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Aktienhalteverpflichtungen als ­Instrument zur Incentivierung von Aufsichtsräten

Herr Dr. Dörrwächter, für die Bezüge von Aufsichtsräten lassen sich eine Abkehr von variablen Vergütungselementen und eine Fokussierung auf die fixe Vergütung beobachten. Wie stark hat sich der Trend verfestigt?

Jan Dörrwächter: Wir sehen in der Vergütung von Aufsichtsräten einen überaus deutlichen Trend weg von variablen Elementen und damit eine Konzentration auf die fixe Vergütung. So gewährt heute die Mehrzahl der börsennotierten Unternehmen in Deutschland den Mitgliedern ihres Aufsichtsrats eine reine Festvergütung.

 

Vor allem DAX-Konzerne haben die Entwicklung angestoßen.

Jan Dörrwächter: So ist es. Im DAX sahen im Geschäftsjahr 2019 nur noch fünf Unternehmen eine – auf einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage beruhende – erfolgsabhängige Vergütung vor, davon nur ein Unternehmen aktienbasiert. Ein ähnliches Bild ergibt sich im MDAX: Hier enthielt im Geschäftsjahr 2019 nur in neun Unternehmen die Vergütung des Aufsichtsrats einen variablen Bestandteil.

 

Was sind die konkreten Einwände gegen eine variable Vergütung von Aufsichtsräten?

Jan Dörrwächter: Gegen eine variable Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern wird – auch in der Folge des sogenannten Mobilcom-Urteils des BGH von 2004 – immer wieder eingewandt, dass diese mit der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats nicht vereinbar sei, insbesondere wenn sie zu einer Angleichung der Vergütungsinteressen von Vorstand und Aufsichtsrat führe. Auch sei der Überwachungs- und damit Arbeitsaufwand der Aufsichtsrats gerade in schlechten Zeiten besonders hoch, weshalb eine Vergütungsminderung nicht gerechtfertigt sei.

 

Teilen Sie diese Bedenken?

Jan Dörrwächter: Nur teilweise. Gegen das Aufwandsargument spricht jedenfalls der Vergleich mit dem Vorstand, der in einer solchen Situation trotz ebenfalls stärkerer Belastung in der Regel eine Verringerung seiner variablen Vergütung hinnehmen muss, und zwar zu Recht. Die gegenwärtige wirtschaftliche Krise aufgrund der Corona-Pandemie ist ein gutes Beispiel hierfür.

 

Warum aber sollen die Aufsichtsratsmitglieder, wenn die Vergütung des Vorstands, der Führungskräfte und weiterer Mitarbeitergruppen aufgrund einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens sinkt, von alldem nicht betroffen sein?

Jan Dörrwächter: Das ist eine berechtigte Frage. Allerdings stehen Investoren einer variablen Aufsichtsratsvergütung oft kritisch bis ablehnend gegenüber und prägen damit die Marktpraxis. Zudem ist eine Vergütung von Aufsichtsräten mit Aktien oder Aktienoptionen in Deutschland gesetzlich nicht zulässig. Und auch entsprechende virtuelle Gestaltungen auf Basis des Aktienkurses sind zumindest juristisch umstritten.

 

Welche Alternativen bieten sich?

Jan Dörrwächter: Vor dem Hintergrund des Gesagten rückt ein anderes Instrument ins Blickfeld, um den Aufsichtsrat bzw. dessen Mitglieder an der Kapitalmarktperformance des Unternehmens teilhaben zu lassen: Aktienhaltevorschriften oder neudeutsch Share Ownership Guidelines.

 

Verpflichtungen zum Erwerb und Halten von eigenen Aktien haben sich in der Vorstandsvergütung bewährt.

Jan Dörrwächter: In der Tat, allein im DAX verfügen derzeit elf Unternehmen über entsprechende Regelungen, im MDAX sind es vier. In einer Reihe weiterer Unternehmen existieren darüber hinaus Aktienkaufverpflichtungen im Zusammenhang mit der variablen Vergütung, zum Beispiel als Teilnahmevoraussetzung für die Langfristvergütung. Weitere Gesellschaften werden diesen Vorbildern folgen, zumal es in der Begründung zum neuen DCGK sinngemäß heißt, dass eine Verpflichtung zur Anlage von Vergütung in Aktien der Gesellschaft Bestandteil einer Share Ownership Guideline sein kann. Und Investoren verlangen häufig solche Aktienkaufverpflichtungen.

 

Zurück zu den Aufsichtsräten: Empfehlen Sie Aktienhaltevorschriften für deren Mitglieder und wie kann die Ausgestaltung aussehen?

Jan Dörrwächter: Mit Aktienhaltevorschriften erschließt sich für Unternehmen ein rechtskonformer und gleichermaßen wirksamer Weg der indirekten Incentivierung ihrer Kontrolleure. Für Aufsichtsräte bedeutet dies konkret, in einem bestimmten Umfang Aktien des überwachten Unternehmens mit eigenen Mitteln bzw. aus dem Zufluss ihrer Aufsichtsratsvergütung zu erwerben und für die Dauer ihres Mandats zu halten, zum Teil auch darüber hinaus. Unternehmen wie etwa Bayer, BASF, Daimler und RWE haben bereits derartige Regelungen für Aufsichtsräte eingeführt.

 

Das heißt, Aufsichtsratsmitglieder werden verpflichtet, Aktien des von ihnen kontrollierten Unternehmens zu erwerben. Wie genau ist diese Verpflichtung geregelt?

Jan Dörrwächter: Aktienkaufverpflichtungen für Aufsichtsratsmitglieder können in der Satzung geregelt werden. Der von der Mehrheit gewählte alternative Weg ist jedoch eine Selbstverpflichtung. Auch wenn diese im Gegensatz zu einer Satzungsbestimmung keine rechtliche Verbindlichkeit entfaltet, kann sie als Commitment der Aufsichtsratsmitglieder zum Erwerb und Halten von Aktien der Gesellschaft durchaus sinnvoll sein und ebenso den Zweck einer Angleichung der Interessen von Aufsichtsrat und Aktionären erreichen.

 

Über welche Dimensionen des Aktienerwerbs sprechen wir?

Jan Dörrwächter: Die Verpflichtung oder Selbstverpflichtung zum Erwerb und Halten von Aktien der Gesellschaft sollte ein gesundes Maß im Verhältnis zur in der Regel fixen Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder nicht überschreiten. Sonst könnte die Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats beeinträchtigt werden. Ferner gilt es, eine einseitige Ausrichtung auf die Aktienkursentwicklung und damit allein auf die Interessen der Shareholder als nur einer von mehreren Stakeholder-Gruppen zu vermeiden. Andererseits sollte auch ein gewisses Mindestmaß an Eigeninvestment verlangt werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

 

Was heißt das konkret?

Jan Dörrwächter: Nun, bis zu 25 Prozent der fixen Aufsichtsratsvergütung pro Jahr und insgesamt nicht mehr als das Ein- bis Zweifache einer Jahresvergütung. Ein solcher Rahmen wäre für Aktienhaltevorschriften bei Aufsichtsräten zielführend wie auch der Rolle angemessen.

 

Wird ARUG II die Marktpraxis bei Aktienhaltevorschriften für Aufsichtsräte beeinflussen?

Jan Dörrwächter: Sicherlich nicht unbedingt. Vor allem für börsennotierte Gesellschaften eröffnet sich mit Aktienhaltevorschriften aber die Möglichkeit, die Interessen des Aufsichtsrats mit denen der Aktionäre sinnvoll anzugleichen – ein Aspekt, der infolge von ARUG II und der hierdurch zum Obligo erhobenen regelmäßigen Befassung der Hauptversammlung mit der Vergütung des Aufsichtsrats an Gewicht gewinnen kann.