Frage an die HR-Werkstatt: „Wie können wir unseren Recruiting-Prozess – insbesondere die Personalauswahl – mit Videos unterstützen?“
Es antwortet: Dimitri Knysch. Managing Director für die DACH-Region bei Cammio
Grundsätzlich können Sie Videos für drei verschiedene Varianten nutzen: Video-Stellenanzeigen, Video-Bewerbungen und Video-Interviews, wobei es von den Letztgenannten zwei verschiedene Ansätze gibt: live- und zeitversetzt.
Variante 1: Nutzen Sie Video-Stellenanzeigen
Aus dem E-Commerce wissen wir, dass es bis zu 85 Prozent (je nach Studie) wahrscheinlicher ist, dass ein Produkt gekauft wird, wenn es per Video anstatt durch Bild und Text präsentiert wird. Interne Erhebungen und unsere Erfahrungen im Recruiting-Kontext ergeben, dass sich eine Einbindung authentischer Video-Inhalte (dazu später mehr) in ca. 100 Prozent höheren Bewerberzahlen widerspiegelt.
Hierzu berichtet der Blog Saatkorn über das prominente Beispiel von Aldi Süd. Demnach hat sich das HR-Team dazu entschieden, die Suche nach dem künftigen CHRO selbst in die Hand zu nehmen und die Erwartungen an den künftigen Stelleninhaber in einem Kurzvideo zu formulieren und auf LinkedIn zu posten. Das Ergebnis: Bereits nach der ersten Woche hat das Unternehmen 50 Bewerbungen und Empfehlungen erhalten, 18 dieser Kandidaten wurden von Aldi Süd als „A-Kandidaten“ bewertet. Ein herausragendes Resultat, wenn man bedenkt, wo Kosten und Ergebnisse bei Personalberatungen liegen, die üblicherweise für Besetzungen auf diesem Level beauftragt werden.
Praxistipps:
- Candidate first! Was möchte der Interessent über eine Stelle wissen und von wem? Für einen angehenden Azubi kann es beispielsweise interessant sein, die Agenda des Ausbildungsleiters kennen zu lernen und Erfahrungsberichte von anderen Azubis und bereits Ausgelernten zu hören. Das bedeutet vor allen Dingen:
- Beziehen Sie die Fachbereiche mit ein. Sie sind letztendlich diejenigen, die Kandidaten suchen und Gesicht zeigen sollten.
- Authentizität vor Hochglanz: Schaffen Sie Augenhöhe zum Kandidaten und senken Sie Hemmschwellen, indem Sie auf aufwändige Produktionen verzichten. Filmen Sie beispielsweise mit Ihrem Smartphone und versuchen Sie einfach, Sie selbst zu sein.
- Erreichen Sie die Kandidaten dort, wo sie sind. Wenn man den Weg geht, Videos aufzunehmen, sollte man sie auch dort ausspielen, wo Sie die passenden Kandidaten vermuten. Egal, ob auf Instagram, Facebook oder LinkedIn.
Variante 2: Ermöglichen Sie Video-Bewerbungen
Vereinfacht gesagt handelt es sich um die Möglichkeit für die Kandidaten, sich (idealerweise auf eine Video-Stellenanzeige hin) direkt mit einem Video zu bewerben. Ob die Unternehmen dabei zusätzliche Unterlagen anfordern, ist fallabhängig. Bei bestimmten Positionen (Azubis, Aushilfen, Vertrieb, LKW-Fahrer) setzen einige unserer Kunden zunächst auf die reine Bewerbung per Video.
Praxistipp: Haben Sie den Mut, auf Video zu vertrauen. Der Reiz einer Video-Bewerbung liegt in ihrer Einfachheit. Braucht man bei einem Azubi einen Lebenslauf? Was steht bei einem 16-jährigen in den meisten Fällen Interessantes darin?
Der Aufruf zu einer Video-Bewerbung sollte natürlich in Form einer Video-Botschaft erfolgen. Sagen Sie kurz „hallo“, stellen Sie sich kurz vor und bitten Sie den Kandidaten darum, es Ihnen gleich zu tun.
Variante 3: Setzen Sie auf zeitversetzte Video-Interviews
Zeitversetzte Videointerviews unterscheiden sich von Video-Bewerbungen prozessual darin, dass sie nicht im Bewerbungs- sondern im Auswahlprozess erfolgen. Sie folgen einer einfachen Logik: Unternehmen nehmen eigene Fragen auf Video auf und laden den Bewerber dazu ein, diese innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne (zum Beispiel einer Woche) per Video zu beantworten. Manche Unternehmen beschränken sich darauf, Text-Fragen zu stellen, um
Video-Antworten von Kandidaten zu bekommen – dies widerspricht aber dem
Prinzip der Augenhöhe und wird von den Kandidaten weniger gut
angenommen.
Diese Spielform hat mehrere Vorteile:
- Geschwindigkeit: Fachbereich, Recruiter und Kandidaten können schneller, da zeitlich unabhängig voneinander, agieren.
- Effizienz: Das Verfahren ist – sobald die Fragen formuliert worden sind – weitgehend automatisiert und doch persönlich.
- Bessere Einstellungen: Durch die Effizienz des Verfahrens können mehr Kandidaten zu einem Interview eingeladen werden, da der Recruiter/Fachbereich nach maximal fünf Minuten (gute Fragen vorausgesetzt) einen validen, ersten Eindruck von dem Kandidaten erhält. So werden oft vermeintliche B-Kandidaten zu A-Kandidaten, weil ein Mensch nun einmal mehr als die Summe seiner Unterlagen ist.
- Fairness/Objektivität: Dadurch, dass alle Bewerber für eine Stelle den gleichen, strukturierten Prozess durchlaufen, ist eine bessere Vergleichbarkeit und somit Fairness gewährleistet.
Praxistipps:
- Beziehen Sie nach Möglichkeit die Fachbereiche mit ein.
- Was möchten Sie von ihrem Kandidaten wirklich wissen? Das ist ein wichtiger Punkt, denn Ihre Möglichkeiten sind dank Video praktisch unbegrenzt. Möchten Sie wissen, ob ein Kandidat Englisch beherrscht und die im BWL-Studium gelernten Inhalte transferieren kann? Zeigen Sie ihm drei Bilanzen und fragen Sie ihn auf Englisch, in welches Unternehmen er investieren würde und warum.
- Präsentieren Sie sich und Ihr Team! Begrüßen Sie gemeinsam den Kandidaten, stellen Sie sich als Team vor, nehmen Sie ihm die Nervosität und nutzen Sie die Chance, Ihre Vorzüge als Arbeitgeber zu präsentieren.
- Entfliehen Sie der Beliebigkeit. Spielen Sie mit Humor, zeigen Sie Kante, wagen Sie es auch ruhig, Outtakes von den Dreharbeiten zu Ihren Videos zu zeigen!
- Machen Sie es sich und Ihren Kandidaten möglichst einfach: Entscheiden Sie sich für ein Tool, das mit Ihrem Bewerbermanagementsystem kompatibel ist. Dann laufen die Videos der Kandidaten in die Kandidatenakte ein und Sie müssen nicht parallel in zwei Systemen arbeiten. Wählen Sie zudem eine Software, die Web- und nicht App-basiert ist. Niemand möchte eine App runterladen müssen, um sich zu bewerben.
Noch ein Hinweis zu Video-Interviews
Aktuell boomt die Nutzung von frei verfügbaren Video-Conferencing-Tools wie Zoom. Es liegt jedoch in der Verantwortung von HR, den eigenen Anspruch an Datenschutz und Qualität sicherzustellen und über die Nutzung einer Software nachzudenken, die eigens dazu konzipiert worden ist. Denn um Kandidaten zu interviewen und zu bewerten, braucht es auch die entsprechende Rechtssicherheit und Datenschutzkonformität.
Autor
Dimitri Knysch ist Managing Director für die DACH-Region bei Cammio und hat zuvor in einer Personalberatung und im Inhouse-Recruiting der METRO gearbeitet.
www.cammio.de
Kontakt: dimitri@cammio.com