Experten Unternehmen und ihren Mitarbeitenden aus. Die Mehrheit sah sich in der Lage, über Nacht in neue Formate einzusteigen. Lediglich im Behördensektor habe es etwas länger gedauert, bis organisatorischen und technischen Hürden überwunden waren. Allerdings gestaltete sich Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen, die zwingend eine Präsenz erfordern, als schwierig. Dies betraf beispielweise Schulungen im Bereich Arbeitssicherheit, Transport, Lager- und Gefahrgutlogistik, die spezifische gesetzliche Vorgaben erfüllen müssen –  beispielsweise praktische Übungen vor Ort. In diesen Fällen konnten und können die Anbieter ihre Trainings nicht voll auslasten, weil Abstandsregeln und Mindestraumgröße beachtet werden müssen.

Dass sich ebenso verhaltensorientierte Lernprozesse wie Selbstreflektion und Coachings digital wirksam vermitteln lassen, war eine neue Erfahrung in der Zeit der Kontaktbeschränkungen. So funktionierte auch die Führungskräftequalifizierung virtuell, vorausgesetzt die Teilnehmenden verfügten über Vorerfahrungen mit den technischen Tools.

Micro-Learning im Trend  

Unternehmen, in denen die Beschäftigten bereits mit einem Learning-Management-System (LMS) oder einer Learning-Experience-Platform (LXP) arbeiteten, hatten in der Zeit, in der persönliche Trainings ausgeschlossen waren, durchaus einen Vorsprung. Und auch für die Anbieter von LMS- und LXP-Lösungen war gegen den allgemeinen Trend 2020 und 2021 ein gutes Jahr. Viele kleinere und mittelgroße Bildungsträger stellten sich technologisch neu auf und befassten sich intensiver mit den Lernsystemen. Diejenigen, die bereits LMS-Konzept erprobt hatten, suchten nach neuen State-of-the-Art-Lösungen und stiegen auf LXP-Systeme um. Beide Gruppen von Anwendern setzten vermehrt auf Micro-Learning, da sich fünf bis zehnminütigen Lerneinheiten besser in den Arbeitsfluss einfügen lassen.  

Lernraum vor Ort oder digital? 

Umfragen zeigen, dass die Mitarbeitenden virtuelles Lernen mit „gut“ bis „sehr gut“ bewerten. Allerdings spiegelte sich diese Begeisterung nicht wieder, als Präsenztrainings möglich waren. Weniger als die Hälfte der Nutzer bleiben beim digitalen Lernen. Weiterbildung, ob in Gruppen oder im Einzelunterricht, erfährt eine Renaissance. Daher sehen die Weiterbildungsträger noch einen langen  Weg vor sich, bevor sich virtuelles Lernen in großer Breite durchsetzt. Beispielsweise bedarf es guter Unterrichtskonzepte mit einem adäquaten Mix aus digital unterstützten Selbstlernphasen im Wechsel mit Präsenzlernen und virtuellen Kommunikationsformen. Doch auch wenn technische und didaktische Lösungen funktionieren, bleibt ein Grundproblem: die Emotionalisierung fehlt. Denn Menschen sind auf Resonanz getrimmt und lernen über gemeinsam gemachte Erfahrungen, Erlebnisse und geteilte Emotionen.

Präsenzseminare haben Incentivierungscharakter

Ob sich virtuelle Formate dauerhaft als Ergänzung oder als Ersatz für Vor-Ort-Lernen erweisen, hängt auch an Fragen der personalpolitischen Bedeutung von Weiterbildung. Für das Lernen in zeitlich festgelegten Präsenzveranstaltungen spricht, dass Weiterbildungen als Benefit verstanden werden. Eine Anerkennung für Geleistetes, die auch Bindung und Motivation erzeugt, kann eine Webinar-Technologie nicht annähernd bieten. Mitarbeiter verstehen eine vom Arbeitgeber bezahlte, außerhäusige Veranstaltung immer noch als Zeichen der Wertschätzung. Künftig sollten Arbeitgeber auch unter diesem Gesichtspunkt beleuchten, ob die Incentivierung der Beschäftigten gewünscht ist.

Gleichzeitig bewegt Arbeitgeber das Thema Nachhaltigkeit: Wann macht es Sinn, Zeit, Fahrt- und eventuell Übernachtungskosten zu investieren? Virtuelles Lernen ist auf jeden Fall ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Das bedeute aber nicht, Präsenzveranstaltungen vollständig aufzugeben, betonen die Learning-Experten.

Neue Lernwege erfordern kulturellen Change  

Welche Lerntechnologie und welche digitalen Bildungsformate zum Unternehmen passen, ist unter anderem auch von der Kultur abhängig. Die technologischen Möglichkeiten entwickeln sehr schnell weiter, aber die Kultur und das Mind Set insbesondere in traditionellen Unternehmen verändern sich demgegenüber deutlich langsamer. Die große Chance und Herausforderung für Anbieter liegt darin, Organisationen dabei zu begleiten, die neuen Lernmöglichkeiten sinnvoll zu nutzen. Denn Unternehmen kommen aus einem Directed-Learning-Umfeld und erleben nun Möglichkeiten, den Lernenden viel mehr Eigenverantwortung zu übertragen. Dieser Transformationsweg ist eben nicht nur ein technologischer, sondern Unternehmen müssen Schritt für Schritt aus einer bestehenden Organisation der Weiterbildung in eine digitale Lernwelt hineinwachsen.

Hybride Formate nicht von heute auf morgen

Wird die Post-Corona-Welt mit Beschäftigten in Homeoffice den Weg zur rein digitalen Weiterbildung  ebnen? Die überdies auch noch CO2 reduziert? Die Prognosen sind unterschiedlich, denn das Beharrungsvermögen der Kultur ist ein nicht zu unterschätzender Faktor und es ist fraglich. Auch ob das Argument der ökologischen Nachhaltigkeit einen so hohen Leidensdruck erzeugt, dass sich digitales Lernen durchsetzt, bleibt offen. Langfristig sei ein Verhältnis von Präsenzseminaren zu virtuellem Lernen von 50 zu 50 vorstellbar. Und dies bedeute eine Mammutaufgabe, weil Lerninhalte zum Bedürfnis der Lerner passen und ansprechend gestaltet sein müssen.

Momentan gilt: Die Phase des Ausprobierens, Testens und Experimentierens fängt gerade erst an, weil auch Anbieter und Kunden noch Erfahrungen sammeln müssen. Mittelfristig wird es auf hybride Formate hinauslaufen: ein Mischung von Präsenztraining, trainergeführtem Online-Lernen und Self-Learning vor dem Bildschirm.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.