Die MBtech Group GmbH & Co. KGaA, ein global agierender Engineering- und Beratungsdienstleiter für die Automobilbranche, hat zum Jahresbeginn 2013 erstmals einen eigenen Haustarifvertrag (HTV) eingeführt. Mit welchen Zielen hat die MBtech Group den HTV verbunden?
Julia Prügner: Damals gab es mehrere Auslöser. Zum einen war das Ziel, eine leistungsgerechte und nachvollziehbare Entlohnung für alle Mitarbeiter herzustellen. Für gleichwertige Arbeit sollte es eine gleichwertige Entlohnung geben. Dabei wollten wir eine Leistungskomponente in das Vergütungssystem einarbeiten, um Leistungsträger beim Gehalt besser entwickeln zu können. Leistung soll sich bei der MBtech Group lohnen. Zum anderen hatten wir eine heterogene Ausgangssituation hinsichtlich der Regelwerke. Jeder Standort hatte eigene Richtlinien zur Vergütung, manche mit Bezugnahmeklauseln auf einen Tarifvertrag, manche mit Bezug zu einer Betriebsvereinbarung. Hieraus entstand die Prämisse, Transparenz und Klarheit bezüglich der Vergütungsgrundsätze zu schaffen, denn bis zur Einführung des HTV kam es vor, dass für gleiche Tätigkeiten deutlich unterschiedliche Gehälter gezahlt wurden. Deshalb haben wir bei der MBtech Group den HTV zum 1. Januar 2013 mit einer Laufzeit von zunächst vier Jahren eingeführt.
War das Unternehmen zuvor an einen Tarifvertrag gebunden?
Julia Prügner: Die MBtech Group selbst nicht, aber wir haben tarifgebundene Unternehmen zugekauft. Auch ein Tochterunternehmen ist seit vielen Jahren Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall und an die Tarifverträge der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie gebunden.
Welche inhaltlichen Eckpunkte sah der Haustarifvertrag vor?
Julia Prügner: Wir gingen mit dem Vorsatz an die Vertragsentwicklung heran, für alle Mitarbeiter auf Sachbearbeiterebene ein einheitliches Vergütungssystem mit einer fairen Entlohnung zu entwerfen. In der Vergangenheit war die MBtech Group schnell anorganisch gewachsen, ohne dass eine einheitliche Regelung bestand. Entsprechend aufwendig war die Administration. Auch deshalb war es der Arbeitnehmervertretung und der Daimler Revision wichtig, nachvollziehbare und vergleichbare Arbeitsbedingungen mit zugehörigem Regelwerk zu schaffen. Damals waren wir noch eine 100-prozentige Tochter des Daimler-Konzerns. Zum genannten Kernziel kamen weitere Anforderungen der Geschäftsführung und der Arbeitnehmervertretung. Insbesondere sollten die Mitarbeiter Klarheit über die Wertigkeit der Tätigkeiten haben und auf den ersten Blick erkennen können, wo sie im Vergütungssystem stehen. Durch Jobfamilien und Joblevel haben wir hier Transparenz geschaffen. Heute entsprechen Tätigkeiten im gleichen Joblevel unabhängig von der Jobfamilie der gleichen Komplexität.
Wie unterscheidet sich der HTV von anderen Tarifverträgen?
Julia Prügner: Unser Haustarifvertrag regelt lediglich die Vergütungsstruktur und ist damit ein Entgeltrahmentarifvertrag. Er enthält keine Regelungen zu Urlaub oder Arbeitszeit, so dass er nicht den Charakter eines Manteltarifvertrags hat. Im Gegensatz zum ERA-Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie haben wir keine Tabellenentgelte für eine bestimmte Eingruppierung, sondern Gehaltsbänder, die nicht unterschritten werden dürfen. Mit diesen Gehaltsbändern können wir in unserem Geschäftsmodell flexibel auf Marktveränderungen reagieren. Doch in einigen Themen orientieren wir uns am Entgelttarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg. Zum Beispiel übernehmen wir das verhandelte Volumen des Tarifabschlusses in der Fläche, geben es aber nach eigenen, definierten Verteilungsgrundsätzen weiter. Somit kann ein Mitarbeiter bei uns eine geringere oder aber eine größere Erhöhung bekommen, als sie der verhandelte Tarifabschluss vorsieht. Wir lassen die Leistungsbeurteilung des Mitarbeiters in den Verteilungsmechanismus einfließen. Die MBtech Group hat also Leistung und Vergütung im HTV aneinander gekoppelt. Das hat Vor- und Nachteile, doch die Kopplung war für uns zu diesem Zeitpunkt der richtige Weg, um die extreme Streuung in den Gehaltsbändern einzudämmen. Die Kopplung soll gewährleisten, dass Mitarbeiter, die eine gute Leistung erbringen, aber eher an der unteren Bandgrenze bezahlt werden, schneller im Gehaltsband aufsteigen. Unser System beschleunigt somit die Top-Leister. Mitarbeiter, die für ihr Joblevel und ihre Leistung nach unserem Verständnis angemessen verdienen, entwickeln sich etwas langsamer.
Sind die einzelnen Stellen mit einem Profil hinterlegt?
Julia Prügner: Wir nutzen fünf Kriterien zur generischen Beschreibung einer Tätigkeit, die auch im ERA-Tarifvertrag verwendet werden. Zusätzlich gibt es für die Kriterien Beschreibungen je Joblevel und Jobfamilie. Wir bewerten die Stellen nach einem summarischen Bewertungsverfahren, also jede Stelle als Ganzes und ohne die Zuordnung von Punktwerten. Die dauerhaft und überwiegend übertragenen Aufgabenschwerpunkte geben dann den Ausschlag. Diese Art der Stellenbeschreibung bietet uns Flexibilität und zugleich einen Grad an Standardisierung. Dies ist bei unserem Geschäftsmodell mit viel Projektgeschäft wichtig.
Sind die Vergütungsstrukturen und -bausteine des Tarifbereichs und des AT-Bereichs bei der MBtech Group aufeinander abgestimmt?
Julia Prügner: Ja und nein. Die beiden Vergütungssysteme unterscheiden sich zwar, doch etwa bei der Höhe der Vergütung sind die Strukturen aufeinander abgestimmt. Inzwischen nähern wir die AT-Laufbahnen so an, dass auch dort eine konsequente Weiterentwicklung der Mitarbeiter möglich ist. Dabei stellen wir fest, dass die Gehaltsentwicklung über die Joblevel vielen Mitarbeitern nicht ausreicht. Oft wird schon vor dem Erreichen der oberen Joblevel eine Ernennung in eine Projekt- oder Führungslaufbahn gefordert. Das ist aus unserer Sicht bedauerlich, da laut HTV auch im Tarifbereich eine gute Entlohnung möglich ist. Leider sind viele Mitarbeiter auf den Gedanken fixiert, dass Karriere immer nur geradewegs nach oben, also zum jeweils nächsten Joblevel führen muss. Doch Entwicklung findet auch horizontal innerhalb eines Gehaltsbandes statt. Ein Mitarbeiter kann sich in seinem Aufgabengebiet breit aufstellen und sich vielseitig weiterentwickeln. Karriere sollte nicht mit dem Innehaben einer Führungsfunktion gleichgesetzt werden. Wer ein Fachexperte auf seinem Gebiet ist und eine gute Leistungsbeurteilung erhält, kann sich in den Gehaltsbändern überproportional entwickeln.
An welcher Stelle waren Entwicklung und Implementierung des HTVs schwierig?
Julia Prügner: Bei unserer damaligen Ausgangssituation konnten wir das Thema nicht allein bewältigen und haben uns mit der Lurse AG externe Hilfe ins Haus geholt. Zunächst wurden die Ist-Situation analysiert und erste Ideen an einem Pilotmodell in einem Geschäftsbereich erprobt. Unterschiede in der Vergütung bei gleichen Tätigkeiten waren keine Seltenheit und ließen sich nicht auf einmal aus der Welt räumen. Also brauchten wir ein System, das die Zielsetzung über einen mehrjährigen Zeitraum erfüllt. Auch haben wir analysiert, welche Jobfamilien sich zusammenfassend für welche Tätigkeiten nutzen lassen. Schließlich sollten sich die Mitarbeiter wiederfinden. Die Zuordnung der Mitarbeiter zur jeweils passenden Jobfamilie und zum passenden Joblevel hat viel Zeit gekostet. Doch es war uns wichtig, nicht nur ein Eingruppierungssystem zu bauen, sondern auch ein personalpolitisches Entwicklungsmodell, das den Mitarbeitern Entwicklungsperspektiven aufzeigt. Damit ein solches Vorhaben in der Organisation nachhaltig akzeptiert wird, muss man Führungskräfte und Mitarbeiter am Entwicklungsprozess beteiligen. Das dauert erfahrungsgemäß länger, zahlt sich aber im Nachhinein aus. Nur wenige Mitarbeiter haben gegen ihre Ersteingruppierung Einspruch eingelegt. Eine weitere Herausforderung bestand darin, alle Mitarbeiter immer auf dem aktuellen Stand zu halten. Auf Infoveranstaltungen an allen Standorten haben wir gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern offene Fragen zum neuen Vergütungssystem beantwortet und damit Akzeptanz geschaffen.
Wie reagierten die Mitarbeiter und die Mitarbeitervertretung auf die Einführung des HTVs?
Julia Prügner: Die Mitarbeitervertretung war von Anfang an involviert, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die IG Metall konnte hier wesentlich unterstützen und hat sowohl die Seite der Arbeitnehmervertretung als auch die des Arbeitgebers sehr ernst genommen. So konnten wir die mitbestimmungspflichtigen Verteilungsgrundsätze vernünftig diskutieren. Die Mitarbeiter waren einerseits zufrieden, endlich ein Tarifwerk zu bekommen. Andererseits ist das Vertragswerk eine schwere Lektüre. Viele Mitarbeiter waren verunsichert, weil sie nicht auf Anhieb verstanden, was gerade passierte und wie sich die neue Gehaltsstruktur aus der alten ableitete. Da das Erhöhungsvolumen gemäß Leistung und Lage im Band verteilt wird, war und ist es für die Mitarbeiter schwierig, einzuschätzen, wie ihre persönliche Erhöhung aussehen wird.
Wie entwickelte sich das Tarifvertragswerk in den ersten bald vier Jahren?
Julia Prügner: Grundsätzlich sind wir mit der Eta-blierung des HTVs zufrieden. Einzelne Elemente wollen wir überarbeiten. Doch gerade bei der Beschreibung der Jobfamilien sehen wir auch dank unserer guten Vorarbeit quasi keinen Anpassungsbedarf. Allerdings läuft die Gehaltsentwicklung der Mitarbeiter innerhalb der jeweiligen Gehaltsbänder nicht vollkommen so ab, wie wir uns das vorstellen. Die Gründe dafür sind uns bekannt, und unsere Schlussfolgerungen müssen wir jetzt in eine neue Version des HTVs einarbeiten. Wir sind an der Stelle sehr froh, dass wir durch die vierjährige Laufzeit im Gegensatz zu Flächentarifverträgen agiler sind und unsere Erfahrungen in einem angemessenen Zeitraum nutzen und verarbeiten können.
Es besteht also ein Anpassungsbedarf für den neuen HTV ab 2017?
Julia Prügner: Wir sehen Anpassungsbedarf in manchen Bereichen und sind uns in einigen Punkten mit der Arbeitnehmervertretung einig, dass Änderungen notwendig sind. Derzeit laufen die Nachverhandlungen mit der IG Metall und unseren Arbeitnehmervertretern. Da der jetzige HTV zum Jahresende ausläuft, wollen wir im Herbst in die finale Verhandlungsphase eintreten und noch in diesem Jahr eine neue Version des HTVs präsentieren.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.