Anfang Juli herrscht auf dem Rhein-Mosel-Campus der Hochschule Koblenz noch reger Betrieb. Studierende mit Laptop und Kladde bereiten sich auf die bevorstehenden Klausuren vor. Ich treffe Christoph Beck in seinem Büro. Bevor wir starten, versorgen wir uns mit Wasser und Kaffee aus der Mensa.
Personalwirtschaft: Herr Professor Beck, welchen Berufswunsch hatten Sie als Jugendlicher? Dachten Sie damals schon an eine Professorenlaufbahn?
Christoph Beck: Ich hatte eine wunderschöne Kindheit und Jugend, aber damals noch keine konkreten Berufsvorstellungen. Ich wollte nach meinem Abitur studieren, das war klar. Da mir die Naturwissenschaften nicht so lagen und Jura zu trocken erschien, entschied ich mich für die Wirtschaftswissenschaften. Im Studium in Hamburg hatte ich dann bereits früh Berührungspunkte zur Personalwirtschaft. Der ehrenwerte und renommierte Professor Michael Domsch unterrichtete dort. Seine Themen und Vorlesungen haben mich interessiert und so wählte ich das Fach Personalwirtschaftslehre dann auch im Hauptstudium als Vertiefung. Die Personalwirtschaftslehre hat mich also gefunden, ohne dass ich danach gezielt gesucht hätte.
Wenn Sie die Personalwirtschaftslehre von früher mit der von heute vergleichen: Wo sehen Sie die Unterschiede? Könnten Sie mit einer Vorlesung aus den Achtzigerjahren heute noch begeistern?
Das Personalmanagement hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten enorm gewandelt. Es gibt kaum eine betriebswirtschaftliche Teildisziplin, die so viele neue Themen dazu bekommen hat wie die Personalwirtschaftslehre. E-Recruiting, Employer Branding, Diversity, Gesundheitsmanagement, Benefits – das sind nur einige Beispiele. Die Themenvielfalt und damit die Komplexität des HR-Bereichs sind also deutlich gestiegen. Natürlich haben sich auch die Vorlesungen gewandelt, vor allem im Medieneinsatz. In meiner Studienzeit hatten wir noch Overhead-Projektoren, die von Professoren beschrieben wurden. Heute präsentieren wir den Studenten die Inhalte multimedial. Bei der Vielfalt der Inhalte und Medien laufen wir im heutigen Studium allerdings Gefahr, die Themen nicht mehr ausreichend zu vertiefen.
Ihr Name wird in der HR-Szene sofort mit den Themenbereichen Personalmarketing und Recruiting in Verbindung gebracht. War es Zufall oder eine bewusste Themenwahl, weil Sie selbst einmal als Personalberater tätig waren?
Ich wollte immer am Puls der Zeit unterrichten und forschen. Als ich 2000 zum Professor berufen wurde, eroberte das Internet die Welt. Die ersten Online-Stellenbörsen waren bereits am Markt. Mir war klar, dass sich auch der Recruiting-Bereich enorm wandeln würde. Das Thema lag also auf der Straße. So kam es 2002 zu meiner ersten Buchpublikation mit dem Titel „Professionelles E-Recruitment“. Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Dann kamen Personalmarketing und Employer Branding als Forschungsthemen dazu. Der ganze Bereich ist durch die Digitalisierung einer enormen Dynamik unterworfen und immer noch sehr spannend für einen Hochschullehrer.
Wie würden Sie sich als Forscher einordnen?
Wir betreiben hier anwendungsorientierte Forschung. Mit dieser Ausrichtung fühle ich mich wohl und sie passt auch zur Herkunft unserer Hochschule, die seit der Gründung als Fachhochschule eine Anwendungsorientierung verfolgt. Aber natürlich setzen wir uns auch mit Theorien auseinander.
Was passiert mit den Ergebnissen?
Wir publizieren sie in unterschiedlicher Form und diskutieren sie auf Veranstaltungen mit Praktikern.
Eine Veranstaltung haben Sie selbst vor zehn Jahren ins Leben gerufen: den Recruiting Convent. Der letzte ist vor wenigen Wochen erfolgreich über die Bühne gegangen. Wie ist es zu dieser Veranstaltung gekommen?
Das hat mit meiner Leidenschaft für das Thema Recruiting zu tun. Damals hat es mich geärgert, wie stiefmütterlich das Thema auf Veranstaltungen behandelt wurde. Ich wollte dem Thema also mit einer hochwertigen Veranstaltung mehr Sichtbarkeit geben. Der Recruiting Convent ist der Raum, in dem sich Praktiker und Wissenschaftler gegenseitig Impulse geben. Als Wissenschaftler muss ich die Sorgen und Nöte der Praktiker verstehen, um dann über Forschungsarbeiten mögliche Antworten zu finden.
Was sind momentan die größten Nöte von Personalmanagern?
Es sind die klassischen Beschaffungs- und Besetzungsprobleme. Die Suche nach passenden Fach- und Führungskräften ist in vielen Unternehmen die größte Herausforderung für HR geworden. Der Bewerbermarkt wird immer enger. Umso wichtiger ist es, professionelles Personalmarketing und Recruiting zu betreiben.
Wie geht das?
Es gibt keine Patentrezepte. Wir müssen berücksichtigen, dass sich die Unternehmen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Wieso ist das Thema Online-Bewerbung bei vielen Unternehmen noch en vogue, obwohl es aus meiner Perspektive jeder beherrschen müsste? Hier gibt es also bei Brot-und-Butter-Themen Nachholbedarf, um professionell zu werden. Das zeigt sich vor allem in der öffentlichen Verwaltung: Sie hat 20 Jahre lang Personalabbau betrieben und wird jetzt in die Welt des heutigen Recruitings geworfen. Andere Unternehmen versuchen dagegen bereits, die neuesten Matching-Tools einzusetzen, um professioneller zu werden. Wir müssen also differenzieren. Ich warne bei Handlungsempfehlungen generell vor einfachen Wenn-dann-Beziehungen.
Gilt das auch bei Tipps bezüglich einzelner Zielgruppen?
Jede Branche ist gut beraten, sich ihre Zielgruppen im Bewerbermarkt genauer anzusehen und nicht pauschalen Generationen-Rezepten hinterherzulaufen. Wir kommen mit Stereotypen und One-fits-all-Lösungen im Personalmarketing nicht weiter.
Sie haben auf dem Recruiting Convent einen Vortrag zum Thema Data Science gehalten. Hilft die Technik bereits heute im Recruiting?
Wir haben im Bereich Data Science das Feuchtbiotop der Freaks und Bastler verlassen und sehen beachtliche Fortschritte in den unterschiedlichsten Robot-Recruiting- Anwendungen. Stand heute ist es technisch möglich, den gesamten Recruiting-Prozess zu digitalisieren, ohne dass ein Mensch noch Hand anlegt. Ich begleite beispielsweise ein Projekt zum Einsatz von Matching-Algorithmen. Die Software ist in der Lage, 500 000 Bewerbungsunterlagen innerhalb von drei Minuten anhand eines Soll-Profils zu matchen. Die First Mover unter den Unternehmen prüfen solche digitalen Tools, setzen sie in Teilbereichen auch schon ein. Aber für die breite Masse dauert es sicherlich noch fünf Jahre, bis der Einsatz eine kritische Masse erreicht hat und den Praxistest besteht. Die Frage ist allerdings, ob die Unternehmen die Geschwindigkeit der Veränderungen mitgehen können.
Müssen sie jede Entwicklung mitgehen?
Ich bleibe bei meiner Kernbotschaft. Verantwortliche Personaler müssen wissen, was möglich ist, aber sie müssen nicht alles einsetzen. Sie müssen für ihr Unternehmen bewerten, was Sinn macht.
Wie sollten Praktiker das Thema Employer Branding einordnen?
Für mich ist das Employer Branding der strategische Teil im Personalmarketing. Es hat der Diskussion um Employer Branding leider enorm geschadet, dass sie überwiegend nur aus der Kommunikationsperspektive betrachtet wurde. Personalmarketing fängt beim Produkt an. Wir merken das sehr deutlich beim Thema Ausbildungsmarketing. Da werden die modernsten Social-Media-Kanäle mit verlockenden Botschaften bedient, an der Qualität der Ausbildung wird aber leider nicht gearbeitet. Das rächt sich dann spätestens, wenn die jungen Menschen den Betrieb kennenlernen. Erfolgreiches Personalmarketing hat immer eine ganzheitliche Perspektive.
Sie haben sich intensiv mit dem Ausbildungsmarketing von Unternehmen auseinandergesetzt und jüngst dazu in Zusammenarbeit mit dem U-Form-Verlag eine Studie veröffentlicht. Wie sehen Sie dort die Entwicklungen?
Der Fachkräftemangel ist ein Sinnbild für die Krise der Berufsausbildung. Unternehmen tun sich zunehmend schwer, die passenden Auszubildenden zu finden. Das liegt nicht nur an der demografischen Entwicklung, sondern auch an dem Trend zur Akademisierung. Das heißt, die klassische Berufsausbildung hat für formal leistungsstarke Jugendliche an Attraktivität verloren. Mit der Hybridlösung des dualen Studiums, also der Verbindung von Ausbildung und Bachelorstudium, versuchen hier zwar einige Unternehmen gegenzusteuern, aber das betrifft nur einen kleinen Teil der Zielgruppe und der Angebote. Unternehmen sind daher gut beraten, ihre Anforderungen an die klassische Ausbildung zu überdenken. Schulische Leistungen, formale Qualifikationen, sind nicht immer Indikator für gute Performance im Job. Zudem sind die Unternehmen gut beraten, nicht akademischen Fachkräften bessere Karrierewege aufzuzeigen, inklusive den dazugehörigen Einkommensmöglichkeiten. Ansonsten wird die duale Ausbildung gegenüber der akademischen Ausbildung weiter an Attraktivität verlieren, mit drastischen Konsequenzen für den Fachkräftemangel.
Sehen Sie auch im klassischen Ausbildungsmarketing Lücken? Was empfehlen Sie den Unternehmen, um die junge Zielgruppe für eine Ausbildung zu begeistern?
Junge Menschen fangen wir online ein, überzeugen sie aber an den Offline- Touchpoints. Karriereportale, Facebook und andere Social-Media-Kanäle – all das sollte genutzt werden. Die überzeugende Wirkung erzielt man allerdings bei Veranstaltungen, Praktika, Vorstellungsgesprächen und Onboarding-Prozessen. Das muss ernst genommen werden. Hier zeigt sich aus Sicht der Jugendlichen recht früh die Qualität des Versprechens. Immer häufiger müssen übrigens auch die Eltern als Influencer von der richtigen Wahl des Ausbildungsberufs und des Betriebes überzeugt werden.
Sind die Berufsbilder noch passend?
Sie laufen den Entwicklungen in den Betrieben hinterher. Umso wichtiger ist es, dass die Unternehmen Zukunftsbilder ihrer Arbeit entwerfen und die notwendigen Kompetenzen ableiten. Damit sind wir dann wieder beim Produkt im Ausbildungsmarketing. Das muss attraktiv und zukunftsgewandt sein.
Haben Sie selbst eine klassische Berufsausbildung gemacht?
Ich habe nichts gelernt. (lacht)
Ein Manko?
Im Nachhinein hätte es mir geholfen, die theoretischen Inhalte meines Studiums besser einordnen zu können.
Schauen wir auf Ihre Studierenden. Sind sie für die Praxis gut vorbereitet?
Gemessen an der Zeit, die wir hier gemeinsam zur Verfügung haben, nehmen sie ein sehr gutes Rüstzeug mit, um im Personalmanagement eines Unternehmens einsteigen zu können.
In wenigen Tagen müssen Ihre Studierenden ins Kolloquium. Was erwartet sie da?
Da müssen unsere Master-Studenten ihre Masterarbeit verteidigen. Ich habe alle Masterarbeiten im Vorfeld bereits begutachtet. In einem wertschätzenden Gespräch diskutieren wir dann die Punkte und offenen Fragen, die mir beim Lesen der Arbeiten besonders aufgefallen sind. In der Summe bin ich mit den Arbeiten in diesem Jahr sehr zufrieden.
Mit welchen Themen haben sich Ihre Studierenden in den Masterarbeiten auseinandergesetzt?
Die Themen sind breit gefächert, kommen aber schwerpunktmäßig aus dem Bereich Personalmarketing und Recruiting. Bei den aktuellen Arbeiten geht es beispielsweise um Theorie und Praxis der Arbeitgeberwahl, Einflussfaktoren bei der Auswahl von Ausbildungsberufen, Employer Branding bei NGOs oder Content Marketing im Bereich Personalmarketing. Wir haben aber auch Arbeiten zur Personalentwicklung oder zum Thema Arbeiten 4.0. Eine Arbeit zum Thema Google for Jobs muss ich noch lesen.
Google for Jobs ist ja gerade sehr aktuell und beunruhigt so manche Jobbörse.
Noch wissen wir nicht viel darüber. Umso mehr bin ich gespannt, was die Studentin dazu erforscht hat.
Wie ist der Stand bei der Entwicklung Ihres weiterbildenden HR-Masters?
Wir haben soeben den Akkreditierungsprozess durchlaufen, so dass wir hoffentlich im Wintersemester starten können. Es ist ein fünfsemestriges Weiterbildungsstudium mit sechs Präsenztagen pro Semester, und es schließt mit dem Master of Arts in Human Resources Management ab.
Was passiert inhaltlich?
Wir decken die komplette Bandbreite personalwirtschaftlicher Themen ab, vom strategischen Personalmanagement über Personalmarketing bis hin zu Vergütungsfragen und Arbeitsrecht. Viele Personaler nehmen in den Unternehmen eine Spezialistenfunktion wahr. Ihnen fehlt für den weiteren Karriereschritt in Richtung Personalleitung oftmals das breite personalwirtschaftliche Know-how. Das bekommen sie bei uns.
Sie haben in der Vergangenheit mehrere Imagestudien begleitet und dabei eine gewisse Kluft zwischen Fremd und Selbstbild herausgestellt. Das Image von HR ist demnach nicht sonderlich hoch. Wie ist es heute um das Image der Personalarbeit bestellt?
An der erwähnten Kluft wird sich kurzfristig nichts ändern. Aber nicht nur die HR-Funktion wünscht sich mehr Aufmerksamkeit. Auch bei anderen internen Unternehmensfunktionen mussten wir feststellen, dass deren Image nicht größer ist. HR muss aber daran arbeiten, seinen Wertbeitrag im Unternehmen sichtbarer zu machen und dadurch mehr Impact zu entfalten.
Den Admin-Experten nimmt man HR ab.
Das hat die letzte Imagestudie nochmals bestätigt. Aber das reicht natürlich nicht. In den wichtigen Rollen, als Change-Experte und als strategischer Partner des Business, klaffen leider Anspruch und Wirklichkeit nach wie vor auseinander.
Blicken wir in die Zukunft. Sind Sie optimistisch gestimmt, dass die junge HR-Generation die digitale Transformation von HR voranbringen wird und damit die Rolle von HR im Unternehmen stärkt?
Absolut. Wir haben eine junge Generation von Personalern, die die rasanten Veränderungen der Lebenswelt als normal erlebt. Sie wird daher auch als Treiber von Veränderungen in den Unternehmen Akzente setzen.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft als Hochschullehrer? Sie haben hier in Koblenz eine exzellente Ausbildungsstätte für zukünftige Personalmanager aufgebaut. Reizt sie nicht ein Wechsel an eine andere, größere Hochschule?
Ich fühle mich hier wohl. Ich habe auch alles, um mich weiterentwickeln zu können, um neue Dinge aufzubauen. Also: klares Statement zur Hochschule Koblenz und zum Standort. Ich verstehe es auch als ein Stück Loyalität.
Werden Sie noch neue Themen für sich entdecken?
Im Themengebiet Personalmarketing und Recruiting gibt es sicherlich noch ausreichend Forschungsfragen mit hoher Praxisrelevanz. Mich interessiert aber zunehmend die Vernetzung mit anderen HR-Themen. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt in einem unglaublich hohen Tempo. Umso mehr müssen HR und die HR-Forschung diesen Wandel begleiten.
Weiterhin viel Erfolg dabei.
Zur Person: |
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Prof. Dr. Christoph Beck, Jahrgang 1962, ist seit 2000 Hochschullehrer für Human Resource Management an der Hochschule Koblenz. Er studierte an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Wirtschaftswissenschaften und promovierte dort 1994 am Lehrstuhl für betriebliche Logistik und Organisation. Praxiserfahrungen sammelte er als Personalberater und als Leiter Unternehmensentwicklung in einem IT-Unternehmen. Mit zahlreichen Studien und Publikationen zum Themengebiet Personalmarketing und Recruiting zählt Beck zu den bekanntesten HR-Professoren. So veröffentlichte er im Luchterhand Verlag die Bücher „Professionelles E-Recruitment“, „Personalmarketing 2.0“ und „Ausbildungsmarketing 2.0“. Über das von ihm gegründete Institut für Personalmanagement und Arbeitsrecht berät er zudem Unternehmen und veranstaltet jährlich den „Recruiting Convent“. |