Geschätzte 6.000 Haftungsverfahren gegen Manager sind derzeit in Deutschland vor Gericht anhängig. Dabei landet nur rund jeder zehnte Schadenfall im Zusammenhang mit Managerhaftung vor dem Richter. Zu hoch sind die drohenden Kosten einer Niederlage, zu groß der befürchtete Imageschaden beim Gang an die Öffentlichkeit. Doch die Bereitschaft und die Pflicht von Unternehmensentscheidern, Missmanagement zu verfolgen und Pflichtverstöße zu ahnden, haben stark zugenommen. Deshalb sind Organmitglieder und Führungskräfte gut beraten, bei ihren Anstellungsverhandlungen den Risikoschutz zu prüfen.
Angesichts der deutlich gestiegenen Haftungsrisiken unterschreibt heute kein angehendes Vorstandsmitglied eines börsennotierten Konzerns mehr einen Anstellungsvertrag, wenn dieser keinen Schutz durch eine Director&Officers(D&O)-Versicherung vorsieht. Schon seine persönlichen Anwälte werden darauf achten, dass der Vertrag die entsprechenden Verschaffungsklauseln enthält. Damit verpflichtet sich ein Unternehmen dazu, für die Organmitglieder und eventuell weitere Führungskräfte eine Haftpflichtversicherung abzuschließen.
Während der Bedarf in Großkonzernen praktisch vollständig bedient ist, wächst im Mittelstand die Nachfrage nach D&O-Versicherungen. Dabei haben es externe Geschäftsführer in Familienunternehmen schwer, eine D&O-Versicherung für sich durchzusetzen, denn eine solche Versicherung stellt einen zusätzlichen Benefit dar. Gerade Interimsmanager, die ein Unternehmen als Chief Restruction Officer sanieren sollen, fordern eigene Haftpflichtpolicen, um nicht durch Altlasten in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Organmitglieder in Aktiengesellschaft fordern selten Einblick in die Police. Auch handeln Manager nicht die konkreten Versicherungskonditionen in Anstellungsgesprächen aus. „Oft geben die Unternehmen die Police gar nicht heraus“, berichtet Dr. Stefan Steinkühler vom Versicherungsmakler Marsh. Es reiche vielen Managern, Eckdaten wie die Deckungssumme, die Selbstbehalte und die relevanten Ausschlüsse zu erfahren. „Wichtig bei der D&O-Versicherung sind Verträge, die möglichst wenige Ausschlüsse und klar formulierte Versicherungsbedingungen enthalten“, erläutert Steinkühler. „Unternehmen sollten Anbieter wählen, die über qualitativ hochwertige Schadenerfahrung verfügen und eigene Schadenabteilungen haben.“
Eine Police pro Unternehmen
Für D&O-Versicherungen und ihre Policen existieren in Deutschland keine einheitlichen Rahmenvorgaben. „In der Regel handelt es sich um Einzellösungen von Versicherern oder Maklern“, veranschaulicht Steinkühler die Praxis. Unternehmen lassen sich von D&O-Versicherungen in Gänze versichern, damit der Kauf der Police für sie zu 100 Prozent eine Betriebsausgabe darstellt und keinen geldwerten Vorteil für die versicherten Personen. Eine weitere Besonderheit dieser Haftpflichtversicherung ist, dass eine solche Police die Organmitglieder insgesamt versichert und nicht jeden einzeln. Deshalb nehmen die Versicherer auch kein personenbezogenes Underwriting mit individuellen Bewertungen vor. Die D&O-Versicherung sichert alle Funktionsträger ab, die in der Police genannt werden. Der Versicherungsschutz umfasst neben Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern in der Regel auch leitende Angestellte und Prokuristen unterhalb der Topführungsebene.
Der deutsche Gesetzgeber hat – zum Teil in Anlehnung an Vorgaben der EU-Behörden – die Haftungssituation für Organmitglieder in den vergangenen Jahren weiter verschärft. Im Mittelpunkt steht das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, kurz VorstAG, von 2009. Für Organmitglieder in börsennotierten Aktiengesellschaften wurde die Frist der Nachhaftung auf zehn Jahre verlängert, während sie für andere
Gesellschaftsformen weiterhin fünf Jahre beträgt. „Manager müssen sich beim Ausscheiden aus dem Unternehmen auf eine mögliche Nachhaftung vorbereiten“, warnt Stefan Steinkühler. Das gilt für die Zeit nach einem Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber wie auch nach dem Eintritt in den Ruhestand. Dabei sollten die Betroffenen berücksichtigen, dass sich ihr Deckungsschutz in den Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen verschlechtern könnte. In vielen Fällen ist das Limit, das das Unternehmen eingekauft hat, zu dem Zeitpunkt, an dem der Vorwurf einer Pflichtverletzung erhoben wird, bereits durch frühere Schadenfälle aufgebraucht.
„Deshalb bestehen manche Organmitglieder bei ihrem Ausscheiden darauf, dass die D&O-Versicherungspolice des Unternehmens ihr persönliches Limit festschreibt“, so Steinkühler. Indem sie ihre individuellen Bedingungen einfrieren lassen, wissen sie genau, mit welcher Versicherungsleistung sie im Schadenfall rechnen können. Der Versicherungsexperte weist auf einen weiteren Punkt hin: „Aus Sicht der Organmitglieder ist es notwendig, die Nachhaftung mit einer vernünftigen Nachmeldefrist zu kombinieren, damit beides analog läuft.“ Denn sie müssten nachträglich gemeldete Schäden unter den Schutz ihrer D&O-Versicherung bringen. Manche Versicherer gewähren deshalb Nachmeldefristen von bis zu zwölf Jahren. Eine verlängerte Nachmeldefrist ist wegen möglicher Hemmungstatbestände notwendig. Also gilt aus Sicht ausscheidender Führungskräfte die Grundregel, Haftung und Deckung im Rahmen des D&O-Versicherungsschutzes immer zusammenzubringen.
SB-Versicherung über höheres Festgehalt finanzieren
Seit dem Inkrafttreten des VorstAG gilt ein Selbstbehalt bei Abschluss einer D&O-Versicherung für Organmitglieder. Damit hat der Gesetzgeber eine Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex‘ in geltendes Recht umgesetzt. Innerhalb der D&O-Versicherung ist für Vorstandsmitglieder ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis zu dem Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung zu vereinbaren. Dieser Selbstbehalt wird in der Regel separat versichert, denn bei einer angenommenen Abgabenbelastung von 50 Prozent bedeutet der gesetzliche Selbstbehalt, dass ein Vorstandsmitglied rund drei Bruttojahresgehälter persönlich aufzubringen hätte.
„Die Selbstbehaltsversicherung eines Managers orientiert sich an der D&O-Versicherungspolice des Konzerns“, erläutert Steinkühler. Sobald die Versicherungsgesellschaft die Leistungsfrage geklärt hat und es zur Auszahlung kommt, behält sie den Selbstbehalt ein, und dann zahlt die SB-Versicherung die zusätzliche Leistung aus. „SB-Versicherungen für Manager fungieren damit nicht wie eine eigenständige Haftpflichtversicherung“, so Steinkühler, „sondern stellen eine reine Kaskodeckung des Eigenschadens dar.“
Offiziell müssen Organmitglieder die SB-Policen aus eigener Tasche bezahlen. Tatsächlich bringen aber viele Vorstandsmitglieder diesen Posten als zusätzlichen Aufwand in Anstellungsverhandlungen zur Sprache. „Vorstände holen die Ausgaben für ihre individuell abgeschlossenen SB-Policen über einen Aufschlag auf das Festgehalt wieder herein“, beschreibt Stefan Würz vom Vergütungsberater Mercer die Situation in den Konzernen. Selbstbehalte sind fragwürdig. Zwar will der Gesetzgeber damit steuernd auf das Verhalten von Organmitgliedern einwirken. Doch Unternehmenslenker treffen ihre Entscheidungen kaum in dem Bewusstsein, eine D&O-Versicherung als Rettungsanker in der Hinterhand zu haben.
Professorin Barbara Grunewald von der Universität Köln stellt das gesamte Geschäftsmodell der D&O-Versicherungen in Frage: „Diese Versicherungen sichern in meinen Augen die Schäden nicht umfassend ab. Selbst wenn eine Versicherung leistet, reichen die ausgezahlten Beträge meist nicht aus, um den Gesamtschaden zu decken.“ Auch den Selbstbehalt sieht die Juristin kritisch: „Aus dem Privatvermögen eines Vorstandsmitglieds bekommen die Unternehmen keinen vollen Schadenersatz.“
Alternative Clawback?
Stefan Würz von Mercer weist auf die Zwickmühle hin, in der Manager aufgrund der längeren Nachmeldefristen stecken. „Vorstände stehen unter einem enormen Druck, in einem komplexen Umfeld Entscheidungen zu treffen. Häufig ist eine Steuerung nur auf relativ kurze Sicht möglich. Zugleich müssen Vorstände hinsichtlich der eigenen Haftung die langfristige Entwicklung immer im Auge haben.“ Das Szenario der unbegrenzten Haftung hemmt manchen Manager, kalkulierte Risiken einzugehen, die das Unternehmen im Erfolgsfall voranbringen würden.
Passender scheint da das Instrument der Clawback-Regeln zu sein, die in Deutschland nur in einigen Konzernen zum Einsatz kommen. Konkret geht es um Vereinbarungen in Unternehmenssatzungen und Anstellungsverträgen, die die Rückforderung bereits ausgezahlter variabler Vergütung für den Fall vorsehen, dass sich der Vorstand ein Fehlverhalten im Sinne bewusster Täuschung zuschulden kommen lässt. US-amerikanische Unternehmen wenden Clawback-Regeln seit langem an. „Sie gehen grundsätzlich in eine ähnliche Richtung wie eine D&O-Versicherung, werden aber nur bei internen Schäden wirksam“, verdeutlicht Stefan Würz. Häufig drehen sich die Fälle um die Manipulation von Geschäftszahlen, etwa um falsche Angaben zur Zielerreichung.
„In einem Fall von bewusster Täuschung könnte der Aufsichtsrat im ersten Schritt Clawback-Regeln gegen ein Vorstandsmitglied anwenden und die Long Term Incentives anteilig oder komplett einbehalten und im zweiten Schritt die Haftung über die D&O-Versicherung einfordern“, zeigt Würz einen möglichen Ablauf auf. „Über Clawback-Regeln in Verbindung mit variabler Vergütung lassen sich Vorstände tatsächlich mit dem Ziel einer langfristigen Unternehmensentwicklung steuern.“ Dagegen soll eine D&O-Versicherung dem Vorstand vor allem den Rücken bei riskanten Entscheidungen freihalten – auch wenn es Monate oder gar Jahre dauert, ehe die Versicherung im Haftungsfall zahlt.
Dr. Guido Birkner
verantwortlicher Redakteur Comp & Ben
F.A.Z.-Institut