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Deutscher bAV-Preis: Die betriebliche Altersversorgung braucht Mut für neue Wege

Herr Dr. Jasper und Herr Morgenstern, der Deutsche bAV-Preis hat in diesem Jahr wieder herausragende Modelle und Lösungen ausgezeichnet. Was sind für Sie die Höhepunkte des Preises 2020?

Thomas Jasper: Viele Unternehmen haben die Chancen der bAV erkannt und setzen passgenaue Lösungen um. Dass sie damit richtig liegen, ist durch Studien belegt. Ein Großteil der Mitarbeiter – 72 Prozent – erwartet, dass ihr Arbeitgeber sich in der bAV engagiert, wie der Global Benefits Attitudes Survey von Willis Towers Watson zeigt. Sie honorieren dies mit Loyalität, Weiterempfehlung ihres Arbeitgebers und engagierter Arbeit. Damit bietet die bAV für Unternehmen die Chance, sich als attraktiver Arbeitgeber am Arbeitsmarkt zu platzieren und gleichzeitig die Mitarbeiter bei ihrer Altersvorsorge zu unterstützen.

Klaus Morgenstern: Drei Entwicklungen haben mich besonders beindruckt. Erstens haben wir Modelle gesehen, mit denen Unternehmen es geschafft haben, 100 Prozent der Beschäftigten in die betriebliche Altersversorgung einzubeziehen. Mit Matchingmodellen wohlgemerkt, an denen sich auch der Arbeitnehmer auf dem Wege der Entgeltumwandlung beteiligt. Seit Jahren wird viel darüber diskutiert, wie die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung verbessert werden kann. Einige Unternehmen machen es vor. Zweitens: Die Ausschreibung hat einige Pioniertaten ans Licht gebracht. Während sich die Tarifpartner bei der Umsetzung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes immer noch ziemlich schwer tun, greifen die Vorreiter in der Wirtschaft die neuen Möglichkeiten dieses Gesetzes umgehend auf und nutzen den neuen Spielraum, liefern damit zugleich eine Blaupause für die branchenweiten Tarifverhandlungen. Drittens: die Vielfalt, mit der inzwischen die betriebliche Altersversorgung umgesetzt wird. Es geht längst nicht mehr nur um die Zusage einer Rente, sondern Unternehmen docken Risikovorsorge ebenso an wie Verbindungen zum Beispiel zu Zeitwertkonten. So entsteht Flexibilität für die Beschäftigten bei ihrer Vorsorge.

Die vier prämierten Unternehmen im KMU-Segment bieten jetzt Matchingmodelle an, bei denen der Arbeitgeber die Entgeltumwandlung der Beschäftigten durch eigene Beiträge belohnt. Ist das ein Weg, um sich als mittelständischer Arbeitgeber attraktiver zu machen und Mitarbeiter zu halten?

Thomas Jasper: Ganz klar: ja – und nicht nur im Mittelstand. Mitarbeiter können nur wertschätzen, was sie verstehen. Erfahrungsgemäß beschäftigen sich Mitarbeiter intensiver mit ihrer bAV, wenn sie eigenes Geld investieren. Dann wissen sie auch die finanzielle Förderung durch das Unternehmen besser zu schätzen. Bei gemischt finanzierten bAV-Modellen mit Matching sagen 59 Prozent der Mitarbeiter „die bAV erfüllt meine Bedürfnisse“, ohne Matching hingegen nur 40 Prozent. Matchingmodelle sorgen also für eine höhere Wertschätzung der bAV und den Ausbau der Finanzierungsbasis, ohne dass dadurch zwangsläufig die Kosten für das Unternehmen steigen würden. Wer das nicht nutzt, verschenkt Potenzial.

Klaus Morgenstern: Diese Beispiele sollten möglichst viele Nachahmer finden. Sie vereinen zwei Elemente: Eigenverantwortung des Arbeitnehmers und Fürsorge des Arbeitgebers. Ich halte Matching neben Opting-out für einen entscheidenden Hebel, um die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung weiter zu verbessern.

Mit der Techniker Krankenkasse ist erstmals der Pensionsfonds eines Sozialversicherungsträgers mit weitgehenden Freiheiten in der Kapitalanlage an den Start gegangen. Prompt landete die TK beim bAV-Preis auf dem ersten Platz in der Kategorie Großunternehmen. Zahlt sich Mut zu neuen Wegen in der bAV aus – gerade vor dem Hintergrund des Niedrigzinses?

Klaus Morgenstern: Ohne solchen Mut wird die betriebliche Altersversorgung nicht vorankommen. Das sehen wir gerade bei der reinen Beitragszusage. Der Gesetzgeber hat – übrigens auch auf Wunsch nicht weniger Experten aus der betrieblichen Altersversorgung – diese neue Zusageform eingeführt in Deutschland. Doch der Kulturwandel, der mit dem Verzicht auf Garantien verbunden ist, fällt allerorten noch schwer. Die Techniker Krankenkasse, vor der ich meinen Hut ziehe, hat vorgemacht, wie man einen Kulturwandel erfolgreich bewältigt. Wer die Bedingungen für die Kapitalanlage in der Welt des Sozialgesetzbuches kennt, kann sich ungefähr vorstellen, welche Widerstände beim Umstieg auf die weit freiere, aber dennoch verantwortungsvolle Kapitalanlage eines Pensionsfonds von den Verantwortlichen der Techniker Krankenkasse bewältigt werden mussten.

Thomas Jasper: Jede bAV braucht eine durchdachte Finanzierungsstrategie und jede Finanzierungsstrategie sollte überprüft und – falls notwendig – angepasst werden, wenn sich die äußeren Rahmenbedingungen ändern. Deshalb ist der Mut, neue Wege zu gehen, unerlässlich. Wie vielfältig dies aussehen kann, zeigen die preisgekrönten bAV-Projekte jedes Jahr wieder auf beeindruckende Art und Weise. 

Unter den Preisträgern sind wieder mehrere Unternehmen, die die Möglichkeiten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes für ihre neuen Modelle nutzen. Vor allem das Opting-out-Modell von Bayer und Covestro wirkt sich dank des Einzugs in den Chemietarifvertrag für eine ganze Branche positiv aus. Sollte das nicht Schule machen?

Thomas Jasper: Ja, unbedingt! Opting-out-Modelle sind aus meiner Sicht der Königsweg, um die Verbreitung der arbeitnehmerfinanzierten bAV zu fördern. Die meisten Mitarbeiter wissen, dass sie für das Alter sparen sollten, aber viele scheuen angesichts der komplexen und langfristigen Materie vor einer Entscheidung zurück. Opting-out-Lösungen nehmen ihnen diese Sorge ab, und fast alle Mitarbeiter sind damit zufrieden. Zudem erreichen Mitarbeiter mit bAV ihre Sparziele für das Alter häufiger als Mitarbeiter ohne bAV. Gäbe es mehr Opting-out-Modelle in der Praxis, würde dies das Problem der noch nicht ausreichenden Verbreitung der bAV großflächig lösen.

Klaus Morgenstern: Das Deutsche Institut für Altersvorsorge, für das ich spreche, hat schon vor Jahren in einer Studie auf das Potenzial von Opting-out-Modellen aufmerksam gemacht. Zu unserem Leidwesen wurden damals die Anregungen der Studie nur wenig aufgenommen. Umso mehr freut es uns, dass sich inzwischen Bewegung beim Opting-out abzeichnet. Ich kann nur sagen: mehr davon.

Das laufende Jahr steht ganz im Zeichen der Corona-Krise. Welche Auswirkungen wird die Pandemie aus Ihrer Sicht auf die bAV haben?

Thomas Jasper: Sie stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, weil viele Menschen nun aufgrund von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit weniger als sonst in der Lage sind, für ihr Alter zu sparen, und für sie auch keine Beiträge in die bAV entrichtet werden. Für Unternehmen unterstreicht die Krise noch einmal die Notwendigkeit, dass Pensionspläne grundsätzlich gut durchdacht und risikooptimiert zu gestalten sind. Dabei sollte gerade jetzt die Kommunikation keinesfalls vernachlässigt werden. Mitarbeiter wollen besonders in unsicheren Zeiten wissen, wo sie in der Vorsorge aufs Alter stehen. Sie benötigen Unterstützung für anstehende Sparentscheidungen, insbesondere in kapitalmarktorientierten Vorsorgeplänen. Dabei bleibt die bAV ein langfristiges Thema, das nicht durch kurzfristige Krisen getrieben werden sollte.

Klaus Morgenstern: Kurzfristig bringt die Corona-Krise für alle erst einmal Belastungen und Einschränkungen mit, weil zum Beispiel wegen Kurzarbeit weniger Entgeltumwandlung möglich ist. Die Unternehmen werden sehr genau auf die Zinsentwicklung schauen müssen, die für die Bilanzierung der Pensionsverpflichtungen Auswirkung hat. Bei kapitalmarktbasiertem Planvermögen führten die Kursverluste zu Einbußen. Das alles macht es für die betriebliche Altersversorgung nicht einfacher. Aber dennoch bin ich mir in einem Punkt sicher: Unsere Wirtschaft und damit auch die Betriebsrentensysteme werden diese schwierige Situation meistern. Einige Prozesse, wie zum Beispiel die Digitalisierung, erfahren dadurch sogar eine Beschleunigung.  

Wie wird sich die bAV in Deutschland mittelfristig entwickeln? Können wir heute bereits ablesen, wohin die Reise geht?

Thomas Jasper: Die bAV wird nach wie vor durch die Megatrends Individualisierung und Technologie geprägt. Individualisierung heißt, dass Mitarbeiter auch in der bAV so angesprochen werden wollen, wie sie es vom privaten Internetshopping her gewöhnt sind – also mit frischer, zeitgemäßer Kommunikation, Wahlmöglichkeiten, die online oder per App ausgeübt werden können und einen jederzeit aktuellen Einblick in den bereits erreichten Stand ihrer Vorsorge geben. Der technische Fortschritt ermöglicht und treibt diese Entwicklung. Insgesamt sollte die bAV noch stärker als bislang mit anderen Benefits integriert werden, denn wer vorsorgt, schaut sinnvollerweise nicht nur auf das – eventuell noch in weiter Ferne liegende – Alter, sondern zum Beispiel auch auf Unfall- oder Berufsunfähigkeitsrisiken. Für die Unternehmen bleibt es auch nach der Krise bei der Verantwortung, ihren Mitarbeitern ein effizientes Sparen für das Alter zu ermöglichen. An den Mitarbeitern liegt es, diese Möglichkeiten zu nutzen. Daher gewinnen Kommunikation, „financial education“ und die Beratung zur bAV weiter an Bedeutung. So können Mitarbeiter befähigt werden, die richtigen Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Klaus Morgenstern: Lassen Sie mich statt einer konkreten Prognose einen Wunsch äußern: In Zukunft sollte jeder Arbeitnehmer am Ende seiner Erwerbstätigkeit neben der gesetzlichen Rente auch eine Betriebsrente erhalten. Davon sind wir heute noch ein gutes Stück entfernt. Aber ich halte das für nötig und auch für möglich. 

Das Interview führte Dr. Guido Birkner.