Herr Professor Thüsing, Sie gelten als einer der führenden deutschen Arbeitsrechtler und waren Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren des Bundestages für das Entgelttransparenzgesetz. Was halten Sie von dem Gesetz?
Gregor Thüsing: Es war ein schwieriger Weg zum neuen Gesetz. Im Koalitionsvertrag einigten sich die Regierungsparteien darauf, neue Regelungen zu größerer Entgelttransparenz zwischen Männern und Frauen zu schaffen. Dafür legte das Bundesfamilienministerium einen ersten Entwurf vor, der inhaltlich sehr weitgehend und handwerklich gänzlich missglückt war. Nach intensiver Ressortabstimmung gab es einen Regierungsentwurf, der ohne weitere Änderungen vom Bundestag beschlossen wurde. Obwohl zahlreiche Monita im Vorfeld behoben werden konnten, hat auch der vorliegende Text mehr Rechtsförmlichkeitsfehler als ein Straßenköter Flöhe. Handwerklich ist er erschreckend schlecht gemacht. Wie wenig die Verfasser mit dem Arbeitsrecht vertraut sind, zeigt schon der wiederholte Hinweis im Gesetzestext und seiner Begründung auf die „Allgemeinverbindlichkeitserklärung“ von Tarifverträgen. Paragraph 5 Tarifvertragsgesetz spricht von „Allgemeinverbindlicherklärung“. Auch muss es „kollektivrechtlich“ heißen, nicht „kollektiv-rechtlich“.
Wie ist es um die inhaltliche Seite bestellt?
Gregor Thüsing: Die Arbeitnehmerin und der Arbeitnehmer sollen nun einen Anspruch darauf haben, den statistischen Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts der Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts, die gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten verrichten, zu erfahren. Diese Information ist aber zur Darlegung einer Entgeltdiskriminierung gänzlich ungeeignet. Das liegt zum einen daran, dass der Median der Vergütung der Beschäftigten des eigenen Geschlechts unbekannt bleibt, zum anderen daran, dass nur der Median, nicht aber der Durchschnitt erfragt wird. Selbst dort, wo Männer und Frauen die exakt gleiche Vergütung bekommen, Männer aber unterschiedlich gegenüber Männern und Frauen unterschiedlich gegenüber Frauen verdienen, würde die Beantwortung des Auskunftsverlangens immer auf eine Diskriminierung hinweisen, sei es des einen oder anderen Geschlechts, obwohl diese gerade nicht indiziert ist. Fragt eine Frau am unteren Vergütungsniveau der weiblichen Beschäftigten der gleichen Tätigkeit nach dem männlichen Median, so wird sie auch unter dem Median der Männer liegen. Fragt eine Frau am oberen Ende des Vergütungsspektrums, so wird sie darüber liegen. Die Information hat keinerlei Aussagekraft, insbesondere dann, wenn man zusätzlich in den Blick nimmt, dass der Durchschnitt der Vergütung ganz anders sein kann. Der Median der Vergütung weiblicher oder männlicher Beschäftigter kann identisch sein, auch wenn männliche Beschäftigte durchschnittlich mehr verdienen. Und mehr noch: Der Median weiblicher Beschäftigter kann über dem Median männlicher Beschäftigter liegen, obwohl diese durchschnittlich weniger als Männer verdienen.
Was hätte man denn besser machen können?
Gregor Thüsing: Wer solcherlei Informationen erhält, kann daraus für eine Diskriminierung nichts herleiten. Deshalb sind andere Gesetzgeber andere Wege gegangen. Zum 1. April dieses Jahres treten die Equality Act 2010 (Gender Pay Gap Information) Regulations 2017 in Kraft. Diese gelten für Arbeitgeber mit mehr als 250 Arbeitnehmern und schaffen eine Veröffentlichungspflicht für folgende sechs Daten, nämlich für die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Stundenlohn der männlichen Beschäftigten und der weiblichen Beschäftigten des Unternehmens, für den Unterschied zwischen dem Median des Stundenverdiensts der männlichen und der weiblichen Beschäftigter des Unternehmens, für die Differenz zwischen dem Durchschnitt des Bonusverdienstes männlicher Beschäftigter und des Bonusverdienstes weiblicher Beschäftigter, für den Unterschied zwischen dem Median der Bonuszahlungen an männliche und an weibliche Beschäftigte, für den Anteil der Männer und der Frauen, die überhaupt einen Bonus erhalten, und für die Anteile der Männer und Frauen im unteren Mittel, im oberen Mittel und im oberen Viertel des Gehaltsbandes. Dies alles sind Informationen, die – weil auf das Unternehmen insgesamt bezogen – sehr viel einfacher zu generieren sind und in ihrer Gesamtheit eine deutlich höhere Aussagekraft für mögliche Diskriminierungen haben. Hier wäre Rechtsvergleichung hilfreich gewesen.
Wären damit die Probleme gelöst?
Gregor Thüsing: Nein, sicherlich nicht. Ein wesentlicher Punkt ist die beabsichtigte Gleichbehandlung von gleichwertiger Arbeit. Doch was ist gleichwertige Arbeit? Letztlich ist gleichwertige Arbeit jede Arbeit, die marktkonform gleich vergütet wird, oder es ist ein objektives iustum pretium [lat. „gerechter Preis“; Anm. d. R.] einer jeden Arbeit zu unterstellen, mag sie auch aus objektiven Hilfskriterien hergleitet werden. Eine Kombination beider Ansätze ist nicht möglich, weil es gänzlich unterschiedliche Sichtweisen sind. Mögen die Faktoren zur Gleichwertigkeit schon inkommensurable Größen sein, die weder in eine kardinale noch eine ordinale Ordnung gebracht werden können, so ist der Perspektivenwechsel zwischen objektiver Bewertung und Marktbewertung noch einmal einen Schritt weiter von der Objektivität entfernt: Es ist nicht logisch herzuleiten, welches Gewicht der Markt haben soll und welches Faktoren wie Vergleichbarkeit der Anforderungen und der Belastung.
Was ist aus Ihrer Sicht jetzt zu tun?
Gregor Thüsing: Das Gesetz ist handwerklicher Kartoffeldruck und inhaltlich pure Ideologie. Es kommt jetzt ein handwerklich schlechtes, in seinen Instrumenten wirkungsloses und in seinem bürokratischen Aufwand nicht zu unterschätzendes Gesetz. Das Gute an diesem Gesetz ist allein das Ziel, das es erreichen will – doch es ist offensichtlich, dass es weitaus bessere Wege gibt, diesem Ziel näher zu kommen. Das Skandalon ungleicher Bezahlung wegen des Geschlechts ist ernst zu nehmen und zu beseitigen. Die Gesetzesbegründung selber legt aber dar, dass die wesentliche Ursache für den unterschiedlichen Verdienst von Männern und Frauen nicht in der unterschiedlichen Vergütung gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit liegt, sondern in der unterschiedlichen Berufswahl von Frauen, ihrer höheren Teilzeitquote und den längeren, zumeist familienbedingten Unterbrechungen im Berufsverlauf. Alles, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöht, tut damit mehr für den gleichen Verdienst von Männern und Frauen als ein solches Entgelttransparenzgesetz. Jeder Betriebskindergarten bringt uns dem Ziel näher als die Erfüllung von Informationspflichten, denen keine Indizwirkung zukommt. Wer erkennt, dass er hier auf dem Holzweg ist, kann vielleicht beim im Gesetzgebungsprozess abgewürgten erweiterten Anspruch auf Teilzeit noch mal einen Anlauf unternehmen in der nächsten Legislaturperiode. Dies wäre ein Weg zu einem sinnvolleren politischen Kompromiss. Aber dazu gehört Mut.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.