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Auszubildende erfolgreich an Land ziehen

Bild: NiseriN/istock
Bild: NiseriN/istock

Wie gestalten Unternehmen den Rekrutierungs- und Auswahlprozess für Auszubildende? Eine Studie der OTH Regensburg erfasst den Status quo und gibt Empfehlungen.

Sprechen Arbeitgeber und Personalverantwortliche über ihre Erfahrung mit der Rekrutierung von Auszubildenden, hört man nur selten von glorreichen Erfolgsgeschichten. Immer mehr Unternehmen spüren den seit Jahren proklamierten demografischen Wandel. Zusätzlich lässt der Trend zur Akademisierung die Zahl der Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung interessieren, deutlich schrumpfen. Das Problem liegt aber nicht nur in der Anzahl an Bewerbungen, sondern vor allem in der mangelnden Qualität: In einer DIHK-Befragung beklagten 2018 mehr als zwei Drittel der Betriebe, die ihre offenen Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, dass keine geeigneten Bewerbungen für ihre Ausbildungsstellen vorlagen; das völlige Ausbleiben von Bewerbungen konnte dagegen nur etwa ein Viertel feststellen.

Der Bewerbungsprozess als zentrales Handlungsfeld

Unternehmen müssen heute in der Lage sein, die besten Talente für ihre offenen Ausbildungsstellen zu identifizieren und für sich zu gewinnen. Entsprechend des Konzepts der Candidate Journey gilt es, alle Kontaktpunkte (Touchpoints) mit den Bewerbern aktiv zu gestalten – von der ersten Orientierung und Stellensuche bis zur Einstellung. Eine positive Candidate Experience, also ein gutes Erleben dieses Prozesses, prägt nicht nur die Entscheidung eines Kandidaten für oder gegen ein Jobangebot, sondern hat auch indirekte Effekte. So tauschen sich Bewerber in der Regel über ihre Erfahrungen in Bewerbungsprozessen aus und agieren so als wichtige Multiplikatoren für nachfolgende Interessenten.

Arbeitgeber haben dies grundsätzlich erkannt und schrauben fleißig an den Touchpoints. Die Deutsche Bahn hat beispielsweise medienwirksam das Anschreiben im Bewerbungsprozess für Ausbildungsplätze abgeschafft, um die Hürde für die Bewerbungen niedrig zu halten und es „den Bewerbern so einfach wie nur möglich“ zu machen. Doch wie sind solche Entscheidungen zu bewerten? Neben allem Bemühen um einen attraktiven Bewerbungsprozess darf auch die Selektionsfunktion nicht vernachlässigt werden: Der Bewerbungsprozess muss nach wie vor valide Personalauswahlverfahren beinhalten, um die besten Talente identifizieren zu können.

Eine Studie an der OTH Regensburg untersuchte wesentliche Merkmale des Bewerbungsprozesses für Auszubildende entlang der Candidate Journey.

Kleine und mittlere Unternehmen nutzen Ausbildungsmessen, die eigene Website und Social- Media-Kanäle deutlich weniger als große Unternehmen. Quelle: Braun, 2018
Kleine und mittlere Unternehmen nutzen Ausbildungsmessen, die eigene Website und Social- Media-Kanäle deutlich weniger als große Unternehmen. Quelle: Braun, 2018

Touchpoint #1: Berufsinformationen und Praktika

Unsere Untersuchung zeigt: Weniger als ein Drittel der befragten Ausbildungsunternehmen hatte den Eindruck, dass sich die Jugendlichen im Zuge der Berufswahl gut mit den eigenen Fähigkeiten und dem Ausbildungsberuf auseinandergesetzt haben. Angesichts dieses schlechten Informationsstands ist die mangelnde Qualität eingehender Bewerbungen keine Überraschung. Ein Grund für den schlechten Informationsstand der angehenden Azubis könnte in der Dauer der Bewerbungsverfahren liegen: In 65 Prozent der Unternehmen sind die Bewerbungsunterlagen mindestens zehn Monate vor Ausbildungsbeginn einzureichen. Und folgt man den Idealvorstellungen der Studienteilnehmer, sollten sich Jugendliche vor der eigentlichen Bewerbung bereits ein Jahr lang mit der Berufswahl auseinandergesetzt haben. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob dieser Zeithorizont nicht zu lang und für Jugendliche zu wenig greifbar ist. Unternehmen sollten also prüfen, ob sie den Bewerbungsprozess nicht verkürzen können.

Als zweiten Ansatzpunkt können Unternehmen versuchen, die Berufsentscheidung der Jugendlichen aktiv zu unterstützen. Den größten Einfluss auf die Berufswahl haben nach Ansicht der Studienteilnehmer das soziale Umfeld (wie Eltern, Freunde und Lehrer) sowie Praktika. Gezielte Informationen an diese Adressaten sowie ein Angebot an schulbegleitenden oder ausbildungsvorbereitenden Berufspraktika könnten helfen, den Jugendlichen Orientierung zu geben, was der Qualität der Bewerbungen zugute käme.

Touchpoint #2: Rekrutierungskanäle 

Bereits ein Drittel der befragten Betriebe kann der Aussage, auf offene Ausbildungsstellen ausreichend viele Bewerbungen zu erhalten, heute nicht mehr zustimmen. Der Nutzung von geeigneten Rekrutierungskanälen kommt vor allem in diesen Unternehmen eine große Bedeutung zu. Die Teilnehmer der Studie rekrutieren Auszubildende vorrangig über Ausbildungsmessen, über die eigene Karriere-Website, durch den Kontakt zu Schulen und über Online-Jobbörsen. Dabei ist die Auswahl der Kanäle abhängig von der Unternehmensgröße (siehe Abbildung 1): Kleine Unternehmen (mit weniger als 500 Mitarbeitern) sparen häufig an eigenen Karriere-Websites oder dem Besuch von Ausbildungsmessen. Sie platzieren dagegen ihre Stellenanzeigen häufiger bei der Bundesagentur für Arbeit als große Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern.

Bewerbungsprozesse, die schneller, einfacher und besser kommuniziert sind, haben einen höheren Erfolg (höhere Annahmequoten der Wunschkandidaten und höhere Zufriedenheit mit eingestellten Bewerbern). Prozentwerte entsprechen dem Anteil der Unternehmen in der jeweiligen Kategorie. Quelle: Braun, 2018
Bewerbungsprozesse, die schneller, einfacher und besser kommuniziert sind, haben einen höheren Erfolg (höhere Annahmequoten der Wunschkandidaten und höhere Zufriedenheit mit eingestellten Bewerbern). Prozentwerte entsprechen dem Anteil der Unternehmen in der jeweiligen Kategorie. Quelle: Braun, 2018

Touchpoint #3: Bewerbungseinreichung 

Die mit großem Abstand am häufigsten angebotenen Möglichkeiten zur Bewerbungseinreichung sind die unternehmenseigenen Karriereseiten, die Bewerbung per E-Mail und die klassische Bewerbungsmappe. Vermutlich getrieben durch eine Reduktion des hohen Administrationsaufwands sind große Unternehmen Vorreiter darin, den Bewerbungseingang in Online-Systemen zu bündeln. Bereits eine Mehrheit der großen Unternehmen erklärt, dass bei ihnen keine Bewerbungen per E-Mail oder klassischer Bewerbungsmappe mehr möglich sind. Die Investitionen in Bewerbermanagementsysteme scheinen sich zu lohnen: Studienteilnehmer, die ihren Bewerbungseingang online abwickeln, bewerten die Einfachheit ihres Bewerbungsprozesses signifikant besser.

Entgegen dem vielfach proklamierten Digitalisierungstrend im Recruiting zeigt die Befragung, dass die erforderliche Offenheit für innovative Bewerbungsverfahren noch nicht in allen Unternehmen angekommen ist. Nur eine Minderheit der Studienteilnehmer gibt an, Bewerbungen via Social Media (35 Prozent), Apps (33 Prozent) oder One Click (23 Prozent) zukünftig in Betracht zu ziehen. Dabei gleicht diese Entwicklung eher einer Evolution als einer Revolution: Es sind vor allem die Unternehmen, die bereits Erfahrung mit onlinebasierten Systemen wie der eigenen Karriere-Website haben, die über Innovationen nachdenken.

Touchpoint #4: Auswahlverfahren 

Für viele Bewerber ist das Anschreiben die größte Hürde im Bewerbungsprozess. Dies deckt sich mit den Studienergebnissen: 66 Prozent der Befragten bemängeln, dass Bewerbungen oft Rechtschreibfehler beinhalten. Mehr als 40 Prozent kritisieren eine mangelnde äußere Form von Bewerbungen. Kein Wunder also, dass Unternehmen darüber nachdenken, das Anschreiben schlichtweg abzuschaffen und Bewerbungen beispielsweise durch standardisierte One-Click-Verfahren ohne individuelle Formatierung zu vereinfachen.

Doch während das Anschreiben nach wie vor von beinahe allen Unternehmen angefordert wird, geben nur 75 Prozent der Befragten an, das Anschreiben auch als ein wichtiges Dokument der Vorauswahl zu benutzen. Dies ist erstaunlich vor dem Hintergrund, dass für mehr als 90 Prozent Motivation und Lernbereitschaft zu den Muss-Kriterien für Auszubildende zählen, und sie damit wichtiger als Schulnoten sind. Nachdenklich stimmen auch die Ergebnisse zur Einhaltung rechtlicher Vorgaben im Auswahlprozess. Bereits 54 Prozent der Befragten verzichten gerne auf Fotos in den Bewerbungsunterlagen. Auf der anderen Seite recherchiert ungefähr die Hälfte der Unternehmen (darunter signifikant viele kleine Unternehmen) die Profile der Bewerber in sozialen Medien oder via Google. Der vorgefundene Online-Auftritt kann in Einzelfällen durchaus zu einer Absage führen. Es ist allerdings anzuzweifeln, inwiefern solche Quellen aussagekräftig und verlässlich genug sind, um auf ein Gespräch mit einem Bewerber zu verzichten. Personaler sollten sich zudem bewusst sein, dass bei der Online-Recherche von Bewerbern enge datenschutzrechtliche Bestimmungen zu beachten sind.

Haben es die Bewerber durch die Vorauswahl geschafft, sind den Arbeitgebern neben guter Vorbereitung auf Standardfragen und Fragen zum Unternehmen vor allem eine überzeugende Motivation sowie Blickkontakt und Körperhaltung wichtig. Um genau diese relevanten Kompetenzen und Verhaltensweisen beobachten zu können, ist es sinnvoll, an persönlichen Auswahlverfahren festzuhalten. Dies deckt sich mit der Studie, wonach beinahe alle Studienteilnehmer das klassische Gespräch als Auswahlinstrument für Auszubildende anwenden.

Für Unternehmen bieten sich verschiedene Möglichkeiten zur Optimierung der einzelnen Touchpoints. Quelle: Braun, 2018
Für Unternehmen bieten sich verschiedene Möglichkeiten zur Optimierung der einzelnen Touchpoints. Quelle: Braun, 2018

Touchpoint #5: Zu- und Absage

Angesichts der Investitionen in Rekrutierung und Bewerberauswahl ist es für Unternehmen entscheidend, dass die Wunschkandidaten ein Vertragsangebot auch annehmen. Ob die Entscheidung richtig war und Unternehmen mit den eingestellten Auszubildenden auch zufrieden sind, zeigt sich oft erst im weiteren Ausbildungsverlauf. Immerhin 64 Prozent der Studienteilnehmer bestätigen, dass die meisten ihrer Wunschkandidaten ein Vertragsangebot annehmen, sogar 73 Prozent sind mit den bisher getroffenen Auswahlentscheidungen zufrieden.

Vergleicht man die Unternehmen, die einen besonders erfolgreichen Bewerbungsprozess vorweisen (gemessen über hohe Annahmequoten der Wunschkandidaten und eine hohe Zufriedenheit mit den eingestellten Bewerbern), mit denjenigen, die sich als weniger erfolgreich einschätzen, lassen sich klare Erfolgstreiber identifizieren (siehe Abbildung 2). Erfolgreiche Unternehmen kommunizieren klarere Anforderungen an die Bewerber, machen es den Bewerbern einfacher, Bewerbungen abzusenden und haben einen insgesamt transparenteren und schnelleren Bewerbungsprozess. Die Auswertung der Studie zeigt aber auch: Es gibt nicht ein einzelnes Instrument, mit dem sich alle Probleme im Bewerbungsprozess lösen ließen. Vielmehr gilt es, den ganzen Prozess der Candidate Journey zu optimieren.

Mehr Wertschätzung zeigen

Die den Bewerbern entgegengebrachte Wertschätzung im Zuge des gesamten Auswahlverfahrens ist ein kritischer Aspekt für die Candidate Experience und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Wunschkandidaten ein Angebot annehmen oder sich bei Absage zu einem späteren Zeitpunkt erneut bewerben. Nach ihrer eigenen Einschätzung geben sich mehr als 70 Prozent der Studienteilnehmer selbst die Bestnote.

Schaut man aber in die Details dieser „Spitzengruppe“, zeigt sich: Genau die Teilnehmer, die angeben, sehr wertschätzend mit Bewerbern umzugehen, sehen es mehrheitlich nicht positiv, wenn Bewerber vor Versand der Unterlagen Kontakt aufnehmen, um zum Beispiel offene Fragen zu klären. Ähnlich zwiespältig wird das Nachfragen über den Bewerbungsstatus bewertet, zum Teil wird es sogar explizit als störend wahrgenommen. Und nur ein Drittel der Studienteilnehmer gibt auf eigene Initiative hin den abgelehnten Bewerbern ein Feedback.

Eigene Wahrnehmung objektivieren 

Zusammenfassend gilt es für Personaler, die eigene Wahrnehmung über den Prozess und die eigene Leistung zu objektivieren und sich selbst auf den Prüfstand zu stellen, anstatt nur die Defizite der Jugendlichen zu betonen. Wie die Studie zeigt (siehe Abbildung 3), gibt es vielfältige Ansatzpunkte, wie Unternehmen diesen zukunftskritischen Prozess weiterentwickeln können.

Studie kompakt
Forschungsfragen: Wie rekrutieren Unternehmen Auszubildende? Wie offen sind sie für Innovationen? Was sind wesentliche Faktoren für einen erfolgreichen Bewerbungsprozess?
Forschungsansatz: Im Rahmen einer Studie hat die OTH Regensburg die Merkmale des Bewerbungsprozesses entlang der Candidate Journey erfasst – von der ersten Berufswahl und Stellensuche bis zur Einstellung. Die insgesamt 160 befragten Ausbildungsbetriebe repräsentieren einen breiten Mix unterschiedlicher Unternehmensgrößen und -branchen.
Zentrale Ergebnisse: Unternehmen nutzen Rekrutierungskanäle nicht in voller Breite und schöpfen auch das Potenzial technischer Innovationen noch nicht umfassend aus. Klarheit bezüglich der erwarteten Anforderungen sowie Schnelligkeit, Transparenz und Einfachheit im Bewerbungsprozess sind empirisch nachweisbare Erfolgsfaktoren. Wertschätzung ist ein Aspekt, der (noch stärker) an jedem Touchpoint im Bewerbungsprozess beachtet werden sollte.

Autoren: Carina Braun, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Personalmanagement, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, carina.braun@oth-regensburg.de

Ludwig Voußem, Professor für Internationales Personalmanagement und Betriebswirtschaftslehre, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, ludwig.voussem@oth-regensburg.de

Forschungsteam: Franziska Forster, Simone Jaschik, Franz-Josef Karmann, Rabea König, Monika Kraus, Michaela Radlbeck, Hannah Steffel


Dieser Beitrag ist in Ausgabe 11/2018 erschienen. Sie können das gesamte Heft in unserem › Archiv lesen.