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Die Angst des Aufsichtsrats vor der eigenen Performance

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Vergütung in Anlehnung an die Performance ist seit Jahren die Marschrute vieler Aufsichtsräte bei der Festlegung der Vorstandsgehälter, so auch bei der Deutschen Börse. Doch eine fortlaufend gute Geschäftslage und ein steigender Aktienkurs könnten die variable Vergütung in astronomische Höhen springen lassen. Da der Vorstandsvorsitzende Carsten Kengeter zudem unter Insiderverdacht steht und ihm die Staatsanwaltschaft im Nacken sitzt, deckelt der Aufsichtsrat lieber schnell die Vorstandsgehälter – und konterkariert damit seine eigene Vergütungsstrategie.

 

Entscheidungen über neue Vergütungspläne für Vorstände, die im Visier der Staatsanwaltschaft und der Finanzbehörden stehen, wollen gut überlegt sein. Das Damoklesschwert, das wegen des Insiderverdachts über dem Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, schwebt, hat den Aufsichtsrat des DAX-Unternehmens dazu bewogen, eine Vergütungsobergrenze für die Vorstände einzuführen. „Wir wollen dem Vorstand auch weiterhin wettbewerbsfähige Anreize für gute Leistungen und nachhaltigen Unternehmenserfolg bieten, gleichzeitig aber mögliche und nicht gewollte Ausschläge verhindern“, begründete der Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Faber die neue Obergrenze im angepassten Vergütungsmodell.

 

Im Mittelpunkt der Limitierung steht eine Begrenzung der jährlichen Vorstandsvergütung aus fixen und variablen Gehaltsbestandteilen sowie betrieblicher Altersversorgung auf maximal 9,5 Millionen Euro. Wie eilig es das Aufsichtsorgan mit dem Beschluss hat, zeigt die Tatsache, dass die Obergrenze schon mit Blick auf die Vorstandsvergütung für das Jahr 2017 wirksam werden soll. Zwar läuft der aktuelle Anstellungsvertrag von Carsten Kengeter Ende März 2018 aus und wurde bislang noch nicht verlängert, doch der Aufsichtsrat der Deutschen Börse will ihren Vorstandschef offenbar halten. Die Korrektur bei der Vergütung betrifft vor allem deren erfolgsabhängige Teile, die Kengeter im Maximum bis zu 40 Millionen Euro bescheren könnten, wie Aktionäre auf der diesjährigen Hauptversammlung vorgerechnet haben.

 

Steht das Ermittlungsverfahren kurz vor der Einstellung?

 

Der Börsenchef steht unter dem Verdacht der Marktmanipulation und des Insiderhandels. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main seit Monaten gegen ihn. Auch die Finanzaufsicht BaFin und die hessische Börsenaufsicht haben Untersuchungen begonnen. Im Mittelpunkt steht ein Kauf von 60.000 Aktien der Deutschen Börse durch Kengeter zum Preis von 4,5 Millionen Euro im Dezember 2015. Das Problem bei dem Deal: Rund zwei Monate später gaben die Deutsche Börse und die London Stock Exchange die Pläne für eine Fusion bekannt, mit der Folge, dass die Kurse der beiden Unternehmen stiegen. Zwar platzte der Zusammenschluss, doch die Staatsanwaltschaft wirft Kengeter vor, den privaten Aktienkauf im Wissen um die geplante Fusion getätigt zu haben.

 

Auch ging es bei dem Aktienkauf 2015 um 69.000 weitere Anteilsscheine, sogenannte Co-Performance-Shares. Die erhielt der Börsenchef dank seines persönlichen Vergütungsprogramms. Die Performance dieser Papiere richtet sich nach dem mittelfristigen Konzernüberschuss und nach der Aktienrendite des Unternehmens im Vergleich zu anderen Finanzkonzernen. Auf der Hauptversammlung 2017 mussten sich Vorstand und Aufsichtsrat die Kritik mehrerer Aktionäre am Vergütungsprogramm von Carsten Kengeter anhören. Die Kritik zeigte Wirkung auf die Aufseher.

 

Ob die Geschichte für den in Bedrängnis geratenen Börsenchef glimpflich ausgehen wird, ist offen. Zwar hat sich die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main jüngst mit dem Ersuchen an das Amtsgericht Frankfurt am Main gewandt, das Ermittlungsverfahren gegen Kengeter gegen eine Geldbuße in Höhe von 500.000 Euro einzustellen. Die Deutsche Börse selbst soll für die Einstellung des Verfahrens eine Zahlung von 10,5 Millionen Euro in Aussicht gestellt haben. Aber die Finanzaufsicht BaFin lehnt die sich anbahnende Einigung mit der Staatsanwaltschaft laut den Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg bislang als zu niedrig ab. Eine offizielle Stellungnahme der BaFin zu diesem Fall liegt nicht vor.

 

Erst 2016 wurde ein neues performanceorientiertes Vergütungsmodell beschlossen

 

Somit ist unklar, ob die Notbremse bei der Vorstandsvergütung die Deutsche Börse vor weiterem Schaden bewahren kann. In jedem Fall hat der Aufsichtsrat sein neu eingeführtes System für die Vorstandsvergütung kurzerhand über den Haufen geworfen. Erst im Januar 2016 hatte das Aufsichtsorgan den Beschluss über das neue System getroffen, und auch die Hauptversammlung stimmte ihm im Mai 2016 zu.

 

Das System folgte drei zentralen Leitlinien. Die erste Leitlinie sah eine „ausgeprägte Performance-Orientierung und hohe Leistungsdifferenzierung durch ambitionierte interne und externe Zielsetzungen vor“. Damit beschrieb der Aufsichtsrat im Vergütungsbericht seine exponierten Wachstumserwartungen für das Unternehmen gegenüber dem Vorstand. Um das Managerteam zugleich von einem zu riskanten Geschäftsgebaren abzuhalten, bauten die Aufseher mehrjährige Bemessungsgrundlagen, Nachhaltigkeitskomponenten und zeitlich gestreckte Auszahlungen als Bremsen ein. So sollte der Vorstand Performance und Nachhaltigkeit zugleich verfolgen. Die dritte Leitlinie – und dort liegt die eigentliche Wurzel der aktuellen Bredouille des Börsenchefs – sah eine enge Verknüpfung des Vergütungssystems mit einer Aktienkultur vor.

 

Die Mitglieder des Vorstands der Deutschen Börse erhalten laut dem aktuellen Vergütungsbericht der Deutschen Börse neben einer Grundvergütung eine erfolgsabhängige Komponente, die sich auf rund 70 Prozent der Gesamtzielvergütung eines Jahres beläuft. Die erfolgsabhängige Verteilung setzt sich aus einem Performance-Bonus und aus Performance-Aktien zusammen. Der Performance-Bonus erfährt seine Bewertung auf Basis des Performance-Bonus-Plans. Er macht etwa zwei Drittel der erfolgsabhängigen Vergütung und rund 45 Prozent der Gesamtzielvergütung aus. Der Performance-Bonus besteht zu gleichen Teilen aus einem aktienbasierten Anteil und einem Baranteil.

 

Die Bewertung und Zuteilung der Performance-Aktien erfolgt im Rahmen des Performance-Share-Plans. Die Performance-Aktien berücksichtigen die Wertentwicklung der Deutsche-Börse-Aktie über einen fünfjährigen Performance-Zeitraum. Somit liegt der Auszahlungszeitpunkt, ausgehend vom Berichtsjahr, in der Zukunft. Der Anteil der Performance-Aktien beläuft sich auf ein Drittel der erfolgsabhängigen Vergütung und auf etwa 25 Prozent der Gesamtzielvergütung.

 

Der Aufsichtsrat bewertet die Zielerreichung der einzelnen Vorstandsmitglieder anhand verschiedener Kriterien. Sie stellen die Basis für die Ermittlung der Höhe des Performance-Bonus und für die Anzahl und den Wert der Performance-Aktien dar. Konkret wird die Zielerreichung für den Performance-Bonus auf der Basis des Performance-Bonus-Plans über ein Geschäftsjahr errechnet. In das Bewertungsverfahren fließen zwei Komponenten ein: zu zwei Dritteln der Konzernjahresüberschuss und zu einem Drittel die individuellen Leistungen der Vorstandsmitglieder.

 

Die bare Auszahlung des gesamten Performance-Bonus erfolgt spätestens mit dem regulären Gehaltslauf für den Kalendermonat, der auf die Billigung des Konzernjahresabschlusses der Deutsche Börse AG folgt. Zudem sind die Vorstandsmitglieder dazu verpflichtet, 50 Prozent der Gesamtauszahlung nach Steuern in Aktien der Deutsche Börse AG zu investieren und diese für mindestens drei Jahre zu halten. Genau damit nahm der unglückliche Aktienkauf von Carsten Kengeter seinen Lauf.

 

guido.birkner@frankfurt-bm.com