Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Das sollten Unternehmen beim Aufsetzen ihrer Recruiting-Strategie beachten

Frage an die HR-Werkstatt: Was sollten Unternehmen beim Aufsetzen ihrer Recruiting-Strategie beachten?
Es antwortet: Carmen Schermuly, Personal- und Organisationsentwicklerin, HR Support

HR vernachlässigt im Recruiting-Prozess oft das Definieren der Stellenprofile, die ausgeschrieben werden sollen. Dabei sollten Personalerinnen und Personaler damit beginnen. Stattdessen werden veraltete Stellenprofile aus der Schublade gezogen, das Briefing mit den Fachbereichen ist ungenau, der Blick in die Zukunft oder die strategische Komponente fehlt.

Wenn Abteilungen noch nicht wissen, welches Stellenprofil das Richtige ist, wird das Anforderungsprofil oft möglichst offen formuliert. Die so ausgeschriebene Stelle passt sowohl auf Junior- als auch auf Senior-Profile. Genauso sieht dann auch die Bandbreite eingehender Bewerbungen und der Auswahlprozess aus. Bei dieser Vorgehensweise schärft sich erst im Verlauf des Auswahlprozesses und in den Gesprächen mit möglichen Kandidatinnen und Kandidaten der Blick dafür, wie das Aufgaben- und Kompetenzprofil bestenfalls aussehen soll.

Mit etwas Glück und Zufall ist der passende Kandidat schon dabei. Oft aber versanden solche Gespräche, weil das Matching nicht passt. Wie auch, wenn es keine Messlatte gibt? Stattdessen findet sich keine geeignete Person oder die Stelle wird mit überarbeitetem Profil erneut ausgeschrieben. Das ist kosten- und zeitintensiv und produziert auf allen Seiten Arbeit.

Retention Management und Authentizität

Recruiting muss zu Ende gedacht werden. HR sollte deshalb Wohlfühlräume schaffen und Entfaltungsmöglichkeiten für Mitarbeitende mitdenken. Welche Rahmenbedingungen bieten Sie Ihren Mitarbeitenden an, damit sie gerne zur Arbeit kommen, sich optimal einbringen, sich persönlich und fachlich weiterentwickeln und sich möglichst konstant engagieren? Diese Fragen lassen sich bestenfalls bereits im Bewerbungsgespräch beantworten.

Retention Management sollte deshalb Bestandteil der strategischen Personalentwicklung sein. Dabei geht es darum, die passende Personalstrategie für die strategischen Unternehmensziele zu entwickeln. Folgende Fragen sollten erörtert und beantwortet werden:

  • Welche Kompetenzen brauche ich heute und in den nächsten fünf Jahren?
  • Wie arbeiten unsere Fachbereiche Hand in Hand?
  • Was bedeutet das in Bezug auf Kommunikations- und Kooperationsverhalten?
  • Für welche Werte stehen wir ein, wenn Statussymbole an Bedeutung verlieren und Verantwortungs- und Fehlerkultur an Bedeutung gewinnen?

Worauf Bewerber und Bewerberinnen neben einer klaren Vorstellung dessen, was fachlich von ihnen erwartet wird, Wert legen, ist ein authentisches Bild zur Unternehmens- und Teamkultur. Das wird neben Zahlen, Daten und Fakten oft vergessen. Was ist neben den Benefits, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt, zur Unternehmensethik zu sagen? Wie wird Teamkultur gepflegt, was sind Do’s und Don’ts, welche Werte werden gelebt.

Die Unternehmensstrategie im Blick behalten

Bei der Stellenausschreibung braucht es unbedingt auch die strategische Komponente. Hier sind Führungskräfte gefragt: „Welche Ressourcen und Kompetenzen habe ich aktuell im Team, welche brauche ich noch?“ und „Vor welchen Herausforderungen steht der Fachbereich, haben wir ausreichende Ressourcen, um innovative Lösungen zu finden?“.

Solche Fragen mit Blick auf die strategischen Unternehmensziele zu stellen, die sich ja auch im Zuge moderner Führungsinstrumente (OKR’s) widerspiegeln, ist ratsam. Innovationsfähigkeit wächst nicht auf Bäumen. Sie ist eher die Summe aus fachlicher Kompetenz, der Fähigkeit, „groß zu denken“ und Visionen zu entwickeln, sowie aus Erfahrung, Realismus und Arbeitsbedingungen, die Denkfreiräume ermöglichen. Seitens der Teamleitung braucht es eine Vorstellung davon, durch welche Persönlichkeiten mit welchen Kompetenzen das Team bestenfalls ergänzt werden soll.

Fehler im Recruitingprozess vermeiden und Candidate Experience stärken

Während Unternehmen sich um potenzielle Kunden vorbildlich bemühen, fehlt in der Interaktion mit Bewerbern oft der Feinschliff. Oder wie wir heute sagen: die positive Candidate Experience. Auswahlprozesse dauern mitunter zu lange oder sind unzureichend moderiert. So werden etwa Stellen vor der Urlaubszeit ausgeschrieben. Die am Auswahlprozess Beteiligten gehen versetzt in den Urlaub, der Prozess gerät ins Stocken und Bewerbende erhalten lange keine Rückmeldung.

Der Auswahlprozess sollte von der Ausschreibung bis zur Besetzung ein klares Zeitfenster haben und die am Auswahlprozess Beteiligten (Personal, Führungskraft, Fachteam, gegebenenfalls die Geschäftsführung) während dieses Zeitraums zur Verfügung stehen.

Wer übernimmt welche Rolle im Recruitingprozess?

Auch sollte die Rollenverteilung genau bestimmt sein: Wer erledigt im Prozess konkret welche Aufgaben und wer hat welche Kompetenzen? Wer kann inhaltlich Auskunft geben und wer entscheidet? Auch über Stellvertreterregelungen sollte man sich im Vorfeld klar werden. Außerdem sollten Unternehmen die Schwarm-Intelligenz nutzen. Es hat sich in vielen Unternehmen bewährt, Gespräche und Entscheidungen gemeinsam mit verschiedenen Personen zu führen und zu treffen.

Denn die unterschiedliche Wahrnehmung hilft dabei die beste Kandidatin oder den besten Kandidaten zu finden. Wie ein passender Recruitingprozess aussieht, ist natürlich auch abhängig von der Unternehmensgröße, Branche und Position und kann von Unternehmen zu Unternehmen variieren. Idealerweise sollten bei Auswahlentscheidungen immer mehrere Köpfe draufschauen, Wahrnehmungen besprochen und dann Entscheidungen getroffen werden.

Gute Führungskräfte holen sich starke Persönlichkeiten ins Team oder denken im „Morgen“, weniger im „Jetzt“. Es kann auch Sinn ergeben, in der finalen Auswahlentscheidung die Geschäftsleitung oder ein Steering Committee einzubinden. Das sind Personen, die neben der fachlichen Ebene auch die strategischen Unternehmensziele im Blick haben. Auch hier gibt es kein Patentrezept, vielleicht entscheidet hier eher der Reifegrad der Organisation.

Es braucht erfahrene Personalerinnen und Personaler

Das Auswahlpersonal sollte eine gute Portion Lebens- und Berufserfahrung haben, um Auswahlprozesse zu steuern, strategische Fragen zu überblicken und diese schon bei der Formulierung von Stellenausschreibungen intern auch kritisch zu beleuchten. 

Das erfordert HR-seitig ein gewisses „senioriges“ Standing, um mit berufserfahrenen Persönlichkeiten die Gespräche auf Augenhöhe zu moderieren –  zum Beispiel, um konkret nachfassen zu können, wenn die Kommunikation schwammig oder langatmig gerät.

Aufgabe einer HR-Managerin oder eines HR-Managers ist es nicht nur, den Prozess zu moderieren, sondern Einfluss auf alle Beteiligten zu nehmen, damit die Position bestmöglich besetzt wird. Das bedingt auch die Fähigkeit, sich in Gesprächen selbst zurücknehmen zu können und das Gespräch geschickt lenken zu können, um möglichst viel von den Bewerbenden zu erfahren. Liegt der Redeanteil eines HR-Managers bei 70 Prozent oder mehr, läuft etwas schief.

Autor