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Probezeit für Arbeitgeber

Viele bunte Fragezeichen

Fachkräftemangel? Meist steckt ein anderes Problem hinter dem Begriff. Seit einigen Jahren geht Softgarden in seinen Bewerberumfragen den tatsächlichen Herausforderungen im Recruiting auf den Grund. Die Überzeugung dahinter: Wer in kandidatenorientierten Märkten die passenden Bewerber für sich gewinnen will, muss die Perspektive der Kandidaten auf Bewerbungs- und weitere Personalprozesse kennen. Im Hinblick auf das Thema Onboarding offenbart der Blick in die Erfahrungswelt der Kandidaten in der aktuellen Umfrage Erstaunliches. Arbeitgeber vergeuden aktuell ihre Ressourcen in mangelhaften Einarbeitungsprozessen. Dabei sind die ersten 100 Tage im Job aktuell eigentlich eine Probezeit für Arbeitgeber, denn Mitarbeiter haben heute die Wahl. Worauf kommt es aus Sicht der Bewerber an, wenn Unternehmen hier einen guten Job machen wollen?

1. Onboarding als Bestandteil von Recruiting

Fakt: 11,6 Prozent der Teilnehmer haben schon einmal während der ersten 100 Tage den Job gekündigt. Wie die Kommentare der Teilnehmer zeigen, ist die Quote der gescheiterten Einarbeitungsprozesse weitaus höher, wenn wir über die ersten 100 Tage hinausblicken. Weitere 15,7 Prozent standen während der ersten Tage gedanklich schon einmal kurz vor einer Kündigung. Davon sind viele erst dann gegangen, wenn sie es sich leisten konnten. Die am häufigsten genannten Gründe für die Kündigung sind „schlechte Einarbeitung“, „falsche Versprechungen“ und das „Verhalten der Vorgesetzten“.

Transfer: Der Recruiting-Prozess ist insbesondere auf kandidatenorientierten Märkten nicht mit der Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag abgeschlossen. Jetzt müssen die Einsteiger aufs Neue gewonnen werden, wenn das Unternehmen tatsächlich von der Investition profitieren möchte, die das Recruiting eines neuen Mitarbeiters darstellt. Das bedeutet: Gute OnboardingProzesse sind aktuell ein Muss – und ein wesentlicher Bestandteil des Recruitings. 

2. Realistische Jobvorschau

Fakt: 33,9 Prozent der Bewerber machen die Erfahrung, dass Jobs in Bewerbungsverfahren (zum Beispiel in Stellenanzeigen und Vorstellungsgesprächen) besser verkauft werden, als es die nachfolgende Praxis hergibt. 

Transfer: Die Gewohnheit, Kandidaten das Blaue vom Himmel zu versprechen, entspringt einer eigentümlichen Vorstellung von Personalmarketing beziehungsweise Employer Branding. Denn es geht hier nicht um Abverkauf, sondern um Passung. Die Ende Januar 2018 veröffentlichte Stellenanzeigenumfrage von Softgarden zeigt, dass sich Bewerber mehr Transparenz und Realismus bei der Darstellung der künftigen Aufgabe wünschen. Arbeitgeber sollten diesem Wunsch im Sinn einer realistischen Vorschau auf den Job entsprechen. Denn das Gegenteil führt zu Fehleinstellungen. 

3. Maßnahmen zwischen Vertragsunterschrift und Arbeitsantritt

Fakt: Welche Bindungsmaßnahmen sind aus Sicht der Bewerber in der Zeit zwischen Jobzusage und Arbeitsbeginn besonders wichtig? Die Teilnehmer wurden dazu gebeten, sieben Maßnahmen in eine Reihenfolge nach Wichtigkeit zu bringen. Die ersten drei Plätze belegen: 1. Der Arbeitsvertrag liegt nach der Jobzusage schnell vor. 2. Der Kandidat kann an einer zentralen Veranstaltung für Neueinsteiger teilnehmen. 3. Der Vorgesetzte hält Kontakt, indem er anruft oder sich mit dem Kandidaten trifft. Zum Vergleich: Auf dem letzten Platz landet die Einladung zu Teamaktivitäten wie etwa dem Bier nach Feierabend. Worauf treffen diese Prioritäten in der Praxis der Unternehmen? Bei 86,2 Prozent der Teilnehmer liegt der Arbeitsvertrag schnell vor, nur 19,2 Prozent können an einer zentralen Veranstaltung für Neueinsteiger teilnehmen und 45,5 Prozent machen die Erfahrung, dass der künftige Vorgesetzte Kontakt hält.

Transfer: Die Bewerbung endet aus Sicht der meisten Bewerber, wenn der Arbeitsvertrag vorliegt und der Vertrag von beiden Seiten unterschrieben ist. Dann können zum Teil noch viele Monate bis zum ersten Tag im neuen Job vergehen. Zeit genug, um es sich anders zu überlegen. „Kollege kommt nicht“, beschrieb eine Tageszeitung das Phänomen. Es tritt besonders häufig auf, wenn Arbeitgeber verzweifelt nach Kandidaten suchen. Ein wichtiges Hygienekriterium ist in dieser Hinsicht das rasche Vorliegen des Arbeitsvertrags, was 13,8 Prozent der Unternehmen nicht hinbekommen. Mit dem Angebot einer Teilnahme an einer zentralen Veranstaltung und der Kontaktaufnahme durch den Chef in spe vor Arbeitsantritt können Arbeitgeber einen Unterschied im arbeitgeberseitigen Wettbewerb machen: Beide Maßnahmen werden von den Kandidaten hoch priorisiert, jedoch nur von einer Minderheit der Arbeitgeber durchgeführt. In kleineren Unternehmen kann eine persönliche Einladung auf einen Kaffee die zentrale Veranstaltung gut ersetzen.

4. Maßnahmen in den ersten 100 Tagen

Fakt: Welche Onboarding-Angebote sind aus Sicht der Bewerber in den ersten 100 Tagen besonders wichtig? Hier treten drei Maßnahmen besonders hervor: 1. Es steht ein persönlicher Ansprechpartner unter den Kollegen zur Verfügung. 2. Der neue Mitarbeiter wird den Kollegen am ersten Tag offiziell vorgestellt. 3. Das Unternehmen legt einen konkreten Einarbeitungsplan vor. Zum Vergleich: Auf dem letzten Platz landet die Teilnahme an einem Programm zu Werten oder Diversity. Auch hier wurde wieder der Praxis-Check durchgeführt. Demzufolge steht 57,3 Prozent der Neueinsteiger ein Kollege als persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung. 75,0 Prozent werden den Kollegen am ersten Tag offiziell vorgestellt und nur 32,0 Prozent erhalten einen konkreten Einarbeitungsplan. 

Transfer: Mit dem ersten Tag im Job beginnt eine neue
Phase, nun müssen sich Arbeitgeber in der Praxis bewähren.
Das ist die Aufgabe des Onboardings auf engen
Kandidatenmärkten. Der Abgleich zwischen Prioritäten
und Praxis offenbart gravierende Defizite. Positiv im
arbeitgeberseitigen Wettbewerb können solche Unternehmen
auffallen, die Jobeinsteiger einen detaillierten
Einarbeitungsplan vorlegen und sie so weich landen
lassen. Das wird nicht einmal von einem Drittel der
Unternehmen angeboten.

5. Feedback in der Onboarding-Phase

Fakt: Gelungenes Onboarding ist eine Frage der Kommunikation.
Feedback spielt eine große Rolle, wenn
beide Seiten ihre Probezeit gut meistern möchten: Ist
der Arbeitgeber mit meiner Arbeit zufrieden? Was
kann ich besser machen? Fühlt sich der neue Mitarbeiter
im Team wohl? Kann er die eigene Arbeit gut erledigen?
Feedback geben möchten neue Mitarbeiter vor allem
im Gespräch mit der Führungskraft (68,0 Prozent),
im Hinblick auf die Personalabteilung sind es noch
24,7 Prozent. Immerhin 52,3 Prozent können sich vorstellen,
dem Arbeitgeber anonym mithilfe eines OnlineTools
Feedback zu geben. Feedback erhalten möchten
Neueinsteiger in den ersten 100 Tagen vor allem im
Gespräch mit der Führungskraft (76,4 Prozent) und
den Kollegen (58,9 Prozent), mit großem Abstand folgen
Kunden (30,6 Prozent) und Personalabteilung
(28,7 Prozent).

Transfer: Was vielfach als Charakteristikum der jüngeren Generation beschrieben wurde, gilt offensichtlich für einen großen Teil der Mitarbeiter insgesamt (das Durchschnittsalter in der Befragung liegt bei 36 Jahren): Alle wollen Feedback – besonders in den ersten 100 Tagen im Job. Regelmäßige Gespräche mit den Führungskräften können Fehlverhalten und Fehlentwicklungen minimieren und die Einarbeitung verbessern – gerade in der Anfangszeit. Auch über den Einsatz eines Online-Tools sollten Arbeitgeber nachdenken, um Feedback zum Einarbeitungsprozess systematisch zu erheben, zu überwachen und den Prozess so langfristig zu optimieren.

Fazit: Nach dem Recruiting ist vor dem Recruiting. Mit der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag müssen Arbeitgeber die Neuen immer noch für sich gewinnen. Die oder der Neue ist eine Bereicherung, auf die sich alle freuen, und keine Belastung. Stimmt diese Grundhaltung, sollten genug Ressourcen für die Einarbeitung bereitstehen. Dabei geht es darum, Unsicherheit bei den Kandidaten zu minimieren, die Potenziale der Neueinsteiger zu nutzen und Wertschätzung zu signalisieren – in den Prozessen ebenso wie im Verhalten der beteiligten Personen. Aktuell können nur 44,2 Prozent der Neueinsteiger erkennen, dass sie wertgeschätzt werden und willkommen sind. Führungskräfte und Kollegen spielen hier eine besondere Rolle. Unternehmen sollten Führungskräfte und Kollegen für das Thema Onboarding gezielt einstimmen (Rollen), befähigen (Qualifizierungen) sowie in die Pflicht nehmen
(Zielvereinbarungen).

von: Mathias heese, Geschäftsführer, softgarden e-recruiting Gmbh, Berlin, mathias.heese@softgarden.de