Kürzlich machte die amerikanische Großkanzlei Milbank, die in
Frankfurt und München mit insgesamt
rund 50 Anwältinnen
und Anwälten vertreten ist,
Schlagzeilen in eigener Sache: Weltweit
erhöht die Kanzlei ab Juli die Gehälter für
Berufseinsteiger. Für deutsche Associates,
die neu in die Wirtschaftskanzlei eintreten,
bedeutet das eine Rekordsumme von
160.000 Euro im ersten Jahr, ab dem zweiten
Berufsjahr kommen zusätzlich zur Steigerung
des Festgehaltes auch noch Boni dazu.
Mit Einstiegsgehältern in ähnlichen Dimensionen
konkurrieren in Deutschland nur
sehr wenige internationale Großkanzleien,
sechsstellige Startpakete sind aber durchaus
keine Seltenheit. Doch können die Großkanzleien
damit wirklich bei dem juristischen
Nachwuchs punkten? Die Antwort
ist – passend zur Profession – spitzfindig:
Es kommt darauf an.
Zunächst einmal sind diejenigen, die mit
derart abenteuerlichen Summen geködert
werden sollen, eine kleine und heiß umworbene
Gruppe: Absolventen mit einem sogenannten
Doppelprädikat – also einem sehr
guten, guten oder vollbefriedigenden Ergebnis
im Ersten und Zweiten Juristischen
Staatsexamen.
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Diesen Überfliegern stehen alle juristischen
Karrieretüren weit offen, ob im Staatsdienst
als Richter oder Staatsanwälte, in der öffentlichen
Verwaltung, in den Rechtsabteilungen
von Unternehmen oder eben in Kanzleien
aller Größenordnungen. Der Anteil
von Prädikatsjuristen unter den Absolventen
ist seit Langem weitgehend stabil – es sinkt
allerdings, demografisch bedingt, die
Gesamtzahl der Studierenden und damit
der Absolventen. „Wir merken, dass der
Kandidatenpool kleiner wird. Trotzdem
lehnen wir es ab, mit solchen Summen
nach Absolventen zu werfen“, sagt Thomas
Salomon, Partner der Großkanzlei Hogan
Lovells in Hamburg. Sehr anständig bezahlt
werden die Einsteiger aber auch bei der
Kanzlei, die zu den zehn größten in Deutschland
zählt. Hogan Lovells wirbt insbesondere
mit einem ausgefeilten Ausbildungs- und strukturierten Aufstiegsprogramm um
den Nachwuchs, mit den Chancen und
Möglichkeiten, die das internationale Netzwerk
der Kanzlei bietet.
Neben den Wettbewerbern haben Thomas
Salomon und Christine Kudla, HR-Chefin
bei Hogan Lovells, zwei weitere Herausforderungen
im Rennen um den Top-Nachwuchs
ausgemacht. Eine Herausforderung
sind die Stereotype, die Urteile und Vorurteile,
die sich um den Mythos Großkanzlei
ranken. Die andere liegt in den neuen
Lebensmodellen der jüngeren Juristengeneration,
wie Christine Kudla sagt.
„Schwieriges“ Image der Großkanzleien
Doch zunächst zum ersten Opponenten:
dem Image der Großkanzleien. „Junge
Juristinnen und Juristen assoziieren mit
Großkanzleien Stress, unflexible und sehr
lange Arbeitszeiten, dazu ein wenig kollegiales
Umfeld“, sagt Emma Ziercke. Die
Juristin forscht am Bucerius Center on the Legal Profession, einem Thinktank rund
um Fragestellungen zum Rechtsmarkt. Für
die „Next Generation Study“ befragte sie
während der Herbsttagung 2019 gemeinsam
mit den auf Juristen spezialisierten
Jobplattformen Talent Rocket und Legalhead
rund 200 Nachwuchsjuristinnen und
-juristen über ihre Karriereerwartungen
und Ziele.
Das Image von Großkanzleien, so wie es
die Studienteilnehmer wahrnehmen, verdient
bestenfalls das Prädikat „Schwierig“.
In fast jeder Hinsicht: Nur sieben Prozent
assoziierten mit Big Law ein kollegiales
Umfeld, 17 Prozent gute Zusammenarbeit.
Noch schlimmer sind die Erwartungen an
flexible Arbeitsmöglichkeiten, die gerade
einmal ein Prozent dort vermuten, und
Familienfreundlichkeit, die von zwei Prozent
bei den Law Firms gesehen werden. „Trotzdem
wollen viele zumindest aus Karrieregründen
eine begrenzte Zeit in einer Großkanzlei
arbeiten“, sagt Emma Ziercke.
„Wenigstens am Anfang ihrer Karriere streben
sie in diese Kanzleien. Es ist ein bisschen paradox.“ Dabei spielen dann auch die
immensen Einstiegsgehälter eine Rolle –
der Sirenengesang vom großem Geld, Internationalität
und dem gewissen Etwas für
den Lebenslauf klingt offenbar auch in den
Ohren des juristischen Nachwuchses betörend.
Gravierende Vorurteile
Bei Hogan Lovells wird die Umfrage der
Bucerius Law School sehr aufmerksam beobachtet.
Zum einen sind die handverlesenen
Studierenden der Law School typische Kandidaten
für eine Top-Wirtschaftskanzlei,
zum anderen werden vergleichbare Umfragen
an staatlichen Hochschulen kaum erhoben.
„Wir sehen, dass lediglich etwa ein
Drittel der für uns infrage kommenden
Gruppe der Prädikatsjuristen sich überhaupt
für eine Karriere in einer Großkanzlei interessiert
– das wird an anderen Hochschulen
nicht besser sein“, analysiert Thomas Salomon.
„Viele möchten lieber in den öffentlichen
Dienst, in Unternehmen oder in
Boutique-Kanzleien arbeiten oder kehren
klassischen juristischen Berufen ganz den
Rücken.“
Die Vorurteile gegenüber Großkanzleien
sind gravierend. Man „gebe seine Seele ab“,
wenn man dort arbeite, laute ein Stereotyp,
dem man bei Studierenden und Referendaren
immer wieder begegne, berichtet
Christine Kudla. Solche Vorurteile räumt
man bei Hogan Lovells am liebsten vor Ort
aus: „Wir stellen uns schon an den Universitäten
vor und bieten Studierenden Praktika
oder Jobs als wissenschaftliche Hilfskräfte
an. Bei denen können sie die Arbeit in der
Kanzlei unmittelbar kennenlernen. Stationen
während des Referendariats sind ebenfalls
Gelegenheiten zum Kennenlernen.“
Frühe Kontakte und langfristige Beziehungspflege
sind wesentliche Elemente des
Employer Branding für Thomas Salomon
und Christine Kudla.
Auf die gleiche Strategie setzt die Großkanzlei
Gleiss Lutz, wie die beiden Co-Directors
Human Resources Legal, Natascha Frankl
und Sofia Jung, berichten. Mehr als zwei
Drittel derjenigen, die nach dem Zweiten
Staatsexamen bei der ebenfalls unter den
Top Ten rangierenden Kanzlei starten, seien
solche Eigengewächse. Kontakte zu Studierenden
würden beispielsweise über Organisationen
wie das europäische Netzwerk
angehender Rechtswissenschaftler Elsa oder
Uni-Lehrstühle geknüpft, vor Corona seien
sie auch auf Hochschulmessen präsent gewesen.
Inzwischen betreibt Gleiss Lutz passend
zur Zielgruppe einen eigenen Instagram-
Account. „Bei ihren Praktika oder während
der Referendarstation sehen sie die Arbeitswirklichkeit
– unsere Teams sind recht klein
und die Hierarchien dadurch flacher. Die
Associates sind näher an den Partnern und
übernehmen auch früh mehr Verantwortung“,
sagt Sofia Jung.
Veränderte Lebensmodelle
Mag das Imageproblem – die laut Hogan-Lovells-Partner Thomas Salomon erste
Herausforderung bei der Gewinnung hochklassiger
Nachwuchskräfte – durch Vor-Ort-
Erfahrungen zu bezwingen sein, ist die
Sache mit der zweiten Herausforderung
womöglich noch komplizierter: der Wandel
von Lebensmodellen und das Verlangen
nach einer ausgewogenen Bilanz zwischen
Leben und Arbeiten seitens der jungen Juristinnen
und Juristen. „Die ideale Kanzlei ist
innovativ und familienfreundlich. Die Generation
Z legt Wert auf flache Hierarchien,
Work-Life-Balance, wünscht sich persönliche
Entwicklungsmöglichkeiten, ein diverses
Umfeld und gleichberechtigte Karrierechancen“,
erklärt Bucerius-Expertin Emma Ziercke.
„Selbst Berufseinsteiger fragen immer
häufiger nach einer Teilzeittätigkeit“, bestätigt
Thomas Salomon. Elternzeiten würden
von Frauen und Männern gleichermaßen
eingefordert – was noch vor wenigen Jahren
quasi undenkbar gewesen sei. Auch über
die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeiten
und -orte müsse spätestens seit Corona
(eigentlich) nicht mehr diskutiert werden.
Den Kanzleien bleibt kaum etwas anderes
übrig, als auf diese veränderten Ansprüche
zu reagieren – und dabei weit mehr Phantasie
aufzubringen, als nur die Geldbörsen immer
weiter zu öffnen. „In der Vergangenheit
wurden die Leute in kapitalistischer Einfallslosigkeit
nur mit immer mehr Geld
zugeworfen, das reicht heute nicht mehr,
um den Nachwuchs anzuziehen und dauerhaft
zu binden“, sagt Hogan-Lovells-Partner
Salomon. „Die junge Generation hat
keine Angst, Forderungen zu stellen“, unterstreicht
auch Gleiss-Lutz-Personalerin Natascha
Frankl. „Sie wissen genau, dass erstklassige
Absolventen ein knappes Gut sind.“
Selbst wenn beim Karrierestart die enormen
Einstiegsgehälter noch ein Argument für
Großkanzleien sein mögen, springen doch
spätestens in der Phase der Familiengründung
besonders viele Frauen ab.
Abschied vom Doppelprädikat
Der Druck durch fehlenden Top-Nachwuchs
beflügelt bei manchen Kanzleien die Kreativität
rund um Einstellungsmodalitäten.
Das Doppelprädikats-Dogma etwa spielt
für die Wirtschaftskanzlei Fieldfisher keine
Rolle. „Wir sehen uns das Gesamtpaket an,
das ein Bewerber mitbringt. Nicht nur die
Noten, sondern auch beispielsweise Auslandsaufenthalte,
Zusatzqualifikationen,
besondere Erfahrungen, gesellschaftliches
Engagement und vor allem die Persönlichkeit
des Bewerbers“, sagt Maria Ahler, die
Recruiting-Expertin der Kanzlei. „Wir versuchen
explizit, den Spagat zwischen der
anspruchsvollen Arbeit und einer Work-
Life-Balance unserer Beschäftigten zu schaffen.“
Die Möglichkeit für eine Teilzeittätigkeit
etwa gebe es nicht nur für angestellte Anwältinnen
und Anwälte, sondern ebenso für
Partnerinnen und Partner.
Dass auch Juristen Menschen mit einem
Privatleben sein können, hat sich in Teilen
der Szene inzwischen herumgesprochen.
Trotzdem bleibt eine Konstante bestehen:
„Großkanzleien sind Hochleistungsunternehmen„,
weiß Pia Lorenz. Die Rechtsanwältin
und Gründerin der auf den Rechtsmarkt
spezialisierten Agentur „Die
Lawgentur“ und ehemalige Chefredakteurin
der Legal Tribune Online kennt die Entwicklungen
in der Branche – und deren
Grenzen: „Am Ende ist in so einer Kanzlei
immer wahnsinnig viel zu tun. Hinzu
kommt je nach Rechtsgebiet unaufschiebbare
Projektarbeit sowie die oft internationale
Tätigkeit einschließlich der damit einhergehenden
Zeitverschiebungen. So sind
Überschreitungen der zulässigen Arbeitszeiten
in vielen großen Wirtschaftskanzleien
weiterhin eher der Regel- als der Ausnahmefall.“
Obwohl sich etliche Wünsche der Generation
Z durch Technik, veränderte Organisationsstrukturen
und mehr Kommunikation
möglicherweise einigermaßen zeitnah verwirklichen
lassen, haben insbesondere Großkanzleien
in den Augen der jungen Juristinnen
und Juristen ein Defizit, für dessen Lösung ein sehr langer Atem erforderlich
ist: die fehlende Diversität bei den Partnern.
Kanzleikultur ist traditionell maskulin
Am augenfälligsten ist das Ungleichgewicht
zwischen den Geschlechtern. Je höher die
Ebene, desto ausgeprägter ist das Missverhältnis:
Während etliche Kanzleien gezielt
annähernd gleich viele weibliche wie
männliche Nachwuchsjuristen als Associates
einstellen, sind am Ende des Karrieretrichters
fast nur noch Männer übrig.
„Es herrscht traditionell eine sehr männlich
und hierarchisch geprägte Kultur in den
Kanzleien“, erläutert Pia Lorenz. Das spiegele
sich wider in den Regeln, die dort
herrschten und den Prioritäten, die gesetzt
würden. Es gebe einige Großkanzleien, die
das inzwischen als Problem erkannt hätten
und gegensteuerten – „aber vielen großen
und mehr noch mittelständischen Kanzleien
ist das Problem noch immer gar nicht
hinreichend bewusst.“
Während die schwindsüchtige Frauenquote
in der Karrierepyramide wenigstens erkennbar
ist, sieht es mit anderen Diversity-Merkmalen
noch schwieriger aus. „In Deutschland
werden nur wenige Daten erhoben,
anhand derer man Faktoren wie die soziale
Herkunft, Zugehörigkeit zur LGBTQ-Community
oder die besuchte Universität ablesen
kann“, erklärt Emma Ziercke. Das sei beispielsweise
in Großbritannien oder in den
USA anders. Dort sei etwa der Frauenanteil
auf den obersten hierarchischen Ebenen
auch erheblich höher. Für junge Leute seien
Unterschiedlichkeiten kein Negativkriterium,
sondern ausdrücklich erwünscht, sagt
Emma Ziercke. Mit der LGBTQ-Thematik
tun sich die Kanzleien längst nicht so schwer
wie mit der Mischung sozialer Herkünfte.
„Wir haben eine aktive LGBTQ-Community,
sind seit Jahren beim Christopher Street
Day sichtbar und unterstützen beispielsweise
die Teilnahme an Outing-Seminaren“, sagt
Thomas Salomon. Wenn es aber darum
gehe, soziale Unterschiede im Team abzubilden,
seien sie als Arbeitgeber überfordert.
Das Problem habe bereits in den Schulen
seinen Ursprung, sodass der Kandidatenpool
schon sehr wenig durchmischt sei – „wir
können die Ungerechtigkeiten des Bildungssystems
nicht ausgleichen.“
„Die Themen Frauen und Diversität sind
Dauerbrenner“, bestätigen Natascha Frankl und Sofia Jung. Junge Juristinnen gezielt
zu fördern, sie bei regelmäßigen „Ladies
Lunches“ mit erfolgreichen Rollenvorbildern
in Kontakt zu bringen oder im hauseigenen
Magazin Anwältinnen vorzustellen,
die Familienleben und Kanzleikarriere
unter einen Hut bringen, seien Schritte
in diese Richtung. „Immerhin haben wir
den Karrieretrack jetzt an neue Anforderungen
von Teilzeitmitarbeitenden ein
Stück weit angepasst. Wer beispielsweise
im Schnitt 80 Prozent gearbeitet hat,
braucht deswegen mit keiner Verlängerung
des Karrieretracks mehr zu rechnen. Bei
geringeren Teilzeiten verlängert er sich
pauschal und nicht mehr rein proportio-
Lösung ein sehr langer Atem erforderlich
ist: die fehlende Diversität bei den Partnern.
Änderungen brauchen viel Zeit
Bis über solche Maßnahmen signifikante
Änderungen in der Partnerstruktur erkennbar
werden, ist jedoch ein langer Weg. Schon
der Prozess vom Einstieg als Associate über
mehrere Karrierestufen bis zur Partnerernennung
dauert in einer Großkanzlei typischerweise
mindestens sechs Jahre, oft auch
länger. Wer einmal Partner ist, bleibt dies
dann meist für Jahrzehnte. Und längst nicht
jeder Partner steht Veränderungen offen
und positiv gegenüber.
Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Themen Recruiting und Employer Branding. Zudem schreibt und recherchiert Sie zum Thema Transformation, Change Management und Leadership und ist verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.