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„Es geht nur über die Individuen“

Bernhard Peters, Direktor Profisport, Hamburger SV; Bild: Tay Duc Lam/Witters
Bernhard Peters, Direktor Profisport, Hamburger SV; Bild: Tay Duc Lam/Witters

Wenn es eine Parallele zwischen Sport und Wirtschaft gibt, dann diese: Das kurzfristige Ergebnis zählt. Bernhard Peters hat es in über 30 Jahren als Trainer und Manager im Leistungssport geschafft, den Aufbau langfristiger Strukturen über kurzfristige Ziele zu stellen – und trotzdem erfolgreich zu sein. Ein entscheidender Faktor dabei: die Passung zwischen Individuum und Organisation.  

Personalwirtschaft: Herr Peters, wie eng ist für Sie die Zusammenstellung eines einzelnen Teams mit der Vision, dem Leitbild verknüpft, das für die Gesamtheit des Vereins steht?
Bernhard Peters: Sehr eng, um nicht zu sagen: Es muss eine unmittelbare Übereinstimmung geben. Die Identität, die Vision, die inhaltliche Ausprägung, die ich für eine Marke – einen Verein, eine Organisation – entwickelt habe, kann ich nur über Spieler, Trainer oder das Personal umsetzen. Das ist eine große Herausforderung, keine Frage. Aber wenn man erfolgreich sein will, gibt es keinen anderen Weg, als über die Individuen zu gehen.

Damit formulieren Sie nicht nur hohe Ansprüche an die Personalpolitik, sondern auch an die Spieler. Können die Spieler mit solchen Vereinsvisionen etwas anfangen?
Das können sie, aber eigentlich muss man das umgekehrt betrachten: Wir verlangen zwar mehr, aber wir geben den Spielern auch mehr Möglichkeiten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, etwa durch Werte wie Leistungsbereitschaft, Kritikfähigkeit und Siegeswillen, die wir vermitteln, oder dadurch, dass wir unsere Vorstellungen viel stärker visualisieren und besser erklären als in der Vergangenheit – etwa mit Metaphern aus ihrer Erlebniswelt. Trainer und andere Mitarbeiter sollen diese Vereinswerte vorleben, so sind die Spieler sofort mit dieser Atmosphäre konfrontiert.

Worauf achten Sie bei Bewerbern besonders?

Jemand, der festgefahren ist in seiner Welt, für den es nur eine – nämlich seine – Perspektive gibt und der nicht offen ist für unsere Ideen, unsere Leitplanken, der hat keine Chance bei uns.

Das gilt für Mitarbeiter und Spieler gleichermaßen. Auch wenn jemand total konträre Ansichten hat, ist das ein Ausschlusskriterium.

Das klingt radikal und dogmatisch. Spielen gute Argumente keine Rolle?
Wir bewegen uns in einem extrem leistungsorientierten Teamsport, das ist eine total dynamische, ergebnisorientierte Herausforderung, der man nur gewachsen ist, wenn man an einem Strang zieht und täglich dazulernt. Das sollte dem Bewerber bewusst sein, denn er muss überzeugend darlegen können, dass er diese Flexibilität besitzt.

Martin Schmidt, der Trainer des Fußballbundesligisten Mainz 05, sagt: „Der Hauptteil einer Verpflichtung ist das Kennenlerngespräch, wo ich ein, zwei Stunden mit dem Spieler allein bin. Da reden wir selten über Fußball, sondern über ganz andere Themen. Ich höre rein, klopfe wichtige Aspekte der Persönlichkeit ab.“ Machen Sie das genauso, um die kulturelle Orientierung eines Bewerbers zu testen?
Ich sehe das anders als Martin Schmidt. Ich glaube, dass ein Kennenlerngespräch nur bedingt Arbeit und Einstellung eines Mitarbeiters, Trainers oder Spielers abbildet. Man muss den Menschen da abholen, wo er sich authentisch bewegen kann – nicht im Bewerbungsgespräch, sondern in seinem sozialen beziehungsweise sportlichen Arbeitsumfeld.

Wie setzen Sie diese Vorstellung konkret um?
Ich habe meine Mannschaften vor der Nominierungsphase immer in fremde Länder geführt und unter extremen Bedingungen spielen lassen. So konnte ich genau erkennen, wer die Teamwerte lebt und wer für die Mannschaft da ist, wenn es sportlich auf der Kante steht.

Bei radikalem Klima, ungewohntem Essen, extremer Hitze und höchster Belastung: Sechs Spiele in acht Tagen, da kann man seine Kandidaten sehr intensiv kennenlernen.

Diese Beispiele sind aber nicht immer eins zu eins auf die Wirtschaft übertragbar.

Sie sitzen an einem Fünfjahresplan, an dessen Ende eine klare Vision und Identität für den HSV stehen soll. Man nähme an, dass es bei einem Traditionsverein wie dem Hamburger Sportverein schon vorher eine Identität gab?
Zumindest war sie nicht mehr sichtbar im Sport, zerstört durch die vielen Diskontinuitäten im Personalbereich. Da ist die Identität der Marke HSV im Kerngebiet Fußballspielen total verloren gegangen.

Und wie würden Sie die Unternehmenskultur beim HSV beschreiben?
Aus unserem Leitbildprozess, an dem alle Mitarbeiter des HSV mitgewirkt haben, ist eine Kulturskizze entstanden. Sie soll Tradition und Zukunft – mit allen ihren notwendigen Veränderungen – zusammenführen. Die Leitsätze lauten unter anderem: „Wir verfolgen höchstmögliche Ziele“, „Die Mannschaft ist der Schlüssel zu unserem Erfolg“ oder „Wir kommunizieren selbstbestimmt.“ Leitsätze, unter denen wir uns alle einzuordnen haben und die wir nun durch die dazugehörigen Verhaltensregeln in die Praxis umsetzen müssen.

„Wir kommunizieren selbstbestimmt“ – mit Verlaub: Das klingt etwas naiv. Ein Beispiel bitte.
Wir haben eine klare Kommunikationsstrategie festgelegt und bestimmt, wer für welche Aussagen verantwortlich ist. Und dass wir Themen, die für uns wichtig sind, über unsere eigenen Medien proaktiv nach außen geben. Wir wollen mehr agieren statt zu reagieren.

Sie sprechen auf Wirtschaftskongressen, beraten Manager und Führungskräfte. Orientieren Sie sich selbst auch an Führungsgrößen aus der Wirtschaft?

Topwirtschaftsleute zeichnen sich durch brutal große emotionale Intelligenz und durch gekonnte Prinzipien der emotionalen Führung aus.

Von herausragenden Persönlichkeiten wie Klaus Greinert, Dietmar Hopp, Eggert Voscherau oder Karl Gernandt habe ich sehr viel gelernt in Bezug auf die Ausgestaltung von Leadership. Das versuche ich auf den Sport zu übertragen.

Sind Sportmannschaften stärkere Zweckgemeinschaften als Unternehmensteams, weil sie stärker an einem klar definiertem Ziel, etwa der Meisterschaft oder dem WM-Titel, ausgerichtet sind?
Auf jeden Fall. Und weil das klare Ergebnisziel zudem meist viel kurzfristiger zu erreichen ist, sind diese Teams auch leichter zu emotionalisieren.

Beim sogenannten Cultural Fit geht es um die kulturelle Passung zwischen Unternehmen und Bewerber. Aber braucht es, um herausragende Ziele zu erreichen, nicht im Gegenteil eine große Vielfalt an Persönlichkeiten im Team?
In einer Hochleistungsmannschaft müssen sich die Persönlichkeitsmerkmale ergänzen, sie dürfen nicht gleich sein. Eine hervorragende Mannschaft muss einen Mix aus verschiedenen Motivlagen und Individualeigenschaften der Mitspieler haben. Da muss es Leute mit Führungsmotiven geben, mit egoistischen Machtmotiven, und es muss Leute mit sozialen Motiven geben.

Soweit können wir folgen.

Das Entscheidende, damit eine solche Auswahl funktioniert, ist, dass es Transparenz untereinander in der Anerkennung dieser unterschiedlichen Typen und Charaktere gibt.

Dass nicht einerseits dominante Spieler wie Stefan Effenberg oder Zlatan Ibrahimovic gesucht werden, ihnen andererseits aber die Egoismen und die Führungsansprüche angelastet werden. Oder dass sie sich im Training anders verhalten. Diese Persönlichkeitseigenschaften müssen nach innen akzeptiert und nach außen verteidigt werden. Wenn das eindeutig kommuniziert wird, weiß jeder im Verein, unter welchen Prämissen er arbeitet.

Wie nutzen Sie die digitalen Möglichkeiten bei der Personalrekrutierung, abseits vom Wissens- und Datenmanagement?
Wir führen eine Vielzahl von Persönlichkeitstest mit den Spielern durch, um herauszufinden, wie Spieler zusammenpassen und wie die mannschaftliche Sozialstruktur passen könnte. Um das zu optimieren, entwickeln wir gerade zusammen mit dem Partner Allianz eine App. Mit ihr wollen wir mittelfristig die Persönlichkeitseigenschaften von Teamsportlern schon im pubertären Bereich testen können.

Dieser langfristige Blick scheint dem entgegenzustehen, was man zurzeit im internationalen Fußballmarkt beobachten kann: dass manche Vereine, befeuert durch viel Geld, fast wahllos Spieler einkaufen. Mit einer Orientierung am Cultural Fit hat das wenig zu tun.
Und wozu das führt, kann man an Mannschaften wie Manchester City oder Paris Saint-Germain beobachten, die eigentlich eine Art Gemischtwarenladen sind: von allem etwas. Im Gegensatz dazu steht meiner Ansicht nach der FC Barcelona, der eine klare Handschrift und Identität besitzt.

Das Interview führte Marcus Meyer, freier Journalist.

Zur Person:
„Wer auswählt, verletzt“ – ein Satz aus seinem 2008 erstmals aufgelegten
Buch „Führungs-Spiel“, in dem sich Bernhard Peters intensiv mit der
Zusammenstellung, Entwicklung und Motivation erfolgreicher Teams
auseinandersetzt. Sein Erfahrungsschatz ist vielfältig: Er war mehrere
Jahrzehnte für den Deutschen Hockey-Bund tätig, holte 2002 mit der
Nationalmannschaft den WM-Titel, 2004 Olympia-Bronze in Athen und im
Jahr 2006 erneut den WM-Titel, diesmal im eigenen Land. Dann folgte der
Wechsel in den Fußballsport: Von 2006 bis 2014 war Peters bei der TSG
1899 Hoffenheim als Direktor für Sport aktiv, und führte die TSG mit
Ralf Rangnick von der 3. Liga bis in die Bundesliga. Seit August 2014
ist er beim Hamburger SV als „Direktor Sport“ für die langfristige
sportlich-inhaltliche Entwicklung verantwortlich. Unter anderem
referiert er an der Trainerakademie Köln über Themen wie Coaching,
Kommunikation und Führung von Teams. Zu den gleichen Themen ist Peters
ein gefragter Redner in der freien Wirtschaft.

Hinweis: Dieses Interview ist in der aktuellen Juni-Ausgabe der „Personalwirtschaft“ zum Thema „Cultural Fit“ erschienen.

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