Vor Beginn der Covid-19-Pandemie schien sich aufgrund des demografischen Wandels und der fortschreitenden Digitalisierung das Ringen um Talente immer weiter zuzuspitzen. Doch parallel zum Konjunktureinbruch als Folge der Corona-Krise drehte sich der Wind am Arbeitsmarkt in verschiedenen Bereichen plötzlich zum Vorteil der Arbeitgeber: Interne und externe Talente standen mehr als zuvor zur Verfügung. Vor allem aber prognostizierten Führungskräfte und HR-Experten eine weitere deutliche Entspannung der Situation.
Die Längsschnittbetrachtung wurde ermöglicht durch den Talent-Klima-Index (TKI), der seit 2016 in halbjährlichen Abständen an der Hochschule Fresenius in Zusammenarbeit mit dem HR-Beratungsunternehmen Profil M erhoben wird. Im Rahmen einer Stichprobe von insgesamt 1145 HR-Mitarbeitenden, Führungskräften und Top-Entscheidern werden Trends hinsichtlich der Verfügbarkeit von Talenten auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhoben, als Talente gelten dabei Fach- und Führungskräfte allgemein. Diese werden unterschieden in interne beziehungsweise externe Talente, also solche Mitarbeitende, die im Unternehmen gehalten werden sollen gegenüber denjenigen, die erst noch auf dem externen Arbeitsmarkt gefunden und angeworben werden müssen.
Hat die Corona-Pandemie zwischenzeitlich offenbar eine Entspannung des Arbeitsmarktes im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Talenten bewirkt, scheint die Situation mittlerweile wieder umgekehrt zu sein: Das Talentklima hat sich in der aktuellen TKI-Umfrage (n = 115) gänzlich auf das Niveau von Vor-Pandemie-Zeiten bewegt. Einfacher ausgedrückt: Es herrschen schlechte Zeiten für Unternehmen bei der Suche nach Mitarbeitenden und gute Zeiten für Bewerbende!
Gestaltungsmaßnahmen innerhalb der hybriden Arbeitswelt
Der TKI wurde zu Beginn gezielt mit methodischen Analogien zum oft zitierten ifo-Geschäftsklima-Index konstruiert. Dabei ergibt die Längsschnittbetrachtung einen auffällig spiegelbildlichen Verlauf: Steigt das Konjunkturbarometer, lässt das Talentklima – also die Verfügbarkeit von Talenten – nach, wobei aktuell das Talentklima stärker gesunken ist als die Konjunkturaussichten gestiegen.
Neben dem standardisierten, unveränderten Teil der Befragung werden für jeden TKI-Erhebungszeitraum spezifische Forschungsfragen vertieft. In der aktuellen Befragung stehen Gestaltungsmaßnahmen innerhalb der neuen hybriden Arbeitswelt im Fokus. Die Erhebung zeigt, dass Flexibilisierungsmaßnahmen zu Arbeitszeitregelungen in Kombination mit mobilem Arbeiten beziehungsweise Homeoffice in vielen Unternehmen bereits umgesetzt oder zumindest erarbeitet werden. Interessant dabei ist, dass es einmal einen „konservativen Schwerpunkt“ mit Unternehmen gibt, die mobiles Arbeiten an zwei Arbeitstagen pro Woche erlauben.
Daneben gibt es einen „progressiven Schwerpunkt“, also Unternehmen, die mobiles Arbeiten an fünf Arbeitstagen pro Woche ermöglichen. Andere Aktivitäten, wie Maßnahmen zum Gesundheitsmanagement im hybriden Arbeitsumfeld, werden in einigen Unternehmen bereits jetzt recht umfänglich praktiziert, in anderen hingegen in kaum nennenswertem Umfang.
Wie weit sind Unternehmen bei den „weichen“ Maßnahmen?
Oftmals als „weiche“ Maßnahmen zusammengefasste Aktivitäten, wie Mitarbeiterbindung und die Stärkung des Sinnerleben, wurden von den befragten Unternehmen noch nicht umgesetzt beziehungsweise befinden sich höchstens in der Vorbereitungsphase. Auch die gezielte Steigerung der Remote-Führungsqualität oder des Learning-on-the-Job im hybriden Arbeitskontext befindet sich eher in der Planung als im Stadium der Umsetzung.
Vor diesem Hintergrund ist es als eher optimistisch zu sehen, dass die Befragten ihre Unternehmen insgesamt mit 55 Prozent Zustimmung als recht „gut aufgestellt“ betrachten, um bereits vorhandene Talente zu binden. Für die Gewinnung neuer Talente am externen Arbeitsmarkt liegt die Zustimmung etwas niedriger, im Schnitt aber immerhin noch bei 51 Prozent. Die nächste Umfrage mit aktualisierter Forschungsfrage ist für die zweite Jahreshälfte 2022 vorgesehen.