Unternehmen stehen derzeit vor mehreren Notwendigkeiten gleichzeitig: Zum einen zwingt sie der Arbeits- und Fachkräftemangel einmal mehr, attraktive Arbeitsbedingungen und Benefits zu bieten. Auf der anderen Seite befinden sie sich aufgrund der diversen Krisen in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, das sie zu einer sparsamen Ausgabenpolitik zwingt. Nicoletta Blaschke, Leiterin Health & Benefits bei WTW, zeigt Lösungen auf.
COMP & BEN: Beobachten Sie, dass Arbeitgeber bei monetären Benefits geizen? Oder bei Neueinstellungen noch mal genauer hinschauen, wem sie was bieten?
Nicoletta Blaschke: Unternehmen schauen sehr genau hin, denn sie stecken in einem Dilemma: Sie können nicht einfach Zusatzleistungen streichen, weil sie dann riskieren, Mitarbeitende zu verlieren. Auch müssen sie im Blick behalten, wie die Belegschaft von morgen aussieht und wie sie Talente gewinnen können. Ohne attraktive Benefits wird das schwierig. Das ist vielen Arbeitgebern bewusst, sodass sie eher Überlegungen anstellen, für welche Benefits sie Geld ausgeben. Die Bereitschaft, jetzt in die Tiefe der Benefits-Landschaft zu gehen und zu überprüfen, welche Leistungen wirklich genutzt werden, welchen Mehrwert sie für den Mitarbeiter bringen und ob sie auf die Unternehmensziele einzahlen, ist sehr hoch.
COMP & BEN: Welche Zusatzleistungen fallen dem Rotstift zum Opfer?
Nicoletta Blaschke: Das ist sehr unterschiedlich. Zunächst beobachten wir eine wachsende Bereitschaft von Unternehmen, ihre Benefits zu inventarisieren: Auf der Grundlage ihrer strategischen Ziele und veränderter Rahmenbedingungen wie Remote Working stellen sie die Nutzwertigkeit auf den Prüfstand. Ein Beispiel: Viele Unternehmen beschäftigten einen Betriebsarzt vor Ort. Wenn die Beschäftigten aber seltener im Büro sind, ist möglicherweise eine Tele-Health-Betreuung sinnvoller. Ähnliche Überlegungen gibt es beim klassischen Gesundheitstag. Erreicht man damit alle Mitarbeitenden, oder ist heutzutage ein Online-Angebot sinnvoller? Hinsichtlich ihrer personalstrategischen Ziele überprüfen Unternehmen, welche Benefits sie dabei sinnvoll unterstützen. Möchten sie vor allem die Fehlzeitenquote reduzieren, die Arbeitgebermarke stärken oder ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen zum Ausdruck bringen? Auf Basis der Antworten kombinieren sie dann ihre Zusatzleistungen neu oder streichen einige.
COMP & BEN: Akzeptieren Mitarbeitende Änderungen bei den Zusatzleistungen oder gar den Verlust liebgewonnener Benefits?
Nicoletta Blaschke: Nur dann, wenn es nicht wortlos geschieht. Wenn Unternehmen ihre Entscheidungen kommunizieren und begründen, wird dies in der Regel von Arbeitnehmern verstanden. Das gilt auch für schmerzliche Einschnitte: Arbeitgeber, die offen sagen, dass sie eine harte Zeit im Business erleben und deshalb die Benefits-Landschaft neu sortieren und auch sparen müssen, können damit rechnen, dass ihr Personal die Argumente akzeptiert.
COMP & BEN: Vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation sind monetäre Benefits in mittleren und unteren Gehaltsgruppen besonders beliebt beziehungsweise schlicht notwendig. Können sich Arbeitgeber erlauben, an dieser Stelle zu sparen? Was können Sie ihnen empfehlen?
Nicoletta Blaschke: Unternehmen müssen nicht immer zusätzliches Geld investieren, sondern sie können das bestehende Budget sinnvoller einsetzen. Die Gehaltsbudgets für 2023 sehen durchschnittlich eine Gehaltssteigetung von 4,5 Prozent vor, wie der aktuelle Salary Budget Planning Report von WTW zeigt. Unternehmen könnten beispielsweise 0,5 Prozent davon verwenden, um eine Leistung anzubieten, die von Arbeitnehmern nicht nur einmal bei der Lohnerhöhung positiv wahrgenommen wird, sondern einen direkt erlebbaren Mehrwert bietet.
COMP & BEN: Was ist ein erlebbarer Benefit?
Nicoletta Blaschke: Anders als traditionelle Zusatzleistungen wie ein Obstkorb oder kostenlose Getränke, die oft als selbstverständlich hingenommen werden, handelt es sich dabei um ein Benefit, der konkret auf eine Bedarfssituation zugeschnitten ist. So werden spezielle Gesundheitsleistungen von der Belegschaft als sehr unterstützend empfunden, weil sie merken, „mein Arbeitgeber kümmert sich“. Ein konkretes Beispiel: Der Anteil des Budgets, der nicht für die Gehaltserhöhung bestimmt ist, kann in eine kleine betriebliche Krankenversicherung für Vorsorge-Checks, Optical-Care-Leistungen oder für die Zahngesundheit fließen. Beschäftigte können sie dann bei Bedarf abrufen. Stark im Trend sind auch Budgettarife, bei denen Mitarbeitende selbst entscheiden, für welche Gesundheitsleistung sie ihr Budget verwenden möchten. Der Effekt dieser Leistungen verpufft nicht so schnell, im Gegenteil: Er wird hoch geschätzt. und entfaltet in Bedarfsfall eventuell sogar einen höheren Nutzen als die 0,5 Prozent Gehaltserhöhung, die zur Finanzierung dieser Leistungen aufgewendet wurden.
COMP & BEN: Haben Sie ein weiteres Beispiel für einen erfahrbaren Benefit?
Nicoletta Blaschke: Klassische EAP(Employee Assis-tance)-Programme leisten einen wertvollen Beitrag, um Arbeitnehmer in akuten Belastungssituationen zu unterstützen, wie etwa in beruflichen oder familiären Konfliktsituationen, finanziellen Schieflagen oder bei psychischen Problemen. Mit einem EAP nimmt der Arbeitgeber den Mitarbeitenden eine Sorge ab, indem er Expertinnen und Experten bereithält, die Lösungswege aufzeigen.
COMP & BEN: Die nicht monetären Benefits werden ebenso ins Feld geführt, wenn es um Attraktivitätsfaktoren eines Unternehmens geht wie beispielsweise flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten und Purpose. Haben diese das Potenzial, fehlende monetäre Benefits auszugleichen?
Nicoletta Blaschke: Nein, aber es geht nicht ohne sie. Letztlich muss Bewerbenden und Mitarbeitenden eine Kombination aus beiden Formen der Zusatzleistungen angeboten werden, da eben die nicht monetären Benefits die Kultur des Unternehmens widerspiegeln. Homeoffice, mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten erwarten Beschäftigte einfach – gerade nach den Erfahrungen in der Pandemie.
COMP & BEN: Arbeitnehmer sitzen derzeit am längeren Hebel. Was sagt Ihre Beratungspraxis: Scheitern in Unternehmen Einstellungen von Fachkräften oder Spezialisten daran, dass sie hinsichtlich der Erwartungen von Vergütung und Zusatzleistungen nicht zusammenkommen?
Nicoletta Blaschke: In den letzten anderthalb Jahren hören wir das verstärkt. Ein Grund dafür ist aber auch, dass im Bewerbermarkt Schnelligkeit entscheidet. Wenn Kandidaten registrieren, dass bei Vergütungsthemen noch zu viel zu klären ist, dann sind sie schon wieder weg.
COMP & BEN: Was raten Sie Arbeitgebern? Wie sinnvoll ist es aus ihrer Sicht, klare Grenzen zu setzen, wenn die Erwartungen der Kandidaten zu hoch sind beziehungsweise nicht zu den Werten des Unternehmens passen?
Nicoletta Blaschke: Zunächst einmal sollten die verantwortlichen Personen schnell und klar Aussagen treffen – über Vergütung, Zusatzleistungen und die Rahmenbedingungen des Arbeitens. Also: Was bieten wir über das Gehalt und Benefits hinaus an, wie beispielsweise flexible Arbeitszeiten, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Kinderbetreuung, Weiterbildung und Mobilitätsleistungen. Ebenso sollten sie typische Merkmale ihrer Unternehmenskultur kommunizieren, etwas agile Teams oder flache Hierarchien. Ein Hin und Her oder Aussagen wie: „Die Grundvergütung und Zusatzleistungen können wir individuell später noch klären“, bringen sie ins Aus.
COMP & BEN: Welche generationstypischen Erwartungen gibt es? Welche finanziellen und nicht finanziellen Werte überzeugen Mitarbeitende verschiedenen Alters?
Nicoletta Blaschke: Älteren Beschäftigten ist die Höhe der Grundvergütung zwar wichtig, aber sie schauen oft mehr auf Zusatzleistungen, wie zum Beispiel die bAV.
Für jüngere Kandidaten sind die Grundvergütung und Gesundheits-Benefits interessant, aber sie legen großen Wert auf die Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort. Wichtig sind ihnen auch ihr Karrierefortschritt, die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit sowie die Nachhaltigkeit des Unternehmens im Rahmen der ESG-Faktoren. Bei den materiellen Werten zählt eine gute IT-Ausstattung auch im Homeoffice.
COMP & BEN: Sollten Unternehmen, wenn sie zu Einsparungen gezwungen sind, lieber an Mobilitätsprogrammen sparen statt an BGM oder bAV?
Nicoletta Blaschke: Muss es denn das Unternehmen entscheiden? Diese Frage sollte individuell gelöst werden, das bedeutet: Jeder Mitarbeiter wählt sich über eine Benefits-Plattform die für ihn passende Lösung aus. Nicht jeder Benefit muss zwingend arbeitgeberfinanziert sein. Die Zukunft der Zusatzleistungen ist flexibel. Wenn ein Mitarbeiter selbst ein Benefit aussucht, wird es auch eher genutzt und gewertschätzt. Natürlich sind Mobilitätsprogramme weiterhin wichtig, jedoch mit geändertem Bedarf – vom Dienstwagen hin zu mehr klimafreundliche Alternativen.
COMP & BEN: Wie lautet Ihre Prognose: Müssen sich Arbeitgeber, um attraktiv zu bleiben, bei den monetären Benefits einem immer „höher, schneller, weiter“-Wettbewerb stellen?
Nicoletta Blaschke: Wir raten Unternehmen, sich nicht von diesem Sog treiben zu lassen, sondern mit Bedacht vorzugehen, gut auszuwählen und solide zu sein. Das Benefit-Design ist entscheidend, lieber Klasse als Masse. Auf der Basis der Core-Werte des Unternehmens sollten Arbeitgeber gezielt einige Signature-Benefits aussuchen, die gut angenommen werden und sich etablieren. Alles querbeet anzubieten, erwarten Beschäftigte gar nicht. Idealerweise sind die Zusatzleistungen mit der HR-Strategie verbunden. Entscheidend ist, dass eine Benefit-Landschaft festgelegt und auch richtig kommuniziert wird. Wir empfehlen, über Mitarbeiterbefragungen und statistische Auswertungen, die eine Benefits-Plattform ermöglicht, regelmäßig zu erheben, welche Leistungen wirklich wertgeschätzt werden. Dabei ist ein Abstand von zwei Jahren ratsam, um veränderte Bedürfnisse, die eben nicht beständig sind, wahrzunehmen.
COMP & BEN: Also nicht immer "höher, schneller, weiter", sondern gezielt anbieten und individuell auswählen lassen??
Nicoletta Blaschke: Um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, muss auch nicht für alles Geld in die Hand genommen werden. Leadership und Purpose sind starke Anreizfaktoren für Bewerbende. Genauso wie Jobsicherheit: Eine Karriereplanung für die nächsten Jahre vor Augen zu haben, zahlt auf das Konto Sicherheitsbedürfnis ein, ohne dass dies auf der Benefits-Plattform ersichtlich wird. Eine klare Business-Ausrichtung mit einer definierten HR-Strategie sowie eine ebenso klare Kommunikation sind die Voraussetzungen, dass Benefits als solche wahrgenommen werden und zur Mitarbeiterbindung beitragen.
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.