Herr Rottschäfer, wie erleben Sie persönlich den zweiten Lockdown?
Lars Rottschäfer: Tatsächlich sind die HR-Mitarbeitenden von SGL Carbon ebenso wie die anderen White- Collar-Bereiche seit Dezember zu großen Teilen wieder ins Homeoffice gegangen. Gerade für die HR-Kollegen, die quasi von Natur aus direkt mit Menschen zusammenarbeiten, ist das eine ungewohnte Arbeitssituation. Unabhängig von unserem Unternehmen befürchte ich, dass die Pandemie die Menschen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch persönlich ein Stück weit zurückwerfen wird. Das geht gar nicht anders bei den Einschränkungen, die wir alle derzeit akzeptieren müssen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Wie geht SGL Carbon im Produktionsbereich mit der Pandemie um?
Lars Rottschäfer: Wir konnten unsere Produktion weitgehend unbeschadet und uneingeschränkt fortsetzen. Die Produktionsstandorte haben die einschlägigen Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen rasch ergriffen, von der Maskenpflicht über Abstandsgebote bis zu den Laufwegen. So können wir die Produktion auch in den schwierigen Monaten aufrechterhalten und mussten zu keinem Zeitpunkt einen Standort schließen oder ein Produktionswerk herunterfahren.
Hat Corona Ihr Unternehmen zu Einschnitten im Vergütungsbereich veranlasst?
Lars Rottschäfer: Die Pandemie selbst hat uns nicht dazu veranlasst, irgendein C & B-Projekt anzustoßen. Aber natürlich hat sie auch bei uns wie ein Brennglas gewirkt und bestehende Prozesse und Trends in HR beschleunigt und verstärkt. So haben wir uns mit den Fragen rund um Arbeitszeit und Arbeitsort noch intensiver beschäftigt und hier schneller als bislang Entscheidungen getroffen. Wir mussten einen Teil unserer Belegschaft wochenlang ins Homeoffice schicken, und das wirkt sich auf die Mitarbeiter je nach Familiengröße und Wohnsituation mehr oder weniger stark aus. Und natürlich haben wir einen Business Impact zu spüren bekommen. Wir haben Kunden aus den Märkten Automobil und industrielle Anwendungen, die zwischenzeitlich zum Teil stark unter der Krise zu leiden hatten. Das sorgte bei manchem unserer Mitarbeitenden natürlich für Unsicherheit, obwohl wir Dank konsequenter Gegenmaßnahmen aber operativ verhältnismäßig gut durch die Krise kommen.
Viele Unternehmen stellen ihre Vergütungsbausteine, vor allem ihre Benefits, auf den Prüfstand. Sie auch?
Lars Rottschäfer: Das gilt auch für uns. Bislang ist der Benefit Dienstwagen noch ein Statussymbol. Dieser Status und die Wertschätzung gehen natürlich verloren, wenn alle Beschäftigten im Homeoffice sind und ihren Dienstwagen kaum fahren. Dagegen steigt die Nachfrage nach Angeboten zur Kinderbetreuung oder zu Haushaltshilfen. Andere Kollegen wiederum haben pflegebedürftige Eltern. Die Nachfrage nach Benefits wird individueller. In der Vergangenheit haben wir immer in Mitarbeitergruppen gedacht, abgeleitet aus dem Grading. Doch diese Mitarbeitergruppen existieren nicht mehr in der Form, in der wir sie früher gedacht haben. Spätestens jetzt weicht die Pandemie diese Gruppenlogik auf. Die kurzfristigen Veränderungen durch COVID-19 laufen dem langfristigen Charakter von Vergütungsplänen entgegen. Wenn ein Unternehmen ein neues Vergütungsmodell einführt, braucht es erst einmal Zeit, bis sich das Modell einschwingt, bis sich die Mitarbeiter daran gewöhnt haben. Jetzt in der Pandemie müssen wir viel kurzfristiger auf Ereignisse reagieren. Das passt beispielsweise für das Recruiting, das auch schon mal schnelle Lösungen braucht. Zu C & B als eher systemischer Disziplin passt Kurzfristigkeit nicht.
Wie muss HR in der Pandemie handeln?
Lars Rottschäfer: Wir sind einerseits gezwungen, öfter kurzfristig zu handeln, und zugleich besteht der Bedarf an Planbarkeit. Das gilt für die Mitarbeiter im Homeoffice, die wissen wollen, wie sie ihre Berufstätigkeit und ihr Privatleben, gerade mit einer Familie, in den nächsten Wochen miteinander in Einklang bringen können. Das gilt aber auch für das Unternehmen, das kurzfristige Veränderungen beim Personalbedarf, beim Einsatz von Mitarbeitern und bei den Arbeitskosten kalkulieren muss. Das umfasst auch die Planbarkeit und Analyse von Gehaltsdaten. Dieser Bedarf wird sicher zunehmen. Normalerweise berechnen wir die Gehälter, den Zielbonus und die Rückstellungen wenige Male pro Jahr. Jetzt muss das Unternehmen immer kurzfristiger nachhalten, wie sich die einzelnen Parameter unter dem Einfluss der Pandemie verändern.
Bietet die IT-Infrastruktur, mit der Sie arbeiten, die erforderlichen Funktionen?
Lars Rottschäfer: Wir führen in Kürze Success Factors ein. Davon versprechen wir uns deutliche Verbesserungen in der Generierung, Verarbeitung und Analyse von Daten. Bislang haben wir unsere Datenarbeit vor allem auf den AT-Kreis und die Führungskräfte fokussiert. Inzwischen stellen wir auch auf der Ebene der Facharbeiter Simulationen mit Daten an. Dabei halten wir die Daten aus rechtlichen Gründen vor allem lokal vor. Mit Success Factors wollen wir die Beschränkung auf lokale Daten aufheben und uns einen Gesamtüberblick über unsere globalen Mitarbeiterdaten verschaffen.
Viele Unternehmen haben in der Krise kurzfristige Maßnahmen wie freiwilligen Gehaltsverzicht auf Managementebene durchgeführt. Wie sah das bei SGL Carbon aus?
Lars Rottschäfer: Für die AT-Mitarbeiter und die Führungskräfte haben wir von der Entgeltanpassung im vergangenen Jahr abgesehen. Das Benefit-Portfolio haben wir auf den Prüfstand gestellt und Nebenleistungen, die wenig nachgefragt waren, ohne vertragliche Verpflichtung gestrichen. Dazu zählte etwa unser Employee-Assistance-Programm. Generell haben wir uns auch dabei vom Gedanken verabschiedet, Benefits in Plänen und Ansätzen zu denken. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns bei C & B generell stärker an Lösungen von Problemen und Bedarfen orientieren müssen, wenn wir den Mitarbeitern etwas Gutes tun wollen. Konkret brauchen wir künftig für die Mitarbeiter ein begrenztes Portfolio an Nebenleistungen, an denen sich der Einzelne mehr oder weniger stark beteiligen kann – in Abhängigkeit vom individuellen Bedarf. Für die C & B-Funktion bedeutet das zunächst einen größeren Aufwand für die Vorbereitung, Implementierung und Administration eines solchen Benefit-Portfolios. Auch die Kommunikation wird dadurch aufwendiger.
Wie verändert sich die C & B-Funktion vor dem Hintergrund der Megatrends wie Digitalisierung?
Lars Rottschäfer: Wir haben schon vor Jahren ein Business-Partner-Modell eingeführt. Das hat den Schnittstellencharakter unserer Funktion deutlich verstärkt. Wir sitzen mit den Kollegen aus dem Business- Partner-Bereich, dem Talentmanagement und der HR-Leitung monatlich zusammen und stimmen uns in allen Fragen ab. Hier fahren wir als internationaler Mittelständler einen gemeinschaftlichen Ansatz. Darüber hinaus haben wir natürlich enge Abstimmungsprozesse, beispielsweise mit den Kollegen aus dem Accounting- und Rechtsbereich, wenn sich kapitalmarktrechtliche Fragen stellen. Das Gleiche gilt mit unserem Partner Hoechster Pensionskasse im Bereich der bAV. Wir sind also intern und extern überall dort eng vernetzt, wo es erforderlich ist.
Wie eng ist die Bindung der internationalen Standorte an die Zentrale bei HR?
Lars Rottschäfer: Natürlich stimmen wir uns in der Gruppe in Vergütungsfragen beim Senior Management und mittleren Management ab. Bislang waren die internationalen Standorte auf der unteren Führungsebene und auf der Ebene der Mitarbeiter, die in Deutschland den Tarifbereich bilden, weitgehend selbständig, doch das hat sich mit der Pandemiekrise geändert. Auch hier hat der C & B-Bereich inzwischen eine Governance-Rolle übernommen. Das verändert natürlich grundsätzlich nicht den partnerschaftlichen Austausch mit den internationalen Kollegen. Auch können wir in der Wiesbadener Zentrale nicht das konkrete Knowhow über die Incentivierung in China, in den USA und in Polen vorhalten, wenn es sich nicht um die oberen Führungskräfte dreht. Darum kümmern sich besser die Kollegen vor Ort.
Können Sie uns zum Abschluss Ihren beruflichen Werdegang skizzieren?
Lars Rottschäfer: Zunächst habe ich den Beruf des Bankkaufmanns erlernt, dann Wirtschaftswissenschaften in Paderborn und im schwedischen Jönköping studiert. Daran schloss sich ein Aufbaustudium in Human Capital Management in der Schweiz an. Nach dem Studium habe ich bei einem internationalen Versicherungsmakler in der Betriebsorganisation gearbeitet. Anschließend bin ich zu einer kleinen Unternehmensberatung gewechselt. Dort hatte ich unter anderem mit Compensation & Benefits zu tun. Danach bin ich als Senior HR Manager zur Swisscom in die Schweiz gewechselt und habe mich dort intensiv mit Vergütungsfragen beschäftigt. Seit 2012 bin ich im entsprechenden Bereich für SGL Carbon tätig.