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Ein Ausschuss gegen regulatorische Komplexität

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Mit der Einrichtung eines Vergütungsausschusses im Aufsichtsrat betritt der Technologiekonzern Siemens in Deutschland Neuland. Für die Aufsichtsratsmitglieder ist das Vergütungsthema so relevant, dass sie ein solches Gremium in Anlehnung an internationale Vorbilder institutionalisiert haben. Jetzt hat der Aufsichtsrat auf Empfehlung des Ausschusses die Struktur des Vorstandsvergütungssystems vereinfacht.

 

Nicht nur die Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften, sondern auch die Mitglieder von Aufsichtsräten sehen sich seit gut zehn Jahren mit zunehmend strengeren Regulierungsvorschriften konfrontiert. Das Aktiengesetz schreibt seit jeher vor, dass Aufsichtsratsmitglieder den Vorstand zu überwachen haben. Dazu müssen die Mitglieder Bücher, Geschäftsvorgänge und Vermögen der Gesellschaft einsehen und prüfen. Falls dem Unternehmen durch pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsrats ein Schaden entsteht, können dessen Mitglieder persönlich und gesamtschuldnerisch in Haftung genommen werden. Diese persönliche Haftung wurde im Rahmen des „Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)“ vom 31. Juli 2009 auf die Festsetzung unangemessener Vorstandsvergütungen erweitert.

 

Professionelle Beschäftigung mit Vorstandsvergütung

 

Die Vorstandsvergütung ist ein besonders heikles und komplexes Thema. Hier haben der deutsche Gesetzgeber, der Deutsche Corporate Governance Kodex sowie europäische Institutionen die Regulierung seit den 2000er Jahren verschärft und den Unternehmen eine detailliertere Offenlegung der Bezüge vorgeschrieben. „Das Thema ist einfach zu komplex geworden“, erklärt Helmut Mannert, Abteilungsleiter Governance & Markets, Top Executives & Equity Compensation bei der Siemens AG in München. „Heute nehmen die Aspekte Angemessenheit und Nachhaltigkeit der Vorstandsvergütung so viel Raum ein, dass der Aufsichtsrat nicht ohne eine professionelle und umfassende Erörterung aller relevanten Themen auskommt.“ Daraus zog der Aufsichtsrat im Sommer 2013 die Konsequenz, einen Vergütungsausschuss einzurichten. Außerhalb von Großbanken ist es das erste Gremium dieser Art in Deutschland. Andere Aktiengesellschaften erörtern die Vorstandsvergütung oft im Personalausschuss.

 

Der Ausschuss befasst sich insbesondere mit Fragen der Vorstandsvergütung und erarbeitet Vorschläge für den Aufsichtsrat, wie sich das Vergütungssystem weiterentwickeln lässt. „Die Mitglieder dieses Gremiums nehmen sich die Zeit, die die Vorstandsvergütung auch verdient“, betont Helmut Mannert. Auf der Tagesordnung stehen Themen wie das Austarieren zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Angemessenheit, die maximale Höhe der Vergütung sowie die Incentivierung des nachhaltigen Unternehmenserfolgs im Einklang mit der Unternehmensstrategie. Zudem macht sich das Gremium Gedanken über die Aspekte Transparenz, Verständlichkeit und öffentliche Akzeptanz der Vergütung. „Das Unternehmen und vor allem der Aufsichtsrat müssen jederzeit in der Lage sein, bei Bedarf zur Vorstandsvergütung öffentlich Stellung zu beziehen“, betont Mannert.

 

Die Existenz eines Vergütungsausschusses entlässt den Aufsichtsrat natürlich nicht aus seiner Verantwortung, da das Delegationsverbot der Entscheidungen zur Vorstandsvergütung, das das Aktiengesetz seit dem Jahr 2009 vorschreibt, uneingeschränkt gilt. Deshalb verabschiedet der Vergütungsausschuss von Siemens lediglich Beschlussempfehlungen, die er dem Aufsichtsrat vorlegt. Über die Annahme der Empfehlungen entscheidet allein das Aufsichtsratsplenum.

 

Aufgabenkatalog des Ausschusses

 

Bei seinem ersten Zusammenkommen hat der Aufsichtsrat dem Vergütungsausschuss eine eigene Geschäftsordnung gegeben. Demnach tritt er mindestens dreimal im Geschäftsjahr zusammen. Dem sechsköpfigen Gremium gehören drei Arbeitnehmervertreter und drei Vertreter der Anteilseigner an. Interne sowie externe Fachexperten sind zur Beratung bei speziellen Vergütungsfragen anwesend. Die zentrale Aufgabe des Ausschusses besteht darin, die Beschlüsse des Aufsichtsratsplenums über

  • das Vergütungssystem für den Vorstand einschließlich der Umsetzung dieses Systems in den Vorstandsverträgen,
  • die Festlegung der Zielvorgaben für die variable Vergütung,
  • die Festsetzung und Überprüfung der Angemessenheit der Gesamtvergütung der einzelnen Vorstandsmitglieder und
  • die Billigung des jährlichen Vergütungsberichts vorzubereiten.

Der Ausschuss ist auch dafür zuständig, die regelmäßige Überprüfung der Vorstandsvergütung durch das Aufsichtsratsplenum vorzubereiten. Das Vergütungssystem betont durch die Gewährung eines erheblichen Teils der Vergütung in Aktien und die Einführung einer Aktienhaltepflicht die Eigentümerkultur. Weiter bedarf eine starke Erfolgsorientierung einer intensiven Auseinandersetzung mit den Strategie- und Steuerungsgrößen des Unternehmens, die im Vergütungsausschuss zur Vorbereitung der Empfehlungen an den Aufsichtsrat erfolgt.

 

Ein Maßnahmenpaket, das der Ausschuss in seinen ersten beiden Jahren ausgearbeitet hat, zielte darauf ab, das Vergütungssystem zu vereinfachen. An den regulatorischen Rahmenbedingungen wollte der Aufsichtsrat natürlich nicht rütteln, doch er brachte ab dem Geschäftsjahr 2015 ein neues und einfacheres Vergütungssystem für den Vorstand der Siemens AG an den Start, welches weiterhin alle regulatorischen Anforderungen erfüllt. „Das war unsere Nagelprobe“, resümiert Helmut Mannert. „Wir haben die Komplexität auf das notwendige Maß reduziert und das System deutlich transparenter gestaltet. Dazu gehört auch die betragsmäßige Höchstgrenze für die Vergütung, die das 1,7-fache der Zielvergütung beträgt.“

 

Eine Prämisse von Ausschuss und Aufsichtsrat bei der Neustrukturierung des Vergütungssystems war, die individuelle Leistung der einzelnen Vorstandsmitglieder stärker zu berücksichtigen. So hat der Aufsichtsrat zu Beginn des Geschäftsjahres 2014 mit den Vorstandsmitgliedern bis zu fünf individuelle Ziele vereinbart. Eine Maßnahme, die zeitaufwendig, aber notwendig war. „Damit ist der Aufsichtsrat auch einer Forderung der Hauptversammlung und der Investoren nachgekommen“, erläutert Mannert.

 

Drei Komponenten der neuen Vorstandsvergütung

 

Das System für die Vorstandsvergütung bei der Siemens AG besteht aus drei Komponenten. Die Grundvergütung, die variable Vergütung und die langfristige aktienbasierte Vergütung machen fortan bei allen Vorstandsmitgliedern jeweils etwa ein Drittel der Gesamtvergütung aus. Das Gestaltungsprinzip der Vorstandsvergütung wird im Konzern im Sinne der Durchgängigkeit auf das Vergütungssystem des Top-Managements und des Senior Managements weitgehend übertragen. Die variable Vergütung Bonus, die bar gewährt wird und sich nach dem geschäftlichen Erfolg des Unternehmens im Geschäftsjahr richtet, hängt seit 2015 zu je einem Drittel von der Zielerreichung in den Kategorien Kapitaleffizienz und Ertrag sowie von individuellen Zielen ab. Durch diese Gewichtung erfährt die individuelle Leistung jedes einzelnen Vorstandsmitglieds mehr Relevanz.

 

Bei der Festlegung der individuellen Ziele spielen geschäftsnahe Ziele wie beispielsweise Marktausschöpfung und Geschäftsentwicklung ebenso eine Rolle wie die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Innovationen und Nachhaltigkeit. Für das Geschäftsjahr 2015 setzte der Aufsichtsrat die Ertragszielwerte anhand einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage fest. Wie schon im früheren Vergütungssystem bewegt sich der Zielerreichungsgrad des Bonus in einer Spanne von 0 Prozent bis 200 Prozent. Das bedeutet, dass die variable Vergütung bei deutlichen Zielverfehlungen vollständig verfällt. Weiter kann der resultierende Betrag auf Vorschlag des Vergütungsausschusses durch den Aufsichtsrat nach pflichtgemäßem Ermessen um bis zu 20 Prozent nach unten oder oben angepasst werden. Dabei wird genau auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie auf Anreize für eine nachhaltige Unternehmensführung geachtet.

 

Die langfristige aktienbasierte Vergütung erhalten die Vorstandsmitglieder weiterhin in der Form verfallbarer Zusagen auf Siemens-Aktien. Um die individuellen Erfahrungen eines Vorstandsmitglieds sowie Umfang und Beanspruchung der Funktion abbilden zu können, lässt sich der jährliche Zielbetrag aller Vorstandsmitglieder jeweils für ein Geschäftsjahr individuell um bis zu 75 Prozent des vertraglich vereinbarten Zielbetrags anheben. Mit der Neustrukturierung der Vorstandsvergütung wird die langfristige aktienbasierte Vergütung ab 2015 allein an die Entwicklung der Siemens-Aktie im Vergleich zu derzeit fünf Wettbewerbern – ABB, General Electric, Rockwell, Schneider und Toshiba – geknüpft. Die Kursveränderung wird, ausgehend von einer Referenzperiode von zwölf Monaten, dem Vergütungsjahr, über drei Jahre gemessen. Die Sperrfrist beträgt vier Jahre. Nach Ablauf dieser Sperrfrist wird festgestellt, wie sich die Siemens-Aktie im Vergleich zu den fünf Wettbewerbern ent­wickelt hat. Hieraus resultiert ein Zielerreichungsgrad zwischen 0 Prozent und 200 Prozent. Während bei einigen Unternehmen die Entwicklung im Vergleich zu einem Index – beispielsweise zum DAX – beurteilt wird, stellt sich Siemens direkt der Performance gegenüber Wettbewerbern.

 

Der Vergütungsausschuss und der Aufsichtsrat der Siemens AG haben mit der Entwicklung des neuen Vergütungssystems gezeigt, dass trotz komplexer gesetzlicher Vorgaben und regulatorischer Anforderungen ein transparentes Vergütungssystem möglich ist. Damit dieses die richtigen Anreize setzt und die Unternehmensstrategie widerspiegelt, bedarf es einer intensiven und professionellen Erörterung des Themas. Mit dem Vergütungsausschuss hat der Aufsichtsrat der Siemens AG deshalb einen Meilenstein der Corporate Governance gesetzt.

 

Dr. Guido Birkner,

verantwortlicher Redakteur Human Resources

FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag

guido.birkner@frankfurt-bm.com

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