Herr Thomas, wie sind Sie in Ihre heutige Funktion bei Lufthansa gekommen?
Christian Thomas: Mein Weg in eine C&B Leitungsfunktion ist wohl eher untypisch. In meinem Psychologiestudium hatte ich einen klinischen Schwerpunkt. Parallel zum Studium war ich Leistungssportler und habe Weitsprung auf internationaler Ebene betrieben. Deshalb war ich zu dieser Zeit sehr an sportpsychologischen Fragen interessiert. Letztlich haben mich beide Bereiche für einen Berufseinstieg nicht hinreichend gefesselt. Als sich dann bei Lufthansa für mich eine Möglichkeit des Einstiegs ergab, habe ich nicht lange gezögert. Inzwischen bin ich viele Jahre für die Airline tätig. Anfangs war ich im LH Schulungszentrum als Psychologe und Trainer für Kommunikation, Verhalten und Führung beschäftigt. Ende der 1990er Jahre bin ich in die Personalentwicklung von Lufthansa Systems gewechselt und zwei Jahre später zur LSG Holding gegangen. Dort habe ich mich auf internationaler Ebene mit Training und Personalentwicklung beschäftigt. Die nächste Station war Lufthansa Cargo als Leiter der Cargo-Schulung und der Personalentwicklung. Nach Jahren der Tätigkeit in der Personalentwicklung und im Training wollte ich meine inhaltliche Ausrichtung im HR Bereich erweitern. Zu diesem Zeitpunkt übernahm ich den Bereich Grundsatzfragen bei Lufthansa CityLine, der zu großen Teilen durch die Themen Tarifpolitik und Mitbestimmung geprägt war. Schließlich hatte ich die Möglichkeit, in die Konzernzentrale zu wechseln. Anfangs habe ich mich mit Personalpolitik und Vergütung auseinandergesetzt. Aus diesem Bereich wurde 2014 die Funktion Compensation & Benefits. Den Bereich habe ich über mehrere Jahre aufgebaut, weil er zuvor bei Lufthansa in dieser Form nicht existierte. Heute befinden wir uns in einem Zustand, den wir vor sechs Jahren für uns als Ziel beschrieben haben.
Ist der C & B-Bereich bei Lufthansa auch für die Tarifmitarbeiter zuständig?
Christian Thomas: Die Gruppe der Tarifmitarbeiter wird bei Lufthansa nicht vollkommen getrennt von der Gruppe der Führungskräfte betrachtet, sondern aufgrund ihrer Wechselwirkungen organisatorisch in einer Einheit zusammengeführt. Der Bereich, dem C&B angehört, beschäftigt sich mit Tarifpolitik, betrieblicher Mitbestimmung, Personalpolitik und Compensation und Benefits. Inhaltlich beschäftigen sich C&B ganz klassisch mit Führungskräftevergütung und AT-Vergütung. Letztere verhandeln wir auch für große Teile des Unternehmens. Darüber hinaus sind wir für die lokalen Mitarbeiter im Ausland zuständig, für die Entsendungspolitik, die betriebliche Altersversorgung und soziale Sicherung und das Airline-spezifische Benefit der Mitarbeiterflüge. Somit haben wir viele Themen im Portfolio, die auch Tarifmitarbeiter betreffen. Allerdings haben wir bei Tarifthemen eher eine beratende, weniger eine verhandelnde Position inne.
Das klingt so, als ob Sie in Ihrer Funktion sehr vernetzt mit anderen Bereichen zusammenarbeiten.
Christian Thomas: Tatsächlich arbeiten wir an vielen Themen vernetzt und üben eine extrem starke Schnittstellenfunktion im Inland und Ausland aus. Daraus ergibt sich immer wieder die Frage, wohin C&B organisatorisch eigentlich am besten passt. Wir arbeiten eng mit Bereichen wie Betriebsverfassung, Tarifpolitik, HR Service- und Betreuungsfunktionen sowie Finanzen zusammen, und das bei verschiedensten Vergütungsthemen und -produkten wie dem LTI, dem STI oder der bAV, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Viele Schnittpunkte gibt es auch zu den Themen Unternehmenskultur und Performance-Management oder auch Recruiting.
Im Jahr 2020 hat sich bei Lufthansa infolge der Covid-19-Pandemie vieles radikal verändert.
Christian Thomas: In den ersten Monaten hat uns allen – trotz Krisenerprobtheit – noch die Vorstellungskraft dafür gefehlt, welches Ausmaß diese Krise für den Luftverkehr annehmen wird. Wir mussten uns mit einer Vielzahl für uns gänzlich neuer Themen beschäftigen. So haben wir uns zum Beispiel vorrübergehend mit der Frage der Insolvenz und der Auswirkungen auf die C&B Produkte und Themen auseinandergesetzt. Wir haben Kurzarbeit für Führungskräfte eingeführt und zahlreiche Maßnahmen im Inland und Ausland getroffen, um Liquidität zu sichern. Auch für uns bei C&B war das laufende Jahr eine extreme Kehrtwende und Zäsur. Noch 2019 haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie wir als Arbeitgeber über intelligente Konzepte unsere Attraktivität in einem zunehmend stärkeren Arbeitnehmermarkt sicherstellen können und weiterhin die besten Mitarbeiter für Lufthansa gewinnen können.
Und womit beschäftigt sich C & B heute und im nächsten Jahr?
Christian Thomas: Im Zentrum der Aktivitäten steht aktuell und auch noch im kommenden Jahr Liquiditäts- und Kostenmanagement. Es geht für den Konzern um das Überleben und darum, durch diese Krise zu kommen. Wir arbeiten alle im Krisenmodus und versuchen, einen Beitrag zur Krisenbewältigung zu liefern, auch C&B. Deshalb haben wir im gesamten Unternehmen unsere Aktivitäten auf das absolut Notwendige beschränkt und unsere Kapazitäten entsprechend reduziert. Zugleich wollen und müssen wir als Unternehmen natürlich unsere Zukunft denken und gestalten. Dies wird auch Investitionen fordern. Als C&B machen wir uns natürlich bereits Gedanken darüber, wie wir trotz Einschränkungen in der Gestaltung unserer Vergütungssysteme aufgrund der aktuellen Stabilisierungsmaßnahmen ein attraktiver Arbeitgeber für Talente und Schlüsselpersonen und -funktionen bleiben können.
Was bedeutet das konkret für die Vergütung?
Christian Thomas: Wir werden sicherlich unsere Vergütungsstrategie überdenken und ein Stück weit neu ausrichten. Da wir weniger Geld zur Verfügung haben, werden wir intelligente Konzepte benötigen und bei unseren Maßnahmen sehr viel gezielter und individueller als bislang vorgehen müssen. Entscheidungen rund um Vergütung werden nicht nur auf das Kollektiv ausgerichtet sein können, sondern müssen auch Schlüsselpositionen absichern. Zugleich sehen wir, dass die Pandemie Trends wie Homeoffice zur verbreiteten Akzeptanz verhelfen. Ein Beispiel dafür, wie gut Remote Work inzwischen bei uns funktioniert, war in diesem Jahr das Projekt, Bonuszahlungen in Aktien umzuwandeln. Wenngleich wir das Projekt am Ende nicht umsetzen konnten, haben wir dieses extrem schnittstellenintensive Thema über verschiedene Bereiche hinweg ohne einen Strömungsabriss jeweils im Homeoffice sehr erfolgreich entwickelt und bis zur Umsetzungsreife vorangetrieben. Remote Work ist aus meiner Sicht und Erfahrung der letzten Monate nicht selten sogar ein Stück effizienter und zielorientierter. Unsere Vergütungsmodelle müssen in Zukunft vor allem eines sein: einfach und flexibel. Komplexität ist, sofern sie nicht aus regulatorischen Anforderungen kommt, vor allem Selbstbeschäftigung. LTI-Systeme, die man in einer 20-seitigen Broschüre erklären muss, verlieren ihren unmittelbaren Wert. Ich bin ein Fan von berechenbaren Modellen, bei denen ich rasch erfassen kann, welcher Wert darin für mich steckt. Häufig ist C&B zu verliebt in komplexe Systeme, die nur noch sie selbst im Detail verstehen, aber nicht mehr die Führungskraft oder der Mitarbeiter.
Wie wird Lufthansa in Zukunft aussehen?
Christian Thomas: Wir werden sicher ein deutlich schlankeres, agileres Unternehmen sein. In der Vergütung haben wir schon vor Jahren ausprobiert, wie agile Vergütungsstrukturen aussehen könnten. So haben wir in Einzelgesellschaften beispielsweise einen Teambonus getestet. In unserem C&B-Team arbeiten wir stärker projektbezogen, so dass nicht mehr eine Person allein ein Thema verantwortet, sondern Themen stärker gemeinsam entwickelt werden und damit größere Vielfalt in den Lösungen entsteht und auch mehr organisatorische Flexibilität. Agiles Arbeiten wird durch die neue Organisation der Lufthansa, die jetzt entsteht, forciert. Eines ist sicher: Wenn wir als C&B in Zukunft nicht agil funktionieren, dann werden wir nicht funktionieren. Also müssen wir die Herausforderungen der Krise als Chance begreifen. Wir werden anders arbeiten und uns in diesem Sinne weiterentwickeln.
Welche Kompetenzen brauchen C&B-Manager in Zukunft viel stärker?
Christian Thomas: Wir müssen lernen, noch vernetzter zu arbeiten, C&B noch stärker als Bestandteil eines integrierten HR-Prozesses denken. Dazu gehört es zu verstehen, wie zum Beispiel Talentmanagement, Performance-Management und HR-Services funktionieren. Dieses vernetzte Arbeiten an den einzelnen HR-Produkten funktioniert dann, wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass es sich um gemeinsame Produkte handelt. Das sind keine neuen Ideen, sie müssen jetzt aber neu gedacht und verinnerlicht werden.
Lässt sich bereits jetzt absehen, wie sich die Kultur von Lufthansa in Zukunft in einer agilen Aufstellung verändern wird?
Christian Thomas: Wir kommen aus einer Kultur der langen Verweildauer beim Arbeitgeber, weil wir auch zu den besten Arbeitgebern in Deutschland gehören. Diese Grundhaltung spiegelt sich in dem Gefühl, als Lufthanseat einer großen Familie anzugehören. Die aktuelle Krise verändert die Sichtweise auf das Unternehmen. Wir sind sicher in der Krise auch enger zusammengerückt. Aber wir werden in der Zukunft ein Unternehmen sein, in dem sich die Mitarbeiter auch darüber Gedanken machen werden, es nach einer gewissen Zeit wieder zu verlassen. Zudem wird der Aspekt der Sicherheit noch stärker in den Fokus rücken. Wir erleben gerade noch stärker als in der Vergangenheit, dass Luftfahrt ein Geschäft ist, das für Krisen extrem anfällig und somit volatil ist. Wir alle müssen lernen, agiler und flexibler zu arbeiten. Wir müssen lernen, mit solchen Krisen zu leben, wir brauchen eine atmende Struktur, um im Fall einer Krise sehr schnell unsere Kosten in den Griff zu bekommen. Und wir müssen uns von manchen Regularien befreien, die wir schon lange mit uns herumtragen und die uns einschränken.
Wie wird sich die C&B-Funktion generell – über Lufthansa hinaus – künftig verändern?
Christian Thomas: C&B ist in den meisten Konzernen ein Bereich, der Produkte entwickelt. Wir als Experten in diesem Bereich sollten uns fragen, welche dieser Produkte im Unternehmen tatsächlich benötigt werden. Wichtiger ist es, Spezialisten, wie wir sie sind, gut in eine Gesamtstrategie zu integrieren. In einem Konzern besteht häufig das Risiko, dass sich diese Experten zuerst mit sich selbst beschäftigen, losgelöst von ihrer Umgebung. Dadurch entstehen häufig unnötige Komplexitäten. Hier sollten wir Grenzen auflösen und Spezialisten in ein Netzwerk einbinden, so dass sich ein größeres Gesamtbild ergibt. Diese Aufgabe liegt nicht allein bei C&B, sondern bei HR generell. Ein weiterer Punkt ist, dass wir uns neu fragen sollten, wie wir und was wir vergüten wollen: Individuum versus Wertigkeit versus Stelle. Wie flexibel ist Vergütung? Wie bilde ich Veränderungen im Unternehmen in der Vergütung ab? C&B will von Natur aus immer Strukturen schaffen. Wir brauchen aber auch Flexibilität, und wir müssen die Balance zwischen Flexibilität und Struktur immer wieder neu herstellen.