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E-Recruiting: Zeit, dass sich was dreht

Foto: © Worawut / stock.adobe.com
Foto: © Worawut / stock.adobe.com

Große Dinge werfen ihre Schatten voraus. Bereits 2018 wurde vielfach diskutiert, welche Auswirkungen ein möglicher Deutschland-Start der Google-Jobsuche haben würde. Im Mai 2019 war es dann soweit, und es stellte sich heraus: Große Verwerfungen gab es nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick: Bis zu 70 Prozent des Traffics der Jobbörsen kam ohnehin schon von Google. Hinzu kommt, dass kaum ein Arbeitgeber Gefahr läuft, nicht gelistet zu werden, sofern die Stellenanzeigen den technischen Vorgaben von Google entsprechen.

Trotzdem beobachten einige Branchenkenner die Entwicklung mit Sorge: Das Unternehmen mit Sitz in den USA aggregiert Daten in großem Stil und könnte so seine Marktmacht noch stärker untermauern. Auch die Frage, ob Google for Jobs einen Mehrwert für Bewerber liefert, ist umstritten. Ignorieren ist aber für kaum jemanden am Tisch eine Option: Schließlich ist es Auftrag von Jobbörsen und Personalmarketing-Agenturen, ihren Kunden zu möglichst großer Sichtbarkeit und Reichweite zu verhelfen.

Kennzahlen setzen sich nur langsam durch

Dabei ließen sich auch intern in vielen Unternehmen noch Potenziale heben. Dass viele Personaler immer noch nicht mit Key Performance Indicators (KPIs, Leistungskennzahlen) arbeiten, wird seit einigen Jahren kritisiert. Immerhin setze hier langsam ein Umdenken ein, konstatierten die Experten. Es genügten schon wenige Kennzahlen, um das eigene Geschäft auf belastbarere Füße zu stellen, betonen sie.

Dazu zählen beispielsweise die Time-to-Hire, also die Zeit, die für eine Besetzung benötigt wird, oder die Zahl der Bewerber, die am Ende eines Recruiting-Prozesses doch noch absagen. Sie bieten viele Ansätze, um Abläufe zu hinterfragen und zu optimieren. Gut, wenn Personaler dazu ein leistungsfähiges Bewerbermanagementsystem zur Verfügung stehen haben. Auch hier gibt es aber Licht und Schatten. Bei manchen fehlt es an wichtigen Schnittstellen, bei anderen stehen zwar viele Funktionen zur Verfügung, doch werden sie oftmals nicht oder nur unzureichend genutzt.

Vielleicht lohnt ein Gang zu den Kollegen in der Marketingabteilung. Dort werden KPIs schon lange und selbstverständlich eingesetzt. Der fruchtbare Austausch ist eine Möglichkeit des Wissenstransfers. Eine andere ist, bei Nachbesetzungen im Personalbereich darauf zu achten, dass Kandidaten entsprechende Onlinemarketing-Erfahrung mitbringen. Es gibt jedenfalls mehr Parallelen zwischen beiden Bereichen, als man denken würde: Geworben wird immer – in einem Fall für ein Produkt oder eine Dienstleistung, im anderen um einen potenziellen Mitarbeiter. Wer nicht über das nötige interne Know-how verfügt, für den können Partnerschaften mit externen Dienstleistern interessant sein.

KI ist Zukunftsmusik

Apropos interessant: Künstliche Intelligenz ist ein Thema, das viele fasziniert. Ihm haftet aber gleichzeitig noch ein wenig die Aura von Science-Fiction an, und zumindest im HR-Bereich ist das auch gar nicht so falsch. Zwar wird vielerorts mit der Technologie experimentiert. Es gibt aber weder eine grundsätzliche Verständigung darüber, was KI eigentlich genau bedeutet, noch gibt es marktfähige Lösungen, die bereits flächendeckend eingesetzt werden könnten. Punktuell zumindest ist es aber möglich, dass Algorithmen und maschinelles Lernen zu einer Verbesserung des Recruitingprozesses führen – beispielsweise mithilfe von Chatbots, die Standard-Fragen beantworten. Grundsätzlich plädieren die Teilnehmer am Round Table dafür, erst einmal den Blick auf die Basisprozesse zu lenken und diese zu optimieren. Hier sei mit weniger Aufwand immer noch mehr zu erreichen als derzeit mit KI. Auch, weil dafür große Datenmengen nötig sind, über die kaum ein Unternehmen in Deutschland verfügt.

Das bedeutet allerdings ganz und gar nicht, dass Innovationen im HR-Bereich nicht gerne gesehen sind. Bis zu 300 Start-ups tummeln sich mittlerweile in der Szene – da ist es schwer, den Überblick zu behalten. Nicht jedes gut gestartete Jungunternehmen schafft es allerdings, seine Lösung zu skalieren. Hinzu kommt, dass sie sich oftmals nur auf einen bestimmten Aspekt des Recruiting-Prozesses konzentrieren – für diesen aber eine möglichst ausgeklügelte Lösung entwickeln wollen. Personaler sind gut beraten, sich über den Markt zu informieren und interessante Start-ups zu beobachten, ohne überstürzte Entscheidungen zu treffen.


Dieser Round Table ist im
Sonderheft „E-Recruiting“ in der Personalwirtschaft 11/2019 erschienen.
Sie können das gesamte Heft auf  › dieser Seite kostenfrei
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David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.