Herr Professor Scheuermann, Sie sind Koautor der Studie „The Berlin Startup Salary Report“. Wie transparent ist die Vergütung in der Gründerszene, vor allem in Berlin?
Ingo Scheuermann: Insgesamt ist die Vergütungslandschaft im Start-up-Bereich heterogen und wenig systematisch strukturiert. Das liegt daran, dass jede Unternehmensgründung individuell ist, am Start wie auch in der weiteren Entwicklung. Ich beobachte gewisse Ähnlichkeiten in der Vergütungssystematik bei Start-ups, die dieselben Investoren haben und von ihnen gesteuert werden. Auf der Basis unserer Studie lässt sich sagen, dass die Unternehmen in Berlin im Median besser vergüten als Unternehmen, die nicht in Berlin sitzen. Das gilt auch für den Vergleich zwischen Berliner Start-ups und Start-ups an anderen Orten in Deutschland. Allerdings liegt die Vergütung in Berliner Start-ups im Median unter der von Berliner Unternehmen, die nicht dem Start-up-Bereich zuzuordnen sind. Wir können also einen starken Berlin-Effekt am Gehalt ablesen.
Was waren für Sie überraschende Ergebnisse der Studie?
Ingo Scheuermann: Mich hat der extreme Gender-Pay-Gap erstaunt. Über alle Alters- und Funktionsgruppen hinweg beträgt die Kluft beim Festgehalt zwischen Männern und Frauen in Berlin fast 1.000 Euro pro Monat. Im gesamten übrigen Bundesgebiet beläuft er sich auf 800 Euro. Der Gap wird noch größer, wenn wir uns die Korrelation mit der Berufserfahrung anschauen. Bei den Berliner Befragten ab zehn Jahren Berufserfahrung beträgt er sogar 1.200 Euro. Auch bei den Funktionen ist der Gap zwischen den Geschlechtern verschieden hoch. Sehr ausgeprägt ist er bei Softwareentwicklern und im Produktmanagement, weniger in Marketing und Logistik.
Haben Start-ups einen überdurchschnittlichen Nachholbedarf beim Thema Equal Pay?
Ingo Scheuermann: Hier muss man differenzieren. Während Frauen und Männer, die jeweils über maximal zwei Jahren Berufserfahrung verfügen, annähernd gleich vergütet werden, weitet sich der Gap beträchtlich mit wachsender Berufserfahrung. Zudem ist der Gap bei den Befragten im Alter von 36 bis 40 Jahren am größten. Das ist genau das Alter, in dem viele Frauen Mütter werden. Also leben auch in Start-ups traditionelle Rollen anscheinend fort. Allerdings verringert sich der Gap zwischen den Geschlechtern wieder, wenn wir uns die Personen in der Altersgruppe über 40 Jahre anschauen. Zudem haben wir herausgefunden, dass Frauen trotz der schlechteren Vergütung insgesamt mit ihrem Job fast genauso zufrieden sind wie ihre männlichen Kollegen, wobei sie sich auch nur leicht mehr unterbezahlt fühlen. Offensichtlich spielt die Vergütung insgesamt keine so dominante Rolle in Bezug auf die Zufriedenheit.
Welche Erkenntnisse konnten Sie über Vergütungsmodelle in Start-ups generell gewinnen?
Ingo Scheuermann: Die Szene ist aufgrund der Individualität der Gründungsprojekte ziemlich intransparent. Vor allem aber haben Gründer in den ersten Jahren andere Prioritäten. Sie müssen ihre Geschäftsidee umsetzen und in erster Linie sich an der zur Verfügung stehenden Liquidität orientieren. Da spielt Vergütung nur eine untergeordnete Rolle. Letztlich weiß das jeder Gründer und zahlt sich selbst zu Beginn nur ein Minimum zur Deckung der Lebenshaltungskosten aus. Viel verdienen können Gründer zu einem späteren Zeitpunkt. Durch unsere Studie haben wir noch herausgefunden, dass Mitarbeiter in Start-ups absolut geringer vergüten als traditionelle Unternehmen. Ohne die Vergütungsstrukturen en Detail untersucht zu haben, lässt sich beobachten, dass in Start-ups die erfolgsabhängige Komponente an der Gesamtvergütung oft größer ist als in etablierten Unternehmen. Beispielsweise ist die Vergütung von Softwareentwicklern in Start-ups oft variabler gestaltet, da sie an definierte Milestones geknüpft ist.
Welche Rolle spielt Vergütung für Start-ups? Ist sie vor allem Entgelt, Motivationsinstrument oder HR-Tool?
Ingo Scheuermann: HR ist für Gründer extrem wichtig, aber die Rolle von Vergütung als Motivationsinstrument ist zumindest in den ersten Jahren untergeordnet, denn in dieser Phase geht es ums Überleben und nicht ums Verdienen. Aber natürlich müssen Start-ups auch mal einen guten Vertriebsexperten einkaufen, der seinen Preis hat. Dann entstehen Vergütungspakete aus eher schmalem Festgehalt und größeren variablen Bonus- und Equityanteilen. Grundsätzlich speist sich in Gründerteams die intrinsische Motivation vor allem aus der Möglichkeit, eine Idee und sich selbst zu verwirklichen. Dafür brauchen Gründer sehr gute Leute, weshalb HR, Employer-Branding und Recruiting zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen, die oft durch das Managementteam informell vorangetrieben werden. Nur wenn das gelingt, gewinnt ein Start-up High Potentials für ein geringeres Gehalt, als es ein Industriekonzern zahlen könnte.
Ab welchem Stadium sollten sich Gründer Gedanken über das Vergütungsmodell machen?
Ingo Scheuermann: Dass Vergütung nicht die Hauptmotivation für Gründer und ihre Mitarbeiter ist, bedeutet nicht, dass das Vergütungsmodell gleichgültig ist. Schon im Business-Plan muss ein Gründerteam klären, wie es seine Beschäftigten vergüten will. Das Unternehmen muss seine laufenden Kosten decken, dazu gehören auch die Personalkosten. Start-ups können sich in den ersten Monaten und Jahren rasch und stark entwickeln, auch das Geschäftsmodell verändert sich oft kontinuierlich. Die Lernkurve ist steil, die Organisation und die Prozesse sind agil und wandeln sich. Diese Wachstumsphase berührt auch das Vergütungsmodell, denn spätestens ab dem zehnten bis 15. Mitarbeiter oder ab einer Zellteilung, etwa mit einer neuen Landesgesellschaft im Rahmen einer Internationalisierung, ist ein Start-up gezwungen, seine HR-Funktionen zu professionalisieren. Die Modelle, die dabei zur Anwendung kommen, sind verschieden. Wichtig ist, dass die Gründer von Anfang an Regeln festlegen, die klar, transparent und fair sind. Häufig geben die Gründer sowie die Investoren die Gehaltshöhen vor. Transparenz ist in einem kleinen Team möglich und notwendig, doch sie muss nicht zur kompletten Offenlegung der Gehälter führen. Je nach Branche und Funktion sind höhere variable Anteile sinnvoll.
Welche Rolle spielen Nebenleistungen für Start-ups?
Ingo Scheuermann: Nebenleistungen spielen in Start-ups keine Rolle. Eine Betriebsrente kann sich kaum ein Arbeitgeber oder Angestellter leisten. Auch brauchen Mitarbeiter in der Regel keinen Dienstwagen. Wenn Mobilität, dann wählen sie Car-Sharing oder eine andere Lösung. Nebenleistungen sind in Start-ups oft eventgetrieben, indem das Team gemeinsam etwas unternimmt. Das ändert sich sicherlich im fünften Jahr nach der Gründung, wenn sich das Unternehmen etabliert hat. Wahrscheinlich ist das Desinteresse an klassischen Nebenleistungen typisch für die junge Generation. Die Leute wollen sich verwirklichen und ihre Geschäftsidee voranbringen. Deshalb sollte man ihnen Anreize und Selbstverantwortung geben, dann sorgen sie selbst für sich.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.