Michael Egger, selbstständiger Unternehmensberater, ist auf der Suche nach einem neuen Job. Doch Stellenanzeigen lesen und sich darauf bewerben, wollte er nicht. Stattdessen hat er den Bewerbungsprozess umgedreht, selbst ein Inserat mit den Worten „Suche Arbeitgeber“ erstellt und auf Linkedin geteilt. Im Interview verrät Egger, warum er sich für diese Form des Reverse Recruitings entschied und wie das Experiment bei Personalerinnen und Personalern ankam.
Personalwirtschaft: Herr Egger, wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit einer Stellenanzeige nach einem Arbeitgeber zu suchen?
Michael Egger: Es wird in der HR-Branche momentan viel über Reverse Recruiting gesprochen, meiner Wahrnehmung nach aber noch wenig diesbezüglich agiert. Ich wollte hier mit einem Experiment etwas nachhelfen und schauen, wie offen HR wirklich gegenüber Reverse Recruiting ist. Und dabei natürlich auch eine neue Stelle finden.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Meine Grundüberlegung war: Ich schreibe mir meinen Wunscharbeitgeber selbst. Dabei habe ich mich bewusst – und auch, um etwas zu provozieren – an den traditionellen Aufbau einer Stellenanzeige gehalten. Daraus entstanden die Elemente: Was Sie erwartet, was sie mitbringen sollten und was sie dafür erhalten. Mein Inserat gleicht damit einer austauschbaren Stellenanzeige. Ich habe meine Angaben absichtlich sehr offen gehalten, sodass ich damit wahrscheinlich in 50 verschiedene Jobprofile passe.
Warum?
Ich wollte schauen, wer sich wirklich bei mir meldet und mich als Mensch kennenlernen will. Damit möchte ich auch dem in der Recruiting-Szene noch üblichen Bullet-Point-Abhaken entgegenwirken. Nur wenige Recruiter oder Recruiterinnen wollen heute mögliche neue Mitarbeitende kennenlernen. Meistens haben sie ihre Liste an Qualifikationen, die die Bewerbenden erfüllen müssen. Vieles ist derzeit sehr automatisiert. In Zeiten des Fachkräftemangels muss man hier aber umdenken.
Damit Reverse Recruiting funktioniert, müssen Personalerinnen und Personaler ihre gewohnten Prozesse hinter sich lassen, aber auch Jobsuchende bereit sein, sich als Arbeitskraft proaktiv zu verkaufen. Ist der Recruiting-Markt schon so weit?
Für viele Freelancer ist es recht normal, dass sie ihre freien Kompetenzen aktiv kommunizieren. Sie sehen das als Netzwerken. Davon können andere lernen. Wie auch von US-amerikanischen Vereinen. Wenn man sich das Sport-Business anschaut, beispielsweise im Basketball in der NBA, sieht man Reverse Recruiting in Aktion. Vereine bewerben sich bei sehr guten College-Basketballspielern. Zudem gibt es bei uns ja auch schon Active Sourcing. Dabei suchen sich Recruiterinnen und Recruiter ihre Talente aus Datenbanken – oftmals aus den sozialen Medien – heraus. Das heißt, der Standard-Recruiting-Prozess wird zum Teil schon umgedreht.
Wie erfolgreich waren sie mit ihrer Stellenanzeige?
Nach etwa zwei Wochen habe ich zwei Rückmeldungen von Unternehmensvertretern erhalten. Ein Vorstellungsgespräch hatte ich bereits – ohne meinen Lebenslauf hinschicken zu müssen. So hat mein Gegenüber auch mehr von mir als Mensch erfahren und sich nicht direkt auf die harten Aspekte meines Lebenslaufs fokussiert. Erst im Nachhinein habe ich ihm dann den Lebenslauf geschickt. Ob das überhaupt noch nötig ist, darüber kann man auch diskutieren.
Wie hat das Linkedin-Netzwerk auf den Post reagiert?
Überwiegend gut. Der Post ist ein bisschen viral gegangen, er hat mehr als 36.000 Impressions und rund 380 Reaktionen erhalten. Ich habe eine einzige kritische Nachricht von einer Technikerin bekommen. Sie hat mich gefragt, was ich mir mit dem Posting erlaube, da ich Sachen suche, die ich noch gar nicht gemacht habe. Ich habe ihr dann zurückgeschrieben: Nur weil ich etwas noch nicht gemacht habe, heißt es noch lange nicht, dass ich es nicht kann.
Apropos Können – müssen die Jobsuchenden nicht auch erst lernen, wie sie eine Stellenanzeige schreiben?
Sie müssen ja nicht direkt etwas schreiben. Jeder hat sein Smartphone. In zwei Minuten ist ein Video damit gemacht, bei dem man in die Kamera spricht und sagt, was man sucht und welche Talente man mitbringt. Das lässt sich ganz einfach gestalten. Zudem würden sich die Jobsuchenden so wirklich genau überlegen, was sie eigentlich wollen, wonach genau sie suchen. Beispielsweise welche Arbeitskultur sie haben wollen und was sie lernen möchten. Außerdem sehen sie sich so vielleicht auch eher als Teil des Recruiting-Prozesses an.
Ist das für Personalerinnen und Personaler gut?
Natürlich. Es ist nicht nur HR fürs Recruiting verantwortlich – das gilt für CEOs, Mitarbeitende, aber auch die Jobsuchenden selbst. Wäre dies allen Seiten klar, würden auch alle profitieren. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel verdeutlichen: Meinen letzten Job habe ich auch über einen Linkedin-Post bekommen. Damals hatte ich so etwas wie „Wir haben Montagmorgen und mir ist langweilig und ich würde gerne Das und Das machen“ geschrieben. Das hat der Chief Digital Officer meines ehemaligen Arbeitgebers gelesen und mich kontaktiert. Für diese Art des Jobmatchings muss es aber eine gewisse Offenheit auf beiden Seiten geben. Für Personalerinnen und Personaler bringt dieser Einstellungswandel einige Vorteile: HR spart sich damit sehr viel Arbeit – und auch Geld für die Schaltung einer Stellenanzeige.
Soll Reverse Recruiting zukünftig nur in den sozialen Medien stattfinden?
Social Media hat ein großes Problem. Es sind zwar viele Menschen da, aber nicht aktiv. Gerade auch, weil sie sonst mit Active-Sourcing-Anfragen überschüttet werden. Das heißt aber nicht, dass sie nicht offen für neue Jobangebote sind. Dafür wäre eine andere Plattform nötig. Meines Wissens gibt es diese Plattform, die Recruiting konsequent umdreht, noch nicht. Das könnte ein profitables Business-Modell sein.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.