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Weg vom Akademiker-Geschwafel!

Foto von einem Monitor, mit den Worten
Bild: kickers/istock

Wenn man sich die Berufsfelder ansieht, in denen Unternehmen aktuell Arbeitnehmer verzweifelt suchen, stehen längst nicht mehr nur Ingenieure und ITler oben auf der Liste. Laut Bundesagentur für Arbeit haben derzeit Lokomotivführer, Klempner, Pflegekräfte und Mechatroniker die längsten Vakanzdauern bei der Besetzung. Bei den Lokomotivführern sind es zum Beispiel 188 Tage – zum Vergleich: Positionen für Humanmediziner (ebenfalls ein Mangelberuf) bleiben derzeit im Durchschnitt 127 Tage unbesetzt.

Nicht akademische Fachkräfte bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, mit ihnen steht und fällt die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die bisherige Praxis des sogenannten „Employer Brandings” ist für diese Zielgruppen nicht zu gebrauchen. Denn dessen Theorie und kommunikative Praxis sind ausschließlich mit Blick auf Akademiker entwickelt worden.

Ein Blick in einige der zahlreichen Publikationen und Grundlagenwerke zum Thema, die seit dem Aufstieg des Begriffs „Employer Branding” im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden, zeigt: Die Employer-Branding-Theorie und -Praxis wurde von Beginn an mit Blick auf akademische Zielgruppen entwickelt. Kein Wunder, dass der kommunikative Output dann auch so klingt: „Erstklassige Karrierechancen”, „führende Unternehmen” und „hervorragende Perspektiven” so weit das Auge reicht. Die endlos wiederholten Versprechen von glanzvollen „Karrieren“ in „international führenden” Unternehmen – natürlich inmitten strahlend schöner Kollegen – gehen an den Bedürfnissen und Erwartungen der allermeisten Fachkräfte im nicht akademischen Bereich völlig vorbei. Statt Differenzierung hat Employer Branding insgesamt zu viele identische Werbeslogans produziert.

Für Fachkräfte mit Berufsausbildung müssen sich Employer Branding und Recruiting in den zunehmend wettbewerbsorientierten Märkten für Nichtakademiker also neu erfinden. Dazu fünf Thesen.

1. Fachkräfte mit Berufsausbildung sind für Personaler ein blinder Fleck.

Recruiter sind häufig selbst Akademiker, ihnen ist die Lebenswelt von nicht akademischen Fachkräften fremd. Und zum Einlesen gibt es kaum etwas: Grundlagenstudien und Bücher zum Thema fehlen. Über die Arbeitgeberpräferenzen bei Fachkräften im Fahrbetrieb, Facharbeitern in der Automobilindustrie oder Pflegekräften wissen wir so gut wie nichts. Was ist einer Krankenschwester wirklich wichtig im Berufsleben, nach welchen Kriterien wählt sie ihren Arbeitgeber aus? Ihr vorrangiges Ziel ist es sicher in den meisten Fällen nicht, „Karriere“ zu machen. Suchen Fachkräfte wirklich nach einer „anspruchsvollen Herausforderung mit Perspektive“ oder nach „großen Gestaltungsmöglichkeiten”, wie es in aktuellen Stellenangeboten für Nichtakademiker heißt? Unternehmen recyceln bei Fachkräften ihre seit Jahrzehnten auf akademi- sche Zielgruppen abgefeuerten Leistungsversprechen, Begriffe und Bilder. Das geht an den Bedürfnissen der Zielgruppen vorbei.

2. Die Arbeitgebermarkenbildung muss bei Nichtakademikern wesentlich zielgruppenorientierter werden.

Die Rede ist hier ganz bewusst von „Zielgruppen” im Plural. Schon bei den Akademikern gelingt die Ansprache von Betriebswirten, Naturwissenschaftlern und ITlern nicht mit einem kleinsten gemeinsamen Nenner. Die generische Karrierekommunikation geht aber besonders bei den Fachkräften mit Berufs- ausbildung an den individuellen Vor- stellungen der einzelnen Zielgruppen vorbei. In vielen Stellenanzeigen und Karriereseiten lesen Bewerber derzeit nur die handelsüblichen Phrasen und keine ehrlichen Vorzüge. Die meisten Texte sind völlig austauschbar und inhaltlich nicht auf die Zielgruppe abgestimmt. Wann fühlen sich Lokführer in ihrem Job wohl? Was wollen Busfahrer oder Pflegekräfte? Die Frage nach den Attraktivitätstreibern ist nicht profilübergreifend zu beantworten und setzt eine Menge Recherche voraus. Erst nach einer soliden Analyse und einem systematischen „Blick in die Köpfe” kann die Arbeitgeberkommunikation tatsächlich nicht akademische Fachkräfte überzeugen.

3. Employer Branding für Fachkräfte findet meist regional statt.

Regionalität spielt besonders für nicht akademische Fachkräfte eine große Rolle. Die Kassiererin sucht in ihrer Region nach einem Job – nicht bundesweit, und erst recht nicht international. Schon unter Akademikern in Deutschland ist die Mobilität nicht besonders groß – bei den nicht akademischen Fachkräften ist sie noch einmal deutlich geringer. Kein Krankenpfleger wird von Nürnberg nach Köln, keine Busfahrerin von Essen nach Berlin ziehen, wenn sie nicht private Gründe treiben oder ihre Arbeitgeber in spe ihnen handfeste Argumente dafür liefern. Denn sie haben in immer mehr Mangelberufen heute die Wahl – auch vor der eigenen Haustür.

4. Fachkräfte werden künftig vor allem mobil gewonnen.

Viele Arbeitgeber haben die Digitalisierung bislang verpasst. Sie schalten eine Stellenanzeige in der regionalen Tageszeitung und sind über mangelnde Resonanz enttäuscht. Viele Unternehmen haben das schon immer so gemacht und sind bis heute überzeugt, dass sie potenzielle Mitarbeiter weiterhin auf diese Weise erreichen. Und ja, früher mag das funktioniert haben. Doch heute ist die Konsequenz mangelnde Sichtbarkeit der Stellenanzeigen bei den Zielgruppen. Denn Fachkräfte suchen heute nicht nur online nach Jobs, fast neun von zehn (87 Prozent) suchen auch mobil nach Stellenanzeigen – mit ihrem Smartphone. Für Unternehmen, die Fachkräfte mit Berufsausbildung suchen, ist es deshalb wichtig, ihr Angebot mobil zu optimieren. Sonst erreichen sie nur einen Bruchteil der Wechselwilligen.

5. Schlankere Bewerbungen sind die Zukunft des Online-Recruitings für Nichtakademiker.

Noch aus der Historie analoger Bewerbungsverfahren stammt das Beharren der Recruiter auf der „vollständigen Bewerbung” als erstem entscheidenden Kontaktpunkt zwischen Bewerbern und Unternehmen. Bei einem sich verknappenden Angebot an nicht akademischen Fachkräften wird dieser Schritt zur Erfolgshürde: Die schriftliche Selbstpräsentation ist für sie in der Regel mühsamer und ungewohnter als für Akademiker. Unternehmen mit großem Bedarf an Fachkräften mit Berufsausbildung sollten daher auf den mobilen „schnellen Draht” in Form von Kurzbewerbungen setzen. Diese Möglichkeiten werden Bewerbern bislang noch viel zu wenig geboten. Den Unternehmen gehen auf diese Weise wertvolle Kandidaten verloren.

Autor: Georg Konjovic, Geschäftsführer, meinestadt.de, Köln, georg.konjovic@meinestadt.de

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