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Mensch und Maschine

Mann vor Computer
Foto: ©istock

Die Digitalisierung des Recruiting-Prozesses ist in den meisten Personalabteilungen angekommen. Gleichzeitig ermöglicht das IT-gestützte Vorgehen den Einsatz weiterer technologischer Anwendungen wie beispielsweise von Algorithmen, die bei der Personalauswahl helfen können. Die Unternehmen setzen darauf, weil sie in Form von niedrigeren Prozesskosten profitieren und – soweit die Algorithmen valide sind – auch passendere Kandidaten gewinnen können. Aus Arbeitgebersicht spricht also wenig dagegen, sich mit digitalen Auswahlinstrumenten auseinanderzusetzen, sie zu testen und anschließend die Prozesse umzustellen.

Dennoch bleibt die Frage: Wie nehmen Bewerbende Algorithmen im Recruiting wahr? Während Recruiter bei den neuen Auswahlinstrumenten zuerst auf Effizienz und Validität achten sollten, wäre es ebenso unklug von ihnen, die Haltung der potenziellen Kandidaten zu ignorieren. Lehnen sie den Einsatz von Algorithmen ab, akzeptieren sie ihn oder fordern ihn sogar ein? Die größte zeitnah in den Arbeitsmarkt eintretende Gruppe sind Studierende. Bisher wurde wissenschaftlich kaum untersucht, wie sie den Einsatz von Algorithmen im Einstellungsprozess beurteilen. Daher wurden im Rahmen der Studienreihe „Fachkraft 2030“ rund 15 000 von ihnen befragt, wie sie Algorithmen in der Personalauswahl bewerten – auch im Hinblick auf Entscheidungstransparenz, die Vermeidung von Fehlentscheidungen, den Abbau von Diskriminierung und die Geschwindigkeit des Auswahlprozesses.

Grundsätzlich kritische Haltung

Abbildung 1
Abbildung 1

Fragt man Studentinnen und Studenten nach ihrer Meinung zu einem generellen Einsatz von Algorithmen in der Personalauswahl, so sind rund 60 Prozent (eher) skeptisch (siehe Abbildung 1) beziehungsweise lehnen ihn ab. Dies trifft auf beide Geschlechter zu, auch wenn weibliche Studierende kritischer sind. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Kollegen der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) dem Einsatz der neuen Technologien weniger misstrauisch begegnen. Eine Mehrheit für einen generellen Einsatz von Algorithmen in Personalauswahlprozessen zeigt sich lediglich im Vergleich zwischen inländischen und ausländischen Studierenden: Diejenigen ohne deutsche Herkunft halten sie bei der Personalauswahl allgemein für (eher) sinnvoll. Inwieweit hier ein Zusammenhang mit einer befürchteten oder erlebten Diskriminierung im Einstellungsprozess besteht, ist eine wichtige Frage für die künftige Forschung.

Auf die Begründung kommt es an

Jüngere Menschen können durchaus nachvollziehen, dass sich die Rekrutierung durch den Einsatz von Algorithmen in vielerlei Hinsicht verbessern kann. Wenn man sie nach ihrer Akzeptanz mit Blick auf konkrete Einsatzgründe befragt, ändern sie ihre bisher kritische Position. Es lässt sich nun eine teils deutliche Präferenz für den Einsatz von Algorithmen feststellen – ob als alleiniges Instrument oder in Kombination mit menschlichen Entscheidungsträgern.

Abbildung 2
Abbildung 2

Bei den vier Anwendungskriterien – Entscheidungstransparenz, Vermeidung von Fehlentscheidungen, Abbau von Diskriminierung, Geschwindigkeit des Auswahlprozesses – bevorzugen Studierende den Einsatz von Algorithmen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß (siehe Abbildung 2). Fast die Hälfte der Studierenden spricht sich unter dem Gesichtspunkt einer schnellen Rückmeldung im Auswahlprozess für den Einsatz von Algorithmen aus, etwas 32 Prozent in Kombination mit menschlichen Entscheidungsträgern. Im Gegensatz hierzu zeigt sich, dass drei von vier der Befragten bei der Vermeidung von Fehlentscheidungen eher dem Zusammenspiel von Mensch und Algorithmus vertrauen.

Insgesamt zeigt sich, dass Studierende Algorithmen zwar mit einer gewissen Grundskepsis gegenüberstehen, allerdings den Einsatz immer dann präferieren, wenn klare Anwendungskriterien vorliegen.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis?

Welche Schlüsse sollten Personaler und Recruiter daraus ziehen?

  • Studierende begrüßen es, wenn Algorithmen helfen, die Rückmeldungsgeschwindigkeit zu steigern. Chatbots, aber auch automatisierte Mails sind demnach durchaus gewünscht. Sie können dabei helfen, den Status einer Bewerbung zu kommunizieren, standardisierte Fragen zu beantworten oder den Bewerbenden an die richtige Kontaktperson weiterzuleiten.
  • Der akademische Nachwuchs traut Algorithmen ebenfalls zu, bei der Vermeidung von Fehlentscheidungen zu helfen. Das Fehlerpotenzial bei Menschen steigt insbesondere bei repetitiven Aufgaben. Dazu zählt zum Beispiel auch das Übertragen von Lebenslaufinformationen in das Bewerbermanagementsystem. Künstliche Intelligenz hat großes Potenzial, Entscheidungsträger bei diesen Aufgaben zu unterstützen und die Fehlerquote deutlich zu senken. Aber auch bei analytischen Tätigkeiten können Algorithmen sinnvoll sein, denn Personalverantwortliche können nicht umfassend über die Notengebung aller Hochschulen informiert sein. Hier helfen IT-gestützte Lösungen, Kontextinformationen beizusteuern und richtig einzuordnen.
  • Auch beim Abbau von Diskriminierung erkennen die Befragten Potenziale. Dieser Aspekt wird im Personalwesen jedoch durchaus kontrovers diskutiert. Auch wenn in den letzten Jahren vermehrt am Abbau der Diskriminierung im Recruiting gearbeitet wird, handelt es sich nach wie vor um ein ernst zu nehmendes Problem. Allerdings zeigen Studien, dass sich Diskriminierung bei rein menschlichen Entscheidungen nicht wirklich ausschließen lässt. Und daraus resultieren, neben den indiskutablen ethischen und moralischen Aspekten, reale Kosten für Unternehmen. In der Theorie können Algorithmen Informationen grundsätzlich neutral bewerten und haben das Potenzial, Diskriminierung entgegenzuwirken. Aufgrund verzerrter Trainingsdaten kann es aber ebenso zu unbeabsichtigter Diskriminierung kommen. Daher sind eine fortlaufende Evaluierung und Kontrolle von Algorithmen angezeigt.
  • Mit Blick auf die Transparenz spricht sich ebenfalls eine Mehrheit der Befragten für den Einsatz von Algorithmen aus beziehungsweise für eine Kombination von Menschen und Algorithmus. Dieser Anteil ist geringer als bei den anderen Anwendungskriterien. Eine Überraschung ist das nicht: Für viele Menschen sind derartige Technologien in ihrer Funktionsweise eher abstrakt und weniger greifbar. Im HR-Bereich sind die Anbieter in der Pflicht, ihre Tools genau zu erklären und offenzulegen, wie diese arbeiten und welche Daten warum benötigt werden. Denn theoretisch haben Algorithmen sogar das Potenzial, die Transparenz von Entscheidungen zu steigern, da sie auch noch Jahre später exakt reproduziert werden können.

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Ein offener Dialog, ein transparenter und wissenschaftlicher Ansatz sowie Validierungsstudien sind essenzielle Bausteine für den erfolgreichen Einsatz von Algorithmen. Wenn konkrete Anwendungsziele definiert werden, präferieren Studierende Einstellungsprozesse, in denen Algorithmen zum Einsatz kommen. Und hier vor allem, wenn diese in Kombination mit menschlichen Entscheidungsträgern zum Einsatz kommen. Die Chance, reale Probleme wie Diskriminierung am Arbeitsmarkt zu lösen, sollte nicht links liegen gelassen werden. Wenn Forschung, Anbieter und Unternehmen eng zusammenarbeiten, könnten derartige Innovationen in vielerlei Hinsicht schon bald Früchte tragen.

Von:
Dr. Jan Bergerhoff,Research Fellow, Maastricht University, j.bergerhoff@maastrichtuniversity.nl
Julian Bonitz, Projektmanager, Forschungsprojekt FAIR, forschung@fair.nrw
Larissa Fuchs, Doktorandin der Volkswirtschaftslehre, Universität zu Köln, larissa.fuchs@wiso.uni-koeln.de
Dr. Philipp Seegers, Research Fellow, Maastricht University, Projektleiter Forschungsprojekt FAIR, Geschäftsführer Candidate Select GmbH, pks@candidate-select.com

+++ Ein Interview mit dem Studienleiter Dr. Philipp Seegers finden Sie in unserem Sonderheft E-Recruiting, das Sie › hier kostenfrei downloaden können. +++


Studie kompakt

Forschungsfragen:
Wie hoch ist die Akzeptanz von Studierenden gegenüber Algorithmen in der Personalauswahl? Wie verändert sich ihre Haltung, wenn sie Gründe für ihre Anwendung aufgezeigt bekommen? Wie unterscheidet sich die Akzeptanz zwischen bestimmten Gruppen?

Forschungsansatz:
Grundlage der Analyse bildet die seit 2012 halbjährlich von der Maastricht University in Kooperation mit der Studitemps GmbH durchgeführte Studierendenbefragung „Fachkraft 2030“. Im Rahmen der 16. Runde im März 2020 nahmen rund 15 500 Personen teil. Die Daten wurden im Rahmen des Projekts Fair Artificial Intelligence Recruiting (FAIR) der Universität zu Köln und der Candidate Select GmbH ausgewertet. FAIR wird durch die Europäische Kommission und das Land Nordrhein-Westfalen gefördert.

Forschungsergebnisse:
Studierende zeigen gegenüber einem generellen Einsatz von Algorithmen bei Personalentscheidungen eine eher skeptische Haltung. Sobald der Einsatz an konkrete Anwendungskriterien gekoppelt wird, präferiert ihn eine Mehrheit.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 08/2020 der Personalwirtschaft erschienen. Sie können das Heft nachträglich › hier bestellen.