Elektronische Bewerbungen haben die klassische Bewerbungsmappe aus Papier abgelöst. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, führt für Organisationen kein Weg an einem Online-Bewerberportal vorbei. Aus der steigenden Nachfrage nach Recruiting-Lösungen hat sich allerdings ein großer, unübersichtlicher Markt entwickelt. Viele Softwareanbieter geben ihren potenziellen Kunden Auswahlchecklisten an die Hand, die sich von Anbieter zu Anbieter unterscheiden. Die genannten Auswahlkriterien orientieren sich dabei sehr am jeweiligen Leistungsangebot der Softwarehäuser. Wie kann sich ein Unternehmen in diesem Dschungel der Systeme zurechtfinden? Und gibt es in diesem Zusammenhang überhaupt einen einheitlichen Anforderungskatalog für die Auswahl einer Recruiting-Lösung?
Diese Fragen stellte sich auch die K+S-Gruppe, ein Bergbauunternehmen mit Hauptsitz in Kassel, das weltweit über 14 000 Mitarbeiter beschäftigt. Seit einigen Jahren kooperiert K+S mit den Wirtschaftspsychologen der Universität Kassel mit dem Ziel, Forschungserkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Um der Personalabteilung eine Orientierungshilfe zu den verfügbaren Bewerbermanagement-Lösungen zu liefern, befassten sich Studenten des Studiengangs Wirtschaft, Psychologie und Management mit der Konzeption und Auswahl eines evidenzbasierten Systems. Aus der Analyse der aktuellen Forschung entstand die nachfolgende Checkliste, die beweisgestützte Kriterien zusammenträgt und so einen Anforderungskatalog für die Auswahl und die Gestaltung von Bewerbermanagementsystemen definiert (siehe unten). Diese Checkliste erfüllt keine Marketingfunktionen und bietet so für Praktiker eine fundierte Entscheidungsgrundlage.
Der HR-Wissenschaftler Stefan Strohmeier hat verschiedene Studien, die sich mit dem elektronischen Personalmanagement befassen, analysiert und die wesentlichen Elemente in einem Modell zusammengefasst (siehe Abbildung). Es verdeutlicht die Schwerpunkte, die im elektronischen Personalmanagement und somit auch bei der Entwicklung beziehungsweise Auswahl von Bewerbermanagementsystemen von Bedeutung sind. Das Modell mit seinen verschiedenen Perspektiven diente als Grundlage für die weiterführende Literaturrecherche, sodass in diesem Zusammenhang rund 100 Studien gezielt nach Anforderungen aus Sicht der Bewerber, des HR-Managements sowie der gesamten Organisation analysiert wurden.
nehmen. Unter „Kontext“ sind zum Beispiel kulturelle oder rechtliche Bedingungen zu verstehen.
Die Perspektive der Bewerber
Studien zeigen, dass insbesondere die Bedienerfreundlichkeit eines Bewerberportals entscheidend für die Akzeptanz seitens der Kandidaten ist. Der Bewerbungsprozess sollte demnach einfach, intuitiv und schnell durchführbar sein, um zu verhindern, dass er vorzeitig abgebrochen wird. Ein zu langwieriger Recruiting-Prozess kann sich besonders negativ auf die Einstellung der Kandidaten gegenüber dem Unternehmen auswirken. Sie erwarten außerdem ein Design, das modern, ansprechend und übersichtlich gestaltet ist. Zudem sollte eine flexible Dateneingabe, zum Beispiel durch Freitextflächen, möglich sein. Des Weiteren sollten die Kandidaten jederzeit erkennen können, welche Schritte als nächste folgen.
Ferner umfasst ein ansprechendes Bewerberportal exakte und relevante Informationen. Das kann beispielsweise die Stellenbeschreibung oder das Beschäftigungsverhältnis betreffen. Insgesamt sollten Personaler an dieser Stelle überlegen, welchen Zusatznutzen das Portal dem Bewerber bieten kann. Außerdem sollte eine unkomplizierte Kontaktmöglichkeit zur Personalabteilung bestehen. Um Bedenken hinsichtlich der weiteren Nutzung der Daten vorzubeugen und rechtlichen Anforderungen Genüge zu leisten, sind Hinweise zum Datenschutz notwendig.
Auch die wahrgenommene Fairness stellt einen bedeutenden Faktor für die Akzeptanz von Bewerbermanagementsystemen dar. Forschungsergebnisse zeigen, dass der Bewerbungsprozess dann als fair empfunden wird, wenn die Kandidaten die Möglichkeit bekommen, für sie relevante Zusatzinformationen, etwa zum gewünschten Einstellungstermin, einzubringen. Ein Bewerberportal wird zudem dann als fair gesehen, wenn es eine aktive und passive Kommunikation ermöglicht (Feedback geben, Fragen stellen) und eine transparente Darstellung des Auswahlverfahrens, etwa die Zeit bis zur Rückmeldung, erfolgt.
Die Perspektive von HR
Auch für Personalverantwortliche ist die Bedienerfreundlichkeit essenziell. Dementsprechend sollte der Umgang mit dem Bewerbermanagementsystem für alle unternehmensinternen Anwender an sämtlichen Standorten intuitiv, einfach und flexibel zu bedienen sein, um eine effiziente Personalauswahl zu ermöglichen. Des Weiteren gewährleistet eine umfassende Lösung auch die Möglichkeit zur externen und internen Kommunikation. Das heißt zum Beispiel, dass automatische oder manuell erstellte Absagen an einzelne oder vorher definierte Bewerbergruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt gesendet werden, aber auch, dass Linienmanager innerhalb der Organisation über das Portal miteinander kommunizieren können.
In Sachen Personaldiagnostik muss das Bewerbermanagementsystem eine Entscheidungsgrundlage für die Auswahl geeigneter Kandidaten ermöglichen. Dies umfasst die Speicherung aller notwendigen Informationen, die Identifikation doppelter Bewerbungen, die Anlage eines Archivs und die Erstellung von relevanten Reports und Statistiken, sodass sich nicht zuletzt die Personalmarketingmaßnahmen evaluieren lassen. Ferner sollte das System die Möglichkeit bieten, ein automatisches und manuelles Screening anhand definierter Kriterien durchzuführen. Insgesamt muss das Tool dem Personalmanagement eine Effizienzsteigerung ermöglichen, also: Kosten reduzieren, Zeit ersparen, Komplexität reduzieren und die Qualität der Bewerbungen steigern.
Die Perspektive der Organisation
Das Bewerbermanagementsystem sollte an die individuellen Merkmale der Organisation angepasst sein. Dazu gehört, dass die Recruiting-Software die Anforderungen und Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe (Berufseinsteiger, Berufserfahrene, interne Mitarbeiter und so weiter) erfüllt. Dies kann zum Beispiel durch die Integration von Social-Media-Applikationen oder die Möglichkeit zur mobilen Bewerbung geschehen. Außerdem sollte sich das Bewerberportal in die Personalmarketingstrategie integrieren lassen und somit das Employer Branding positiv beeinflussen. Die Kultur und die Werte, für die eine Organisation steht, sollten auch im Bewerbungsprozess zum Ausdruck gebracht werden. Des Weiteren sollte das System die Möglichkeit bieten, Stellenanzeigen automatisch auf verschiedenen Karrierewebseiten zu veröffentlichen.
Insgesamt muss das Tool eine Effizienzsteigerung ermöglichen
Auch die Organisationsgröße beeinflusst die Auswahl und Konzeption der Bewerbermanagement-Software. Das bedeutet, dass die Anzahl der Bewerbungseingänge, die Anzahl der Mitarbeiter sowie Budget- und Gewinngrößen sich auf den notwendigen Umfang und die damit verbundenen Funktionen des Systems auswirken. Mit Blick auf die Globalisierung und Internationalisierung vieler Organisationen ist die Vernetzung der Personalverantwortlichen und der Bewerber mit verschiedenen Standorten auf der Welt von großer Bedeutung. In diesem Zusammenhang sollten länderspezifische Bedürfnisse flexibel anpassbar sein, beispielsweise hinsichtlich von Sprachbarrieren oder unterschiedlichen gesetzlichen Vorschriften.
Mögliche Zielkonflikte
Grundsätzlich bietet der technologische Fortschritt unzählige Möglichkeiten zur Gestaltung eines Bewerbermanagementsystems. Die Anbieter können die Features oft individuell zusammenstellen und anpassen. In diesem Zusammenhang wird die Checkliste im Prinzip durch die Perspektive des Anbieters komplettiert. Die Kriterien für die technologische Umsetzung ergeben sich aus den Anforderungen der drei Akteure Bewerber, Personalverantwortlicher und Organisation. In manchen Fällen entstehen hierbei Zielkonflikte. Beispielsweise könnte die Zielgruppe eine mobile, bedienerfreundliche Ein-Klick-Bewerbung bevorzugen, welche dann jedoch für den Personalverantwortlichen nicht alle diagnostisch notwendigen Informationen liefert. Diese Zielkonflikte gilt es abzuwägen und Prioritäten für die Gestaltung des Systems festzulegen.
Die Checkliste stellt einen evidenzbasierten Anforderungskatalog dar. Jede Organisation sollte die Kriterien mit ihren individuellen Anforderungen konkretisieren. Im nächsten Schritt werden dann mögliche Zielkonflikte identifiziert. Daraufhin können die Verantwort-lichen Lösungsansätze diskutieren und abwägen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einem Anbieter oder Experten. Die finalen Erwartungen an das individuelle Bewerbermanagementsystem entstehen zum einen aus den unumstrittenen Anforderungen und den möglichen Kompromissen zur Lösung der Zielkonflikte unter Einbeziehung des Anbieters. Der gesamte Anforderungskatalog dient so als fundierte Grundlage für die Konzeption und Auswahl der geeigneten Software.
Neue Lösungen dank Technik
Technologische Trends führen immer wieder zu Innovationen im Bereich von Recruiting-Software. Optimalerweise liefern sie Lösungen für bestehende Zielkonflikte. Beispielsweise können mit CV-Parsing-Programmen Inhalte aus hochgeladenen Lebensläufen automatisch erfasst und in das Bewerbermanagementsystem übertragen werden, was den folgenden möglichen Zielkonflikt löst: Der Bewerber erwartet eine schnelle, intuitive und einfache Bewerbung; das Personalmanagement benötigt differenzierte Informationen für eine effektive Personalauswahl. Ferner kann ein mehrsprachiges CV-Parsing-Programm mögliche Herausforderungen einer internationalen Organisation mit ihren kulturellen und sprachlichen Unterschieden lösen. Anstatt mehrsprachige Datenabfragen anzufertigen, lässt sich die CV-Parsing-Software flexibel in länderspezifischen Karriereseiten integrieren. Das Beispiel verdeutlicht, dass es sich lohnen kann, sich mit den technologischen Trends auseinanderzusetzen.
Eine gute Ausgangsbasis
Um sich wie die K+S-Gruppe im Dschungel der Bewerbermanagementsysteme zurechtzufinden, bietet die vorgestellte Checkliste eine fundierte Entscheidungshilfe. Sie kann dabei helfen, jene Eigenschaften der Software festzulegen, die sie unbedingt besitzen muss, aber auch jene Funktionen zu bestimmen, auf welche die Personalabteilung gegebenenfalls verzichten kann. Zudem ermöglicht die Checkliste eine effizientere Auswahl, nicht zuletzt weil sich die individuelle Checkliste direkt an potenzielle Anbieter schicken lässt.
Die Frage nach einem einheitlichen Anforderungskatalog für Bewerbermanagementsysteme lässt sich dementsprechend weder mit einem klaren Ja noch mit einem klaren Nein beantworten. Die angeführten Kriterien bieten zwar eine einheitliche Grundlage, jede Organisation sollte sie aber um ihre individuellen Spezifika ergänzen.
Autoren:
Lukas Rottmann, Masterstudent, Universität Kassel, und Berater, theoretisch praxisnah, kontakt@theoretischpraxisnah.net
Daniel Witte, Masterstudent, Universität Kassel, und Berater, theoretisch praxisnah, kontakt@theoretischpraxisnah.net
Linktipp:
› Ausführliche Checkliste zur Auswahl eines Bewerbermanagementsystems
Dieser Beitrag stammt aus der Personalwirtschaft 02/2017. Mehr Inhalt der Ausgabe finden Sie im › Archiv.