Nimmt man Länge und Lautstärke des Applauses als KPIs, war der Auftritt des Knappenchores Rheinland das absolute Highlight der ersten Ausgabe der Recruitingkonferenz „Schicht im Schacht“, die Anfang Mai in Duisburg stattfand. Das Kurzkonzert, das den Übergang von Konferenz zu After-Show-Party markierte, steht dabei stellvertretend für eine der Besonderheiten dieser neuen Veranstaltungen. Denn Macher Marcel Rütten ist selbst Kind des „Potts“ – und ließ die Veranstaltung Kohle, Stahl und Lokalkolorit atmen, so viel es nur ging. Damit traf er einen Nerv beim Publikum, das sich begeistert zeigte von der Atmosphäre, zu der auch der Veranstaltungsort im Landschaftspark Nord, einem alten Stahlwerk, beitrug.
Aber auch das Programm fand Anklang bei den rund 400 Personalerinnen und Personalern, die am Event teilnahmen. Das hatte Rütten in seiner Begrüßung unter anderem unter das Motto „Kumpel, Kohle und Maloche“ (der andere, ebenso passende Dreiklang: „Explore. Exchange. Engage.“) gestellt. Und so noch einmal den Bogen gespannt vom Ruhrgebiet in die Personalabteilungen. So ging es am Freitag unter anderem um Employee Experience & Employer Branding, Vergütungstransparenz und die Zukunft der Arbeit. Und ähnlich wie das Ruhrgebiet habe sich das Recruiting in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr verändert, sagte Rütten.
Und es verändert sich weiter. Einen Eindruck von dem vielleicht gar nicht allzu fernen rundherum datengetriebenen Alltag eines Recruiters entwarf gleich zu Beginn Daniel Mühlbauer, Experte für P&O IT-Solutions bei Siemens. Mühlbauer, der im Vorfeld auch mit uns über das Thema gesprochen hatte, nahm die Zuhörerschaft „eben ma mit aufe Reise inne Zukunft“, wie er im schönsten Ruhrgebietsdialekt sagte. Teil der Vision ist ein digitaler „Recruiting-Copilot“, der seinem menschlichen Chefpiloten das Leben erleichtert, indem er über den Arbeitstag hinweg zielgenau sämtliche Informationen zur Verfügung stellt und Arbeitsabläufe selbstständig abwickelt und anstößt. Dafür wird der „Copilot“ ausgestattet mit diversen Apps etwa für die Kandidatensuche und -ansprache.
Mit Daten den eigenen Impact verdeutlichen
Das alles geht aber nur mit den richtigen Daten. Daher war es kaum verwunderlich, dass es gleich in mehreren Panels um KPIs und deren Nutzung ging. Die richtigen KPIs hätten viele HR-Abteilungen noch nicht gefunden, sagte Karin Philippczyk, Hiring Success Transformation Consultant bei Smartrecruiters. Dabei seien diese doch so wichtig, auch um als Recruiting den eigenen Impact zu dokumentieren. „Im Recruiting sollte es immer darum gehen, die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt unter dem vorgegebenen Budget zu finden“, sagte die Expertin – und schlug auch gleich die passenden Kennzahlen vor.
Mit der KPI „Hiring Budget“, die sich aus dem Verhältnis der Recruiting-Kosten und der Lohnsumme der Neueinstellungen im ersten Jahr errechne, lasse sich feststellen, ob die Investitionen angemessen sind. Für die Schnelligkeit schlug Phlippczyk vor, die beliebte Kennzahl Time-to-Hire durch die „Hiring Velocity“ zu ersetzen. Schließlich sei es bei ersterer von Job zu Job unterschiedlich, was eigentlich ein guter Wert ist und was ein schlechter. Die Velocity, die angibt, wie viel Prozent der Stellen im vorgegebenen Zeitraum besetzt wird, sei daher sehr viel aussagekräftiger.
Und auch für die Qualität der Einstellung schlug die Expertin eine Kennzahl vor, nämlich den an den aus dem Marketing bekannten Net Promoter Score angelehnten „Net Hiring Score“, für den die Bewertungen von Hiring Manager und Neueinstellung nach 90 Tagen erhoben und miteinander verrechnet werden. Durch eine Kombination der drei genannten KPIs – und entsprechender auf das eigene Unternehmen abgestimmte Optimierungen – könne das Recruiting im Idealfall irgendwann voraussagen, wie erfolgsversprechend eine Suche ist. „So kommen wir weg vom Bauchgefühl“, sagte Phlippczyk. Stattdessen könne man den Wert der eigenen Abteilung mit Zahlen untermauern.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtete Franziska Manck, die als Head of Executive Recruiting und Head of Graduate Recruiting bei der Deutschen Bahn über das Diversityrecruiting beim Staatskonzern sprach. Die Bahn, die für das Projekt „Women@DB“ im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Personalwirtschaftspreis ausgezeichnet wurde, möchte diverser werden – und misst die Erfolge genau. „Dadurch schaffen wir es, mehr Management Attention auf das Thema zu lenken“, sagte Manck – und riet allen Anwesenden dazu, die richtigen Kennzahlen gerade bei vermeintlich „weichen“ Themen zu wählen sowie entsprechend zu kommunizieren. Schließlich werde nur angegangen, was auch gemessen wird.
Wir benötigen Echtzeit-Auswertungen
Die Arbeit mit KPIs erfordere natürlich auch mehr IT- und Datenkompetenzen in den HR-Abteilungen, fügte Jan Kirchner, Geschäftsführer von Wollmilchsau, später an gleicher Stelle hinzu. Auch er sprach unter anderem über Kennzahlen und darüber, wie diese den Personalabteilungen helfen können, den eigenen Wert im Unternehmen zu erhöhen und sichtbarer zu werden. Er formulierte dabei Forderungen, wie seiner Meinung nach Personalarbeit aussehen müsste beziehungsweise was es dafür brauche. „Wir benötigen zum Beispiel Echtzeit-Auswertungen aus dem eigenen Unternehmen und Benchmarks aus dem Markt“, sagte er. Nur so könne das Recruiting gezielt nach neuem Personal suchen. „Das kann dann zum Beispiel bedeuten, dass wir bei Stellen, bei denen man ohnehin niemanden über Stellenanzeigen findet, direkt ins Active Sourcing einsteigen.“ Viele Unternehmen seien von einem solchen Vorgehen entfernt – oft scheitere es schon daran, dass Hiring Manager und Recruiting nicht wirklich zusammenarbeiten. „Wir müssen klar machen, dass Recruiting Teamsport ist“, fügte Kirchner hinzu.
Dazu gehört natürlich auch eine menschliche Komponente. Wie wichtig die ist, wurde nicht nur am ganzen Rahmen der Schicht im Schacht deutlich, auch die Vortragenden gingen regelmäßig auf das Thema ein. Denn im Kandidaten-Interview spielt Einfühlungsvermögen nach wie vor eine Rolle. Professor René Sadowski von der Quadriga Hochschule in Berlin erklärte dem Publikum, wie wichtig es sei, Kandidaten und Kandidatinnen „zu lesen“. Zuerst müsse klar sein, was wirklich für den vakanten Job erforderlich sei.
„Da sind Kompetenzen wichtiger als Erfahrungen“, erklärte der Hochschullehrer. Um deren Vorhandensein herauszufinden, sei es erforderlich, die passenden Fragen zu stellen: Was hat die Person im Hinblick auf die gefragte Kompetenz getan? Wie hat sie dies gemacht? Mit welchem Ergebnis? „Früheres Verhalten ist für künftiges Verhalten aussagekräftiger als Erfahrungen in vergleichbaren Positionen.“
Ein Augenmerk richtete Sadowski auch auf ein oft vernachlässigtes Stiefkind vieler Recruiting-Prozesse: das Feedback: „Wenn auf beiden Seiten so viel Lebenszeit in ein Vorstellungsgespräch investiert wurde, dann ist es auch angemessen, hinterher ein anständiges Feedback zu geben.“ Recruiterinnen und Recruiter sollten nicht vergessen, dass sie auch Botschafter und Botschafterinnen ihrer Organisation seien. Auch ein ablehnendes Feedback, sofern es respektvoll und begründet sei, können bei den Talenten ein positives Bild hinterlassen.
Ein mindestens genauso positives Bild dürfte das Team um Marcel Rütten vom Ruhrgebiet bei den Teilnehmenden hinterlassen haben. Das kann man auch ganz ohne passende Kennzahlen konstatieren.