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Unsinniges Ritual

Ergeben Arbeitszeugnisse noch einen Sinn? Laut einer neuen Studie sind sie weitgehend nutzlos.
Foto: © dessauer/Fotolia.de
Ergeben Arbeitszeugnisse noch einen Sinn? Laut einer neuen Studie sind sie weitgehend nutzlos.
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Ein einfaches Arbeitszeugnis enthält Aussagen zu Art und Zeitdauer der ausgeübten Tätigkeit. Verlangt es der Arbeitnehmer, muss das Unternehmen auch Aussagen über die Leistungen und das Verhalten des scheidenden Mitarbeiters aufnehmen. 62,9 Prozent der Firmen erstellen auch ohne explizite Aufforderung ein qualifiziertes Zeugnis, in großen Firmen ist das häufiger der Fall als in kleinen.

Individualität des Mitarbeiter kaum berücksichtigt

Nur noch 7,3 Prozent der Arbeitszeugnisse werden individuell angefertigt. 41,7 Prozent der Unternehmen verwenden PC-gestützte Zeugnisgeneratoren, 27,1 Prozent nutzen selbst erstellte Textbausteine und 24 Prozent greifen auf Textbausteine aus Literatur oder Internet zurück. Damit werden Arbeitszeugnisse der Individualität des einzelnen Mitarbeiters nur sehr eingeschränkt gerecht, kritisieren die Forscher Steffi Grau und Prof. Dr. Klaus Watzka vom Fachbereich Betriebswirtschaft der > Ernst-Abbe-Hochschule Jena, die die Studie „Arbeitszeugnisse in Deutschland – Kritische Analysen zur Erstellung und zur Nutzung in der Personalauswahl“ erstellt haben. Dafür werteten sie 97 Fragebögen von Zeugniserstellern und 89 von Zeugnisauswertern aus.

Die Studie zeigt, dass es keine einheitliche und eindeutige Zeugnissprache gibt. Auch hat rund jeder zweite Zeugnisersteller keine Schulung für diese Tätigkeit erhalten, in kleinen Unternehmen sind es sogar 80 Prozent. Von den Zeugnisauswertern sind 53,9 Prozent ungeschult, in kleinen Betrieben 90 Prozent.

Oftmals von ungeschultem Personal lieblos zusammengeschustert – auf der anderen Seite oft nur oberflächlich zur Kenntnis genommen,

lautet das vernichtende Urteil der Forscher zu Arbeitszeugnissen.

Konflikt zwischen Wahrheit und Wohlwollen

Als gravierendstes Problem neben der mangelnden Individualität des Zeugnisses gaben die befragten Zeugnisersteller den Konflikt zwischen Wahrheit und Wohlwollen an. Viele Unternehmen thematisieren schwache Leistungen oder negatives Verhalten des Mitarbeiters überhaupt nicht im Zeugnis. Oft dominiert die Angst vor (rechtlichen) Auseinandersetzungen  die Pflicht zur Wahrheit. Lediglich die Hälfte der Unternehmen stuft die Aussagekraft der von ihnen selbst erstellten Zeugnisse als hoch oder sehr hoch ein. Man entledigt sich vielfach nur einer Pflichtaufgabe, so die Studie, und hat den späteren Zeugnisleser nicht im Blick.

Bei der Personalauswahl nutzt die Hälfte der Unternehmen die Arbeitszeugnisse nur weniger intensiv, kaum oder gar nicht. 54 Prozent lesen ein Arbeitszeugnis nicht komplett durch. Der wichtigste Bestandteil und Vorteil von Arbeitszeugnissen ist die Tätigkeitsbeschreibung. Immerhin 54,5 Prozent  der Unternehmen lehnen Bewerber wegen schlechter Zeugnisse manchmal ab; 30,6 Prozent jedoch tun das selten oder nie. Nur gut ein Viertel (27 Prozent) der befragten Zeugnisanalytiker schätzt die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen für die Personalauswahl als hoch ein. Die Nachteile liegen nach Ansicht der Befragten in der eingeschränkten Wahrheit und Aussagenpräzision aufgrund der Zeugnissprache.

Zeugnispraxis veränderungsbedürftig

Die Forscher aus Jena kommen anhand der Befragungsergebnisse zu dem Schluss, dass die Anfertigung von Arbeitszeugnissen in Deutschland über weite Strecken „zu einem relativ sinnfreien Ritual mutiert“ sei. Die Zeugnispraxis samt ihrer gesetzlichen Grundlagen sei dringend veränderungsbedürftig, wenn das Dokument bei der Personalauswahl von Nutzen sein soll.

Als radikalste Lösung empfehlen die Studienautoren, die Zeugnispflicht komplett abzuschaffen. Ansonsten solle die gesetzliche Zeugnispflicht auf eine aussagekräftige Darstellung der ausgeübten Tätigkeiten beschränkt werden. Falls man jedoch auf wertende Aussagen zu Leistung und Verhalten nicht gänzlich verzichten wolle, sollten sie anhand eines vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterienkatalogs getroffen werden. Diese Standardisierung würde zu einer stärkeren Vereinheitlichung und damit einer besseren Vergleichbarkeit von Arbeitszeugnissen führen.