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Zeitenwende auch beim Gehalt?

Die Inflation zieht bereits seit rund einem Jahr langsam an. Die Gründe: Die weltweite Konjunkturerholung nach dem wirtschaftlichen Einbruch durch die Pandemie trifft auf Probleme in der Güterproduktion und den Lieferketten; gleichzeitig stößt die erhöhte Nachfrage nach bestimmten Produkten auf Preissteigerungen bei den Energiekosten. Der Krieg in der Ukraine verstärkt diese Faktoren noch. Mittlerweile sind sich alle Experten einig: Die Inflation wird wohl auf längere Sicht hoch bleiben.

Dabei verzeichnen die Beschäftigten schon seit zwei Jahren einen Rückgang ihrer Reallöhne. Umso verständlicher ist es, wenn sie angesichts steigender Preise nun einen Ausgleich über höhere Löhne erwarten. Und das nicht mehr im gewohnten Rahmen von rund drei Prozent, sondern deutlich darüber. Auch die IG Metall fordert in der aktuellen Tarifrunde für die Beschäftigten in der Stahlindustrie im Osten 8,2 Prozent mehr Lohn. Was könnten die Folgen einer satten Gehaltserhöhung sein?

Der Bundesfinanzminister warnt in dem kürzlich vorgelegten Strategiepapier „Finanzpolitik in der Zeitenwende“ davor, dass „erhöhte Inflationserwartungen bei Unternehmen und Gewerkschaften in Lohn- und anderen Vertragsverhandlungen einfließen und sich die aktuell hohe Inflation so mittelfristig in höheren Inflationsraten verfestigt“. Die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale könnte also in Gang kommen. Am Ende würden die gewonnenen Lohnsteigerungen der Arbeitnehmer wiederum durch höhere Preise vernichtet.

Doch die steigende Inflation erhöht nicht nur den Druck auf das Grundgehalt, sondern auch auf das Angebot betrieblicher Zusatz- und Sozialleistungen. Dabei haben manche betriebliche Gehaltsextras eine wichtige Funktion: Sie stärken die Arbeitgeberattraktivität und die Motivation der Beschäftigten.

Viele Bausteine bei Inflation wirkungslos

Die Deutsche Bahn führte 2018 ein besonderes Cafeteria-Modell ein: Die Mitarbeiter konnten zwischen 2,6 Prozent mehr Lohn, sechs zusätzlichen Urlaubstagen oder einer geringeren Wochenarbeitszeit auswählen. Rund 58 Prozent der Beschäftigten entschieden sich damals für die zusätzlichen Urlaubstage, annähernd 40 Prozent wählten die Gehaltserhöhung bei gleichbleibender Arbeitszeit, und nur 1,8 Prozent wollten jede Woche eine Stunde weniger arbeiten. 2021 hat die Deutsche Bahn das Modell optimiert und um Kombinationsmöglichkeiten erweitert. Im Grunde können die Beschäftigten jedes Jahr erneut eine der drei Optionen (Lohnerhöhung, mehr Urlaub oder Arbeitszeitverkürzung) wählen.

Sechs zusätzliche Urlaubstage entsprechen rein rechnerisch einer Lohnerhöhung von rund drei Prozent. Diese erfolgt allerdings in Form von bezahlter Freizeit, also eingesparter Arbeitsverpflichtung. Doch genau hier liegt das Dilemma: Der Gehaltseingang bleibt gleich, höhere Stromkosten und teurere Lebensmittel können Arbeitnehmer damit nicht ausgleichen. Die Inflation entwertet erbarmungslos auch viele bislang äußerst attraktive Gehaltsbausteine.

Druck auf betriebliche Zusatzleistungen

Abgesehen von nicht immer direkt monetär zu messenden Leistungen, wie kostenfreien Getränken, flexiblen Arbeitszeiten, kostenlosen Parkplätzen, Weiterbildungsangeboten und mehr Urlaub, führen bislang die betriebliche Altersvorsorge (bAV) und vermögenswirksame Leistungen (VWL) deutlich das Ranking der attraktivsten betrieblichen Sozialleistungen an. Danach rangieren Sachbezugs- und Verpflegungsleistungen, und mit etwas Abstand folgen Angebote wie Dienstwagen/Dienstfahrrad, Zuschüsse zum ÖPNV (Jobticket), die Übernahme von Telekommunikationskosten oder entsprechender Geräte, Gesundheitskurse, Erholungsbeihilfen, Beratungsangebote und verschiedene zusätzliche Versicherungsleistungen.

Auch für diese Extras gilt: Die Inflation führt zu einer Krise der betrieblichen Zusatzleistungen. Den  Preisdruck auf die Arbeitnehmer gleicht ein Obstkorb im Unternehmen ebenso wenig aus wie der überaus sinnvolle und wertige Zukunftssicherungsbaustein der betrieblichen Altersvorsorge. Letztlich lassen sich aber damit kein Supermarkteinkauf und oder gar höhere Strompreisrechnungen finanzieren.

Neue Präferenzen der Mitarbeiter

Diese Entwicklung führt zu einer Art Rochade, also einem ganz neuen Ranking der betrieblichen Zusatzleistungen: Von den Plätzen 3 und 4 rücken der steuerfreie Sachbezug als Einkaufs-, Regionalgutschein oder Tankkarte sowie Verpflegungszuschüsse in Form von Restaurantschecks oder digitalen Essenmarken nach vorne.

Aktuell sind gerade die Sachbezugsleistungen noch attraktiver geworden. Der Gesetzgeber hat die bisherige Freigrenze von § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG zum Jahresbeginn 2022 auf 50 Euro pro Monat angehoben. Das Bundesfinanzministerium hat mit einem konkretisierenden BMF-Schreiben vom 15. März 2022 nahezu alle Zweifelsfälle und Fragen zum Sachbezug geklärt. Die monatliche Gewährung von 50 Euro als Einkaufsgutschein oder Tankkarte ist somit einfach und sicher umzusetzen. Für den Arbeitgeber komplett steuer- und sozialabgabenfrei führt es bei den Beschäftigten ebenfalls zu einem abzugsfreien Zufluss von 50 Euro brutto für netto.

Mindestlohn: Lohnabstandsgebot verstärkt Einsatz von Sachbezügen

Eine gesetzgeberische Maßnahme führt paradoxerweise ebenfalls dazu, dass verstärkt steuerfreie Zusatzleistungen zum Einsatz kommen. Die für den 1. Oktober 2022 in Aussicht stehende Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns kann natürlich nicht mit steuerfreien Sachbezügen umgesetzt werden. Der große Schritt auf 12 Euro stellt für viele Unternehmen aber eine zusätzliche Herausforderung dar. Laut einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung haben aktuell rund 22 Prozent  der Beschäftigten einen Stundenlohn von unter zwölf Euro. Während die schon länger beschäftigten Mitarbeiter der untersten Gehaltsstufen in den zurückliegenden Jahren mehrere Erhöhungen durchlaufen haben und vielleicht bei 11,50 Euro oder 12,40  Euro liegen, steigt ein Neuzugang ab Oktober sofort mit 12 Euro ein. Das frustriert jene, die schon länger Leistung erbracht haben.

Den steuer- und sozialversicherungspflichtigen Bruttolohn für sie weiter anzuheben, können sich viele Unternehmen nicht leisten. Gleichwohl ist ein gewisser Lohnabstand zum Mindestlohn aus Gerechtigkeits- und Motivationsgründen geboten. Daher setzen Unternehmen auch hier nun öfter auf steuerfreie Sachbezugslösungen. Statt 120 Euro brutto inklusive Arbeitgebersozialbeiträgen aufzuwenden, damit 50 Euro netto bei einem Mitarbeiter ankommen, kann zweimal eine Bezahlkarte in Höhe von 50 Euro brutto für netto für Sachbezüge gewährt werden.

Auch Verpflegungszuschüsse werden attraktiver

Die Deutschen geben bislang nur einen relativ geringen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Gemäß der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung lag der Anteil zuletzt bei etwa 12 Prozent. Während in anderen europäischen Ländern bis zu einem Viertel der Beschäftigten einen Verpflegungszuschuss vom Arbeitgeber erhalten und dieser sogar verpflichtend zur Auswahl gestellt werden muss, bekommen in Deutschland nur rund 1,5 Prozent der Beschäftigten eine solche Leistung.
Daher werden Verpflegungszuschüsse im Vergleich zu früher als deutlich attraktivere Zusatzleistung wahrgenommen. Zumal der Staat die Mitarbeiterverpflegung ebenfalls steuerlich begünstigt: Mitarbeitern kann über diese Lösung mittels Restaurantschecks oder digitalen Essenmarken abgabenfrei ein monatliches Budget zwischen rund 100 und 150 Euro zugewendet werden.

Fazit

Die Inflation stellt bisherige betriebliche Zusatzleistungen auf den Prüfstand: Manche wirken nicht mehr oder erreichen nicht die ganze Belegschaft. Einige Gehaltsbausteine bieten dagegen ein deutliches Entlastungspotenzial – und den Unternehmen die wertvolle Möglichkeit, den Beschäftigten in schwierigen Zeiten eine spürbare Unterstützungsleistung zu bieten. Geschäftsführer und Personalverantwortliche sollten diese Chancen unbedingt nutzen.

George Wyrwoll
HR-Experte und Head of Communications
Sodexo Benefits and Rewards Services
george.wyrwoll(*)sodexo(.)com
www.sodexo.de