Eine variable Vergütung rein nach dem Wenn-dann-Prinzip passt immer weniger in die digitalisierte Arbeitswelt. Die Regel, dass derjenige, der seinen Job besser macht, auch zwangsläufig einen höheren Bonus bekommt als derjenige, der im gleichen Job schlechter abschneidet, wirkt in der Praxis oft kontraproduktiv. Infineon, Bosch und Freudenberg machen ihre eigenen Erfahrungen.
Spätestens die Ankündigung von Bosch-Chef Dr. Volkmar Denner im Herbst 2015, den individuellen Bonus im AT-Bereich abzuschaffen, markierte eine Kehrtwende in der öffentlichen Diskussion über variable Vergütung. Was Wissenschaftler schon Jahre zuvor nachgewiesen haben, setzen Konzerne heute in die Praxis um: Eine Ausrichtung der Boni an der individuellen Performance mag in nichtgestalterischen Funktionen mit repetitiven Tätigkeiten motivierend sein. In kreativen Bereichen können solche monetären Anreize hingegen kontraproduktiv wirken – und werden deshalb einkassiert. Und nicht nur bei leitenden Angestellten. „Unser Ziel ist es, dass dieser Grundgedanke künftig auch in den Tarifbereich einzieht“, sagt Dr. Uwe Schirmer, leitender Direktor bei der Robert Bosch GmbH.
Den Grund für die Kehrtwende schiebt Dr. Schirmer gleich hinterher. „Für uns bei Bosch eröffnet die Digitalisierung enorme Chancen“, so der HR-Experte. „Doch wir können diese Chancen nur realisieren, wenn sich unsere Mitarbeiter bereichsübergreifend vernetzen, sich offen Feedback geben, experimentieren und auch mal scheitern dürfen und sich auf übergreifende langfristige Ziele konzentrieren.“ Nur so sei Bosch in der Lage, die enormen Kompetenzen innerhalb der Gruppe miteinander zu verknüpfen und zu neuen ganzheitlichen Lösungen zu kommen.
In einer digitalisierten Arbeitswelt ist es erfolgsrelevant, dass sich Mitarbeiter und Kooperationspartner eng vernetzen. Diesen Trend hat die individuelle Incentivierung gerade der Führungskräfte von Bosch gehemmt. In der alten Vergütungswelt besaßen individuelle Ziele für die Mitarbeiter in hierarchisch und kaskadenförmig strukturierten Organisationen ein zu großes Gewicht. „Damals haben wir alle weniger nach links und rechts geschaut“, kritisiert Dr. Uwe Schirmer.
Neue Vergütungsordnung
Die neue Vergütungsordnung von Bosch verzichtet auf individuelle Boni, aber nicht auf Bonuszahlungen. Der neue Bonus ist eine Gewinnbeteiligung für die AT-Mitarbeiter, die aus zwei Komponenten besteht. Die erste Komponente orientiert sich am Gesamtergebnis der Gesamtgruppe, die zweite am Ergebnis der einzelnen Business-Unit. Beide Komponenten sind zu jeweils 50 Prozent gewichtet. Je höher ein Mitarbeiter in der Hierarchie steht, desto höher ist der Anteil des Bonus an der Gesamtvergütung, wobei der Anstieg über die fünf Entgeltgruppen hinweg linear verläuft.
Das Gesamtvolumen aller Bonuszahlungen bei Bosch ist seit der Umstellung konstant geblieben, lediglich die Bewertungsgrundlage ist eine andere. Dagegen hat sich der administrative Aufwand für Dr. Uwe Schirmer und seine HR-Kollegen stark verringert. Das gibt ihnen Freiraum, um sich auf andere Aufgaben wie die Mitarbeiterentwicklung zu fokussieren. Dieses Bewertungssystem kommt auch bei der Vergabe von Long-Term-Incentives (LTIs) an Führungskräfte der beiden obersten Entgeltgruppen 4 und 5 zum Einsatz. Die Höhe der LTIs richtet sich nach der langfristigen Zielerreichung der Gesamtgruppe sowie der jeweiligen Business-Unit.
Differenzierung im Grundgehalt nach drei Kriterien
Der Technologiekonzern Bosch bewertet seine Mitarbeiter jährlich nach Leistung, verzichtet aber darauf, die individuelle Zielerreichung zu incentivieren. Vielmehr differenziert das Unternehmen anhand der Grundgehälter. „Mit unseren breiten Entgeltbändern können wir deutlich besser differenzieren als mit einem individuellen Bonus“, unterstreicht Dr. Schirmer. Bosch stuft jeden AT-Mitarbeiter von Jahr zu Jahr neu innerhalb seines Entgeltbandes ein. Zunächst bewerten die zuständige Führungskraft und der Personalbereich einen Mitarbeiter anhand von drei Kriterien:
- der langfristigen Performance des Mitarbeiters, die summarisch eingeschätzt wird,
- der Größe der Stelle innerhalb der fünf Entgeltgruppen und der Entgeltbänder im AT-Bereich,
- der Verfügbarkeit der Position auf dem Arbeitsmarkt.
Anschließend gleichen sie die Bewertung zusammen mit Nachbarbereichen und der nächsthöheren Führungskraft ab. Das Resultat dieses zweistufigen Prozesses ist eine Zielrange im Entgeltband, die in den kommenden Jahren erreicht werden soll. „Solche Bewertungsmeetings führen bei uns regelmäßig zu Diskussionen darüber, wie Führungskräfte Leistung bewerten“, verrät Dr. Schirmer. „Deshalb ist es gerade für eine große Gruppe wie Bosch wichtig, dass über Führungsebenen hinweg immer wieder eine Kalibrierung erfolgt.“ Ganz verschwunden sind individuelle Einmalzahlungen bei Bosch dennoch nicht: Führungskräfte haben die Möglichkeit, anlassbezogene Incentives zu gewähren.
Gegen den Rechtstrend: Infineon
Was Bosch kann, kann Infineon schon lange. Der Münchner Halbleiterhersteller stellte bereits 2010 das alte Bonussystem um und schaffte die individuelle Komponente ab. „Unser altes Vergütungssystem hat sich über Jahre hinweg als zu ineffizient erwiesen“, erinnert sich Maik Metzdorf, Vice-President und Global Head of HR Compensation & Benefits bei der Infineon Technologies AG. „Zwischen den Graden der Zielerreichung für den individuellen Bonus und der individuellen Performance der Mitarbeiter bestand damals nur eine unzureichende Korrelation.“ Vielmehr spielten beim Bonus auch Aspekte mit geringem Bezug zur Performance eine Rolle. Die Folge für das Bonussystem war eine jahrelange Rechtsverschiebung bei allen beteiligten 7.200 Mitarbeitern weltweit, davon 3.300 AT-Mitarbeitern in Deutschland.
Die damalige variable Vergütung von Infineon setzte sich zu gleichen Teilen aus einer Erfolgsbeteiligungskomponente, die vom Unternehmens- bzw. Divisionserfolg abhing, und einer Individual- beziehungsweise Teamkomponente auf Basis von Zielvereinbarungen zusammen. Da sich die durchschnittliche Zielerreichung für den Individual- oder Teamanteil konstant zwischen 100 und 200 Prozent des Zielwerts bewegte, war die variable Zielvergütung in Teilen de facto nicht variabel. „Damals hing der Bonus zu 50 Prozent von individuellen Zielen ab“, erläutert Maik Metzdorf. „Hatte der Mitarbeiter beispielsweise eine 150-prozentige Zielerreichung, erhielt er praktisch die Hälfte, also 75 Prozent, quasi als zusätzliches Fixgehalt.“ Nur ein Viertel des variablen Anteils sei tatsächlich variabel gewesen.
Zurück zum Unternehmensergebnis
Selbst in den Jahren der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, 2008 und 2009, die Infineon besonders stark traf, blieb das Niveau der Bonuszahlungen aufgrund des individuellen Anteils hoch. Ein Systemwechsel musste her. Mit seinem neuen High-Performance-Konzept verfolgte Infineon drei Hauptziele:
- eine enge Verknüpfung von wirtschaftlichem Unternehmenserfolg und Bonuszahlungen
- eine hohe Kostenflexibilität
- ein einfacheres Bonusmodell mit einem geringeren administrativen Aufwand
Das neue Vergütungskonzept richtet die Bonuszahlungen vollständig am wirtschaftlichen Unternehmenserfolg aus. Der zeigt sich
- in der Verzinsung des eingesetzten Kapitals,
- im Liquiditätszufluss und
- im operativen Ergebnis.
Somit richtet sich die Höhe des neuen Erfolgsbonus für alle AT-Mitarbeiter und leitenden Angestellten zu 25 Prozent nach „Return on Capital Employed“ (ROCE) und zu 25 Prozent nach „Free Cashflow“. Beide Faktoren gelten konzernweit und bestimmen auch die variable Vergütung des Vorstandes. Ein weiteres Kriterium für den Bonus der Mitarbeiter unterhalb des Vorstandes ist das sogenannte Segmentergebnis, das zu 50 Prozent einfließt. Es misst den operativen Erfolg des Unternehmens unter Ausklammerung von Sondereffekten. Gehört ein Mitarbeiter einer Division von Infineon an, ist für ihn das jeweilige Segmentergebnis der Division ausschlaggebend. Für die Beschäftigten in divisionsübergreifenden Bereichen gilt das Infineon-Gesamtsegmentergebnis. Für Vertriebsmitarbeiter existiert eine abweichende Regelung, die weiterhin individuelle oder teambezogene Kenngrößen in Höhe von 40 Prozent des variablen Anteils vorsieht.
Mit der variablen Vergütung richtete Infineon den gesamten Vergütungsansatz neu aus. Orientierte sich die Vergütung bislang an einem Jahreszieleinkommen aus einem Fixeinkommen und einer variablen Komponente, die die Mitarbeiter stark beeinflussen konnten, ist die variable Vergütung im heutigen Modell eine reine Erfolgsbeteiligung und umfasst einen etwas geringeren Anteil als früher. Um die Vergütung der Mitarbeiter nicht zu mindern, wurde der individuelle Anteil an der variablen Zielvergütung aufgelöst und zu 75 Prozent in die Fixvergütung überführt. Damit wurde das Grundgehalt spürbar aufgestockt, während 25 Prozent der variablen Vergütung als Erfolgsbeteiligung im System verblieben. Der neue Erfolgsbonus wurde zudem um den sogenannten Überzahlungsanteil von 50 Prozent aus den bisherigen individuellen Bonuszahlungen angehoben. In der Summe erhalten die Mitarbeiter ein höheres Jahreszieleinkommen bei einer gleichzeitig deutlich gestiegenen echten Variabilität.
Die Entkoppelung des Bonus von den individuellen Zielen hatte aber auch einen weiteren, durchaus gewünschten Effekt. „Der Feedbackprozess funktioniert heute deutlich besser, nachdem wir variable Vergütung und Performance-Management entkoppelt haben“, resümiert Maik Metzdorf. Natürlich gehe die Vereinbarung zum Zielgehalt mit dem Performance-Management einher. „Doch im alten System haben sich die Feedbackgespräche zu oft um den Bonus gedreht und zu wenig um die Leistung des Mitarbeiters.“
2012 führte Infineon das neue Bonussystem im Rahmen eines Haustarifvertrags mit der IG Metall für die Tarifmitarbeiter in Bayern ein. Somit gilt die Erfolgsbeteiligung heute durchgängig vom Tarifmitarbeiter bis zum Vorstand.
Bei guter Performance individuell vergüten
„Alles, was wir unternehmen, machen wir deshalb, weil wir als Familienunternehmen langfristig erfolgreich sein wollen“, unterstreicht Christian Brück, Global Head of Compensation & Benefits bei der Freudenberg Gruppe in Weinheim. „Also muss auch das Vergütungsmanagement diesem Grundsatz entsprechen und unserer Unternehmenskultur angemessen gestaltet sein.“ Konkret heißt das, dass das Weinheimer Unternehmen keinen Modetrends folgt, sondern dass die Praxis zum Unternehmen passen muss.
In der Grundvergütung achtet Freudenberg darauf, dass es marktgerecht und angemessen vergütet. „Doch die Musik spielt im variablen Anteil“, hebt Brück hervor. „Dort wollen wir besser als der Markt vergüten, aber das setzt in jedem Jahr eine starke individuelle Leistung und eine Out-Performance des Konzerns und der jeweiligen Geschäftsgruppe voraus.“ Im Gegensatz zu Bosch und Infineon spielt der individuelle Leistungsbeitrag in der variablen Vergütung weiterhin eine relevante Rolle und ist an das Performance-Management im Unternehmen geknüpft. „Wir haben die jährlichen Mitarbeitergespräche im Rahmen des Performance-Managements fest installiert“, so Brück. „Davon weichen wir auch nicht ab, auch wenn andere Unternehmen einen anderen Kurs einschlagen.“
Allerdings denken die Verantwortlichen im Familienunternehmen darüber nach, tendenziell den gemeinsamen Erfolg noch stärker im Bonus zu honorieren. Das kann für die Zukunft bedeuten, dass die individuelle Komponente etwas schwächer gewichtet wird. „Doch wir wollen sie sicher nicht komplett aus der variablen Vergütung herausnehmen“, unterstreicht Christian Brück.
Bei den leitenden Angestellten und weiteren Bonusberechtigten richtet sich die Höhe des individuellen Anteils an der variablen Vergütung vor allem nach dem Cluster in der Hierarchie. Je höher das Cluster ist, in dem ein Mitarbeiter eingruppiert ist, desto geringer ist der prozentuale Anteil der individuellen Komponente. „Der Unternehmenserfolg und der Geschäftsgruppenerfolg, gemessen an den Finanzzielen, sind zentrale Bewertungsindikatoren für unsere Top-Executives in den Geschäftsgruppen“, erklärt Christian Brück. „Für diesen Personenkreis fällt die individuelle Komponente relativ klein aus.“ Hingegen kann die individuelle Komponente des Bonus beim mittleren Management im Maximum 50 Prozent betragen. Die zweiten 50 Prozent sind an Unternehmensziele wie zum Beispiel Umsatz, operatives Ergebnis und Liquidität gekoppelt.
Transparentes Performance-Management
Die Höhe der variablen Vergütung bei Freudenberg errechnet sich nach einer klaren Logik. Die Ziele für den einzelnen Mitarbeiter, den Teilkonzern und die Gruppe sind in einem definierten Rahmen festgelegt – mit Ober- und Untergrenze sowie einem Mittelwert. Bei den Finanzwerten auf Teilkonzern- und Gruppenebene können die Ziele übertroffen werden, bis hin zu einem spürbaren Mehr an Bonus für den Einzelnen. Von unten her müssen die Einstiegswerte für die einzelnen Ziele erreicht werden, um überhaupt eine variable Vergütung zu bekommen. Für die individuelle Komponente ist das jährliche Mitarbeitergespräch mit dem jeweiligen Vorgesetzten relevant, denn dort werden die Ergebnisse analysiert und neue Ziele definiert. Die Bewertung ist für beide Seiten transparent.
In Weinheim werden die Verantwortlichen auch deshalb nicht so rasch an der Systematik der variablen Vergütung rütteln, denn es ist noch nicht so lange her, dass jeder Teilkonzern sein eigenes Bonusmodell hatte. Mit der gruppenweit einheitlichen Regelung sind die Verantwortlichen zufrieden.
Dr. Guido Birkner,
verantwortlicher Redakteur Human Resources
FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag