Der Einsatz von Bots im Bewerbungsprozess ist ein reales Szenario
geworden. Die digitalen Helferlein automatisieren den Recruiting-Prozess
und werden immer weiter vermenschlicht. Beides ist problematisch,
findet unser Gastautor Stefan Scheller.
Sie begegnen uns derzeit in allen Medien: Recruiting-Bots. Humanoide digitale Schöpfungen, die den HR-Markt erobern sollen. Sie hören auf typisch menschliche Namen wie Sophia oder Matilda oder strahlen uns aus leuchtend blauen Kulleraugen an wie der Roboter Pepper. Sie wollen gefallen, in jeder Hinsicht. So klingt auch das in ihre Software eingebaute Versprechen verlockend: Entlastung für menschliche Recruiter und bessere Entscheidungen im Personalauswahlprozess.
Und Unterstützung können Personaler im Recruiting-Prozess allemal gebrauchen. Neben der allgemein hohen Arbeitslast einerseits ist das stupide Lesen von Bewerbungsunterlagen andererseits kaum ein Quell wahrer Begeisterung. Immer häufiger berichten Recruiter gar, dass ihnen die Zeit für Telefoninterviews oder die Teilnahme an Vorstellungsgesprächen fehlt. Der so wichtige menschliche Kontakt zu den Bewerbern leidet ob der Flut an zu verarbeitenden Informationen.
Digitale Eignungsprüfer
Die Mehrzahl aktueller Bot-Systeme widmet sich dem Prozessschritt der Qualifikationsanalyse. Ziel ist es, die passendsten Bewerber möglichst effizient ausfindig zu machen. Höchst fraglich ist allerdings, woran der digitale Helfer diese Passung festmachen will. Stellenanzeigen – eine Form der massiven Verdichtung und suchmaschinenbedingten Pauschalisierung von Aussagen – erfüllen die Rolle als Blaupause für die Passung eher ungenügend. Auch würde die immer wichtiger werdende Feststellung des Cultural Fit unter dieser eingeschränkten Prüfung leiden. Denn entweder ist die Kultur im Unternehmen noch gar nicht erhoben worden. Oder die Prüfung des Cultural Fit ist nicht ohne Weiteres auf einen Bot übertragbar.
Fragwürdige Prognosen
Wann ist eine durch einen Recruiting- Bot getroffene Auswahlentscheidung überhaupt besser als die eines Personalers aus Fleisch und Blut? Es geht dabei um eine Prognose, wie erfolgreich die eingestellte Person während ihrer Zeit als Mitarbeiter des Unternehmens sein wird. Doch was bedeutet Erfolg? Ist eine schnelle Karriere auf dem Rücken von Mitarbeitern und Kollegen gut oder schlecht für die Erfolgsmessung? Stehen weit übererfüllte Umsatzziele bei schlechten Kundenbeziehungen für Erfolg? Oder geht es am Ende um die klassische eierlegende Wollmilchsau, die alles kann?
Die Beantwortung dieser Fragen beruht zuerst einmal auf einer von Menschen erdachten Bewertungsskala von gewünschtem Verhalten. Sie ist daher mehr willkürlich als objektiv. Gleiches gilt für vermeintlich objektiv erkennbare Muster für Erfolg. Ein Algorithmus, der mit Blick auf Führungskräfte etwa Eigenschaften wie „männlich“ und „weiße Hautfarbe“ als Erfolgsmuster ausmacht, mag statistisch recht haben. Ob dieses Ergebnis allerdings gewollt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aussagen zu Erfolgsmustern müssen im genannten Beispiel durch Algorithmen-Trainings erst mit der Diversity-Strategie des Unternehmens zusammengebracht und in deren Sinn beleuchtet werden.
Datenbremsen
Sind aber all diese notwendigen Informationen im Unternehmen bereits vorhanden? In der Mehrzahl deutscher Betriebe lautet die Antwort sicher nein. Neben tendenziell bremsenden Datenschutz- oder Arbeitnehmerschutzgesetzen und abwehrenden Betriebsräten dürften Personalverantwortliche bisher nur wenig Bedarf zur Erhebung dieser Daten gesehen haben. Ob sich das im Zuge des Hypes um die Automatisierung im Recruiting ändern wird, wage ich zu bezweifeln.
Auch die Bewerber nehmen nicht unerheblich Einfluss auf die weitere Entwicklung. Welche Erwartungen haben sie beispielsweise an den Recruiting-Prozess? Wie viel Datenerhebung lassen sie zu? Insbesondere sehr begehrte Zielgruppen wie IT-Experten sind schon heute sehr restriktiv. Als positiv aufgenommen wird der Einsatz von Robots dann, wenn zum Beispiel Status-E-Mails zur Bewerbung automatisiert versandt werden anstatt aufgrund von Arbeitsüberlastung zu entfallen.
Quasimenschen
Die eingangs beschriebenen Entwicklungen laufen ganz in diese Richtung: Ein möglichst humanoider und sympathischer Bewerbungsroboter soll den Recruiter ersetzen. Das digitale System feuert dabei eine standardisierte Litanei an Fragen auf den Kandidaten ab und beobachtet dessen Antworten und Verhalten. Die Ergebnisse werden in kürzester Zeit analysiert, mit Daten von Mimik und Gestik angereichert und bewertet. Über die Wissenschaftlichkeit der einzelnen Analysebausteine lässt sich trefflich streiten. Fest steht: Es kommt hier in erster Linie auf die zugrunde liegende Software und die eingebauten Algorithmen an, nicht auf die Erscheinungsweise des Bots.
Doch Menschen kommunizieren gerne mit Menschen, das liegt in unserer Natur. Aktuell sollen wir uns an vermenschlichte Roboter gewöhnen. Als Spektakel auf Messen und Veranstaltungen gelingt das sehr gut und macht richtig Spaß. Der Bewerbungsalltag ist jedoch etwas ganz anderes. Wenn dem Bewerber ein digitaler Quasimensch mit künstlicher Intelligenz gegenübersitzt, muss dieser Bot letztlich die gleichen Erwartungen erfüllen wie Recruiter. Doch wie authentisch kann ein Roboter eine menschliche Unternehmenskultur verkörpern? Bewerber wollen im Gespräch auf Augenhöhe wahrgenommen werden, den Spirit im Unternehmen spüren. Einseitige Testsituationen sind eher kontraproduktiv.
Digitalisierte Unzulänglichkeiten
Ich behaupte sogar, dass sich die Humanisierung der Bot-Technologien kontraproduktiv auswirkt: Je mehr wir die Recruiting-Bots nach unserem Vorbild bauen und in bekannten Prozessen als reines Substitut zu Recruitern einsetzen, umso stärker verankern wir die menschlichen Unzulänglichkeiten in der Personalauswahl. Das typisch althergebrachte Gesprächsritual wird lediglich teildigitalisiert. Von wahrer Erneuerung keine Spur.
Robot Recruiting ist ein reales Szenario geworden. Für die medialen Debatten würde ich mir wünschen, dass sich der Tenor von „Mensch gegen Maschine“ hin zu einem „Mensch mit Maschine“ entwickelt. Und dass die Chance ergriffen wird, über die neuen Technologien alte Zöpfe abzuschneiden und nicht nur einfach den bisherigen Prozess auf vermenschlichte Maschinen zu übertragen.
Autor:
Stefan Scheller, Personalmarketingverantwortlicher im IT-Bereich und Autor von Persoblogger.de, Nürnberg